Urteil des OLG Oldenburg vom 30.03.1992

OLG Oldenburg: ddr, letztwillige verfügung, anwendung des rechts, erblasser, restriktive auslegung, zgb, spaltung, testament, erbvertrag, erbeinsetzung

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 5 W 26/92
Datum:
30.03.1992
Sachgebiet:
Normen:
EGBGB § 236, RECHTSANWEN. § 25, EGBGB § 3 ABS 3, EGBGB § 25 ABS 1
Leitsatz:
1) Zur Spaltung des Nachlasses wegen des im Beitrittsgebiet befindlichen unbeweglichen
Vermögens eines westdeutschen Erblassers. 2) Zur Auslegung eines Erbvertrages.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
5 W 26/92
Beschluß
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch die unterzeichneten Richter
am 30. März 1992
beschlossen:
Auf die weitere Beschwerde des Antragstellers werden die Beschlüsse des Amtsge-richts Nordhorn vom 30.
Dezember 1991 - 9 VI 324/91 - und der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 5. Februar 1992
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Antsgericht - Nachlaßgericht - Nordhorn
zurückverwiesen.
Gründe:
Die Beteiligten sind Kinder des am 30.05.1985 verstorbenen Erblassers. Dieser hatte den Antragsteller durch
Erbvertrag vom 19.01.1978 zu seinem Alleinerben eingesetzt. Der Antragsteller hat die Erteilung eines
gegenständlich beschränkten Erbscheins be-antragt, wonach er der alleinige Erbe des Erblassers hinsichtlich des
Eigentums und anderer Rechte an Grundstücken und Gebäuden, die sich in der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik befinden, geworden ist. Das Amtsgericht hat den Antrag mit der Begründung
zurückgewiesen, die ergänzende Auslegung der letztwilligen Verfü-gung ergebe, daß der Antragsteller nicht auch
hinsichtlich des Grundbesitzes in der frü-heren DDR zum Erben eingesetzt worden sei. Die dagegen eingelegte
Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Auf beide Entscheidungen der Vorinstanzen wird Bezug genommen.
Die gemäß §§ 27, 28 und 29 FGG zulässige weitere Beschwerde des Antragstellers führte zur Aufhebung der
Beschlüsse des Amts- und Landgerichts und zur Zurückver-weisung der Sache an das Nachlaßgericht. Der
angefochtene Beschluß hält der im Rahmen der weiteren Beschwerde vorzunehmenden rechtlichen Überprüfung (§
27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt ist
und die Auslegung des Erbvertrages vom 19.01.1978 den ge-setzlichen Auslegungsregeln widerspricht.
Es hätte zunächst festgestellt werden müssen, ob sich überhaupt Grundeigentum oder andere dingliche Rechte an
Grundstücken und Gebäuden auf dem Gebiet der ehemali-gen DDR im Sinne des § 25 Abs. 2 des Gesetzes über die
Anwendung des Rechts auf internationale zivil-, familien- und arbeitsrechtliche Beziehungen sowie auf internatio-nale
Wirtschaftsverträge – Rechtsanwendungsgesetz – vom 05.12.1975 (Gesetzblatt der DDR vom 08.12.1975, Teil I, S.
748 ff; RAG) im Nachlaß befinden.
Nur in diesem Fall ist eine Nachlaßspaltung eingetreten und die von dem Antragsteller begehrte Erteilung eines
Erbscheins für das im Beitrittsgebiet befindliche unbewegliche Vermögen des Erblassers zulässig. Da der Erblasser
in der Bundesrepublik Deutsch-land lebte, unterliegt die Rechtsnachfolge von Todes wegen zwar grundsätzlich in
ent-sprechender Anwendung der Artikel 236 § 1 und Art. 25 Abs. 1 EGBGB dem Recht der Bundesrepublik wie die
Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, gilt für in der frühe-ren DDR belegene Grundstücke jedoch eine
Ausnahme, soweit der Erbfall, wie hier - in der Zeit zwischen dem 1.1.1976 und dem 3.10.1990 eingetreten ist.
