Urteil des OLG Oldenburg vom 06.12.1994
OLG Oldenburg: beweismittel, identifizierung, behandlung, strafverfahren, aufklärungspflicht, beweisantrag, verfügung, fahrzeug, fahrverbot, entkräftung
Gericht:
OLG Oldenburg, unbekannt
Typ, AZ:
Beschluß, SS 337/94
Datum:
06.12.1994
Sachgebiet:
Normen:
OWIG § 77 ABS 1, OWIG § 77 ABS 2, STPO § 267 ABS 1.
Leitsatz:
Zur Entkräftung einer aufgrund eines Radarfotos getroffenen Identitäts- feststellung durch einen
Gegenzeugen.
Volltext:
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Über-
schreitens der außerorts auf 70 km/h begrenzten Höchstgeschwindig-
keit um 26 km/h eine Geldbuße von 130,-- DM festgesetzt und ein
allgemeines Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Die
Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.
Das Urteil war aufzuheben, weil es möglicherweise auf der fehler-
haften Ablehnung eines Beweisantrages beruht. Nach den Feststel-
lungen des Amtsgerichts ist der Betroffene als Fahrer des mit
überhöhter Geschwindigkeit geführten Kraftfahrzeugs identifiziert
worden, indem der erkennende Richter den in der Hauptverhandlung
anwesenden Betroffenen mit dem von einer automatischen Kamera ge-
fertigten Frontfoto des Fahrers zur Vorfallszeit verglichen und
Übereinstimmungen besonderer Erkennungsmerkmale festgestellt hat.
Diese Überzeugungsbildung, die auch der Rechtsprechung des Senats
(vgl. VRS 87, 202 f.) entspricht, ist grundsätzlich nicht zu bean-
standen.
Im vorliegenden Fall hat jedoch der Betroffene in Form eines Be-
weisantrages behauptet, ein mit Namen und Anschrift benannter
Fernfahrer aus seinem Betrieb habe das Fahrzeug zur Tatzeit
gelenkt. Den Antrag, diesen als Zeugen zu vernehmen, hat das Amts-
gericht mit der Begründung abgelehnt, zur Überzeugung des Gerichts
stehe aufgrund des gefertigten Frontfotos die Fahrereigenschaft
des Betroffenen fest. Der Beschwerdeführer rügt in zulässiger Wei-
se und zu Recht, daß der Beweisantrag nicht hätte abgelehnt werden
dürfen.
Nach § 77 OWiG bestimmt das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme
unbeschadet seiner Pflicht, die Wahrheit zu erforschen, § 77 Abs.
1 OWiG. Bei der Behandlung von Beweisanträgen ist es freier
gestellt als im Strafverfahren, § 77 Abs. 2 OWiG. Die Ablehnung
eines Beweisantrages aufgrund einer vorweggenommenen Beweiswürdi-
gung, wie sie das Amtsgericht vollzogen hat, ist jedoch nur zu-
lässig, wenn das Gericht bereits seine Überzeugung gewonnen hat
und die Grundlagen dafür so verläßlich sind, daß die Möglichkeit,
das Gericht könne in seiner Überzeugung durch eine weitere Beweis-
aufnahme erschüttert werden, vernünftigerweise auszuschließen ist.
Nur dann kann von einer weiteren Beweisaufnahme ohne Verletzung
der Aufklärungspflicht abgesehen werden (vgl. Göhler, OWiG, 10.
Aufl., Rn. 14 zu § 77).
Vorliegend stand für die Identifizierung des Täters der Ordnungs-
widrigkeit ausschließlich dessen "Frontfoto", gefertigt von einer
automatischen Kamera, als Beweismittel zur Verfügung. Die Qualität
derartiger Fotos als Beweismittel ist indessen erfahrungsgemäß
eingeschränkt, wie allgemein die dem Senat nach § 267 Abs. 1 S. 3
StPO möglich Betrachtung des Radarfotos bestätigt (vgl. dazu
einerseits OLG Stuttgart, VRS 77, 365, andererseits OLG Köln, VRS
80, 374). Der Fahrer eines fotografierten Fahrzeugs ist mehr oder
weniger deutlich erkennbar oder auch nicht identifizierbar. Anders
als bei der unmittelbaren Wahrnehmung eines Gegenstandes bei einer
Augenscheinseinnahme liegt der Identifizierung des Fahrers anhand
eines Radarfotos eine Wertung durch den Tatrichter zugrunde. Deren
Ergebnis ist grundsätzlich nicht so verläßlich, daß die Möglich-
keit auszuschließen ist, das Gericht könne in seiner Überzeugung
durch das Ergebnis einer weiteren Beweisaufnahme erschüttert wer-
den. Das Amtsgericht durfte deswegen den gestellten Beweisantrag
nicht mit der vorgenommenen Begründung ablehnen (vgl. dazu im
übrigen BVerfG VRS 83, 84, 86).
Ob in dem Fall, im dem die Identität zwischen dem Betroffenen und
der als Fahrer abgebildeten Person unter Anführung einer Vielzahl
von Merkmalen als spiegelbildlich festgestellt wird, es unter den
hier vorliegenden Voraussetzungen keiner weiteren Beweisaufnahme
bedurft hätte (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 85, 124), kann dahinste-
hen. Derartige Feststellungen sind hier nicht getroffen worden.
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben. Ob nach § 244 Abs.
5 S. 2 StPO unter den dafür geltenden Voraussetzungen von der
beantragten Beweiserhebung hätte abgesehen werden können, kann der
Senat mangels entsprechender Entscheidung des Amtsgerichts nicht
prüfen.