Urteil des OLG Oldenburg vom 11.07.1994

OLG Oldenburg: beweisantrag, haftrichter, rechtspflege, transport, abgabe, anschrift, lebenserfahrung, bahn, erforschung, laden

Gericht:
OLG Oldenburg, unbekannt
Typ, AZ:
Beschluß, SS 215/94
Datum:
11.07.1994
Sachgebiet:
Normen:
STPO § 244 ABS 5., BTMG § 31 NR 1
Leitsatz:
Beweiserhebungspflicht bei Auslandszeugen
Volltext:
Das Schöffengericht hatte den Angeklagten wegen unerlaubter Ein-
fuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handel-
treiben damit zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht
Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat Berufung eingelegt und die-
se auf das Strafmaß beschränkt. Das Landgericht hat die Berufung
verworfen, jedoch die Freiheitsstrafe auf zwei Jahre und sechs
Monate ermäßigt.
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
a) Die Sachrüge greift nicht durch. Namentlich hat das Landgericht
zu Recht §·31 Nr.·1 BtMG nicht angewendet. Dessen Voraussetzungen
liegen nicht vor. Es ist keine über den eigenen Tatbeitrag des An-
geklagten hinausgehende Tat aufgedeckt worden. Das geht zu Lasten
des Angeklagten (BGH NStZ·1990, 375; 1993, 242, 378; Körner, BtMG,
3.·Aufl., §·31, Rn.·50). Daß der Angeklagte durch die Benennung
der Personen "Gerald van Tammelen und dessen Lebensgefährtin
Marianne" immerhin einiges in dieser Richtung zu tun versucht hat,
hat seine Berücksichtigung bereits darin gefunden, daß der Ange-
klagte lediglich als Kurier angesehen worden ist. Außerdem hat die
Strafkammer dies bei der Strafzumessung im Rahmen des §·46 StGB zu
seinen Gunsten berücksichtigt (vgl. BGH NStZ·1993, 242; Körner
a.a.O., Rn.·29, 33, 34). Angesichts der mitgeteilten teilweise
einschlägigen Vorbelastungen sowie der Menge der unerlaubt einge-
führten Betäubungsmittel -·mehr als 5·kg Haschisch·- läßt die er-
kannte Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten keinen Rechts-
fehler erkennen.
b) Die Verfahrensrüge greift ebenfalls im Ergebnis nicht durch.
Die Verteidigung beanstandet, daß das Landgericht einem für die
Anwendung des §·31 Nr.·1 BtMG bedeutsamen Beweisantrag letztlich
nicht nachgekommen sei.
Der Beweisantrag lautet:
"Die Zeugen Garald van Tammelen, Geschäftsführer Coffee Shop
"De Graf" Amsterdam, Verlängerung Single Gracht sowie dessen
Lebensgefährtin Marianne. Die Zeugen werden bekunden, daß sie
den Angeklagten beauftragt haben, das sichergestellte
Haschisch von Amsterdam nach Hannover zu transportieren."
Das Landgericht hatte eine frühere Hauptverhandlung wegen dieses
Antrags vertagt, um den Zeugen van Tammelen in Amsterdam ermitteln
und zur kommenden Hauptverhandlung laden zu lassen. Die nieder-
ländischen Behörden konnten den Zeugen jedoch nicht auffinden,
dieser konnte daher nicht geladen werden. In der abschließenden
Hauptverhandlung vor der Strafkammer hat der Verteidiger den Be-
weisantrag erneut gestellt. Das Landgericht hat ihn nunmehr wie
folgt beschieden:
"Der Beweisantrag wird gemäß §·244 Abs.·5 Satz·2 StPO abge-
lehnt, da die Vernehmung des im Ausland zu ladenden und von
den niederländischen Behörden nach den Registern nicht zu er-
mittelnden Zeugen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforder-
lich ist."
Die Argumentation des Verteidigers, das Landgericht habe gewisser-
maßen widersprüchlich und damit rechtsfehlerhaft gehandelt, indem
es den Beweisantrag in der früheren Hauptverhandlung als erheb-
lich, in der abschließenden Hauptverhandlung jedoch als unerheb-
lich behandelt habe, trägt der veränderten Verfahrenslage nicht
Rechnung. Die scheinbar unterschiedliche Sachbehandlung folgt näm-
lich zwangsläufig ausschließlich aus den unterschiedlichen ver-
fahrensmäßigen Situationen.
In der vertagten Hauptverhandlung ging die Strafkammer ersichtlich
davon aus, daß der Zeuge sich in Amsterdam werde auffinden lassen.
Dabei erscheint es allerdings durchaus zweifelhaft, ob es -·nach
Einführung des §·244 Abs.·5 Satz·2 StPO durch das Rechtspflege-
entlastungsgesetz vom 11.·Januar 1993 (BGBl·1993 Teil·I Seite·50),
wodurch eine Straffung der Hauptverhandlung erreicht werden soll
und in den Grenzen pflichtgemäßen richterlichen Ermessens eine Be-
weisantizipation zulässig ist -·überhaupt zur Wahrheitsforschung
erforderlich war, daß das Landgericht diesem Beweisantrag nach-
ging. Denn immerhin hatte der in 1.·Instanz anderweitig verteidig-
te Angeklagte erst in der Berufungsverhandlung seine Beauftragung
durch van Tammelen vorgebracht, nachdem er sich vor dem Schöffen-
gericht und auch bei seinem Aufgriff an der Grenze vor den ihn
vernehmenden Zollbeamten und anschließend vor dem Haftrichter völ-
lig anders eingelassen hatte. Der Angeklagte hatte damals auf
einen ihm unbekannten Mann verwiesen; dieser habe ihm eine
Plastiktüte mit fünf Paketen mit "gewichtigen Büchern" übergeben,
für deren Transport der Angeklagte bei der Abgabe auf dem Bahn-
steig in Hannover an eine blonde Frau von dieser 2.000,-·DM erhal-
ten solle. Die vorangegangene abweichende Einlassung durfte das
Landgericht im Rahmen seines Ermessens nach §·244 Abs.·5 Satz·2
StPO, anders, als wenn der Angeklagte zuvor geschwiegen hätte (BGH
StrV·1994, 283·f), durchaus bewerten (vgl. BGH NJW·1994, 1484 =
MDR·1994, 604). Auch war nach aller Lebenserfahrung kaum zu er-
warten, daß der Zeuge van Tammelen, sollte er überhaupt trotz der
vom Angeklagten mitgeteilten unpräzisen Anschrift ermittelt und
geladen werden können, zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht
erscheinen und dort ihn selbst schwer belastende Angaben machen
würde, wozu er rechtlich nicht verpflichtet war (§·55 StPO; vgl.
die zuletzt genannte BGH-Entscheidung sowie Kleinknecht/Meyer