Insoweit waren gemäß Art. 3 Abs. 3 BGB in entsprechender Anwendung die in der früheren DDR gel-tenden
“besonderen Vorschriften“ maßgebend, also insbesondere § 25 Abs. 2 RAG. Hiernach bestimmten sich die
erbrechtlichen Verhältnisse in Bezug auf das Eigentum und andere Rechte an Grundstücken und Gebäuden, die sich
in der früheren DDR be-finden, auch nach dem Recht der ehemaligen DDR. Der in dieser seit dem 1.1.1976 in Kraft
befindlichen Bestimmung niedergelegte Anspruch der früheren DDR, auf den in ihrem Gebiet belegenen
unbeweglichen Nachlaß auch ihr Recht anzuwenden, wurde durch Art. 3 Abs. 3 EGBGB respektiert. Es kam damit
zur Spaltung des Nachlasses mit der weiteren Folge, daß Grundvermögen in der früheren DDR auch dem dort
geltenden Recht unterlag. Dieser Rechtszustand bleibt gemäß Art. 235 § 1 EGBGB erhalten, wenn - wie hier - der
Erblasser vor dem Wirksamwerden des Beitritts gestorbenen ist (siehe dazu: BayObLG NJW 1991, S. 1237; OLG
Frankfurt, DtZ 1991, S. 300 - 302; LG Berlin, NJW 1991, S. 1239; Palandt-Heldrich, BGB, 51. Aufl. 1992, Art. 25
EGBGB, Rdn. 23; MK-Leipold, 2. Aufl. 1991, Einigungsvertrag, Rdn. 653 ff; Adlerstein/Desch, Das Erbrecht in den
neuen Bundesländern, DtZ 1991, S. 193 ff Schotten/Johnen, Probleme hinsichtlich der Anerkennung, der Erteilung
und des Inhalts von Erbscheinen im deutsch-deutschen Verhältnis, DtZ 1991, S. 257 ff).
Soweit es zu einer derartigen Nachlaßspaltung wegen des im Beitrittsgebiet befindli-chen unbeweglichen Vermögens
eines westdeutschen Erblassers gekommen ist, ist für jeden der beiden selbständigen Nachlässe auch ein
gesonderter Erbschein zu erteilen (Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2353 Rdn. 7, Schotten/Johnen, aaO, S. 262). Dies
setzt nach alledem aber voraus, daß sich tatsächlich Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken und
Gebäuden im Sinne des § 25 Abs. 2 RAG auf dem Gebiet der früheren DDR im Nachlaß befinden. Die Bestimmung
ist hingegen schon nach ihrem Wortlaut nicht auf schuldrechtliche Ansprüche wie etwa den Anspruch auf
Rückübertra-gung von Eigentumsrechten an Grundstücken und Gebäuden gemäß § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur
Regelung offener Vermögensfragen (BGBl. II 1990, S. 1159) anwendbar (Palandt-Heldrich, aaO, Art. 25 EGBGB,
Rdn. 25; Schotten/Johnen, S. 260). Für diese restriktive Auslegung spricht auch der Umstand, daß es sich bei § 25
Abs. 2 RAG um eine Ausnahmeregelung zugunsten des Rechts der früheren DDR handelt, die auf der Überlegung
beruhte, daß die Eigentumsverhältnisse an Grundstücken in der früheren DDR in untrennbaren Zusammenhang mit
der damaligen ökonomischen und sozialen Entwicklung standen. Es besteht aber kein Anlaß, diese Bestimmung
extensiv auszule-gen, den Grundsatz der Nachlaßeinheit mehr als notwendig einzuschränken und auch
schuldrechtliche Ansprüche dem Anwendungsbereich des § 25 Abs. 2 RAG zu unter-werfen (Schotten/Johnen, aaO,
S. 260).
Die Zusammensetzung des Nachlasses kann im vorliegenden Verfahren auch nicht of-fenbleiben, weil sie
wesentliche Vorfrage für die Erteilung des gegenständlich be-schränkten Erbscheins und maßgebend für das
anzuwendende Erbrecht ist. Insoweit fehlt es bisher an den erforderlichen Feststellungen. Während aus dem
Erbscheinsan-trag der Schluß gezogen werden könnte, der Erblasser habe tatsächlich Grundbesitz im Gebiet der
ehemaligen DDR hinterlassen, wie auch die Vorinstanzen meinen, haben die Antragsgegner bereits mit Schriftsatz
vom 29.10.1991 darauf hingewiesen, daß der landwirtschaftliche Hof des Erblassers bereits 1951 enteignet worden
ist. Davon ist of-fenbar auch der Antragsteller bei seiner Vernehmung durch das Nachlaßgericht ausge-gangen.
Diese Fragen bedürfen mithin weiterer Aufklärung.
Sollte insoweit festgestellt werden, daß allenfalls schuldrechtliche Ansprüche auf Ei-gentumsrückübertragung oder
auf Entschädigung in den Nachlaß fallen können, wäre der vorliegende Antrag auf Erteilung eines gegenständlich
beschränkten Erbscheins bereits aus diesem Grunde zurückzuweisen. Nach entsprechender Erweiterung des
Antrags käme nur die Erteilung eines unbeschränkten Erbscheins in Betracht.
Ist es hingegen tatsächlich zu einer Spaltung der Nachlaßmassen gekommen, vermag die von den Vorinstanzen
vorgenommene Auslegung des Erbvertrages vom 19.1.1978 die Zurückweisung des Antrags nicht zu rechtfertigen.
Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters; sie bindet das
Beschwerdegericht so lange, als sie nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, den gesetzlichen
Auslegungsregeln, insbesondere den Sinn und Wortlaut der Erklärung, nicht wider-spricht und alle wesentlichen
Tatsachen berücksichtigt (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 12. Aufl., 1987, § 27 Rdn. 48 m.w.N.). Diese Grundsätze
gelten auch für die hier vorzu-nehmende Auslegung letztwilliger Verfügungen nach den Grundsätzen des Zivilgesetz-
buchs der DDR (§ 372 ZGB). Da das Recht der früheren DDR Erbverträge nicht kannte, begegnet es keinen
rechtlichen Bedenken, daß die Vorinstanzen den Erbvertrag als Testament im Sinne der §§ 370 ff ZGB bewertet
haben.
Die Auffassung der Vorinstanzen, der Erblasser habe den Antragsteller nicht auch hin-sichtlich des Grundbesitzes in
der früheren DDR zum Erben einsetzen wollen, steht hingegen mit der Auslegungsregel des § 372 ZGB und den
Auslegungsgrundsätzen des BGB, die nach Auffassung des Senats entsprechend heranzuziehen sind, nicht in Ein-
klang. Bei der Auslegung des Erbvertrages ist zunächst von dessen Wortlaut auszuge-hen. Zur Erforschung des
wirklichen Willens des Erblassers (§ 133 BGB) sind sodann auch außerhalb der Testamentsurkunde liegende
Umstände mit zu berücksichtigen. Dabei ist der Tatrichter bei scheinbar eindeutigen Willenserklärungen dann
berechtigt, über den Wortlaut der letztwilligen Verfügung hinauszugehen, wenn sich aus den Um-ständen ergibt, daß
der Erblasser mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch
entspricht (BGHZ 80, S. 247 ff und BGHZ 86, S. 41 ff; Palandt-Edenhofer, aaO, § 2084, Rdn. 4 m.w.N). Der so
ermittelte Erblas-serwille ist allerdings nur dann beachtlich, wenn er - möglicherweise nur versteckt oder
andeutungsweise - im Testament Ausdruck gefunden hat (BGHZ 86, 41 ff; BayObLG, NJW 1988, S. 2744/2745;
Barbara Grunewald, Die Auswirkungen eines Irrtums über politische Entwicklungen in der DDR auf Testamente und
Erbschaftsausschlagungen, NJW 1991, S. 1208 ff, jeweils m.w.N). Soweit eine ergänzende Testamentsauslegung in
Betracht zu ziehen ist, weil eine letztwillige Verfügung eine nachträglich entstandene Lücke enthält, die der
Erblasser nicht vorausgesehen hat, können nach dem Erbfall eingetretene Ereignisse wie etwa die Änderung der
politischen Verhältisse in der frühe-ren DDR nur dann berücksichtigt werden, wenn dies im Testament so
ausdrücklich vor-gesehen ist (Palandt-Edenhofer, aaO, § 2084 Rdn. 11; Barbara Grunewald, aaO, S. 1210). Denn es
ist nicht vertretbar, Entwicklungen nach dem Erbfall, die der Erblasser selbst für so unwahrscheinlich hielt, daß er
die Folgen nicht ausdrücklich im Testament geregelt hat, demjenigen anzulasten, der sich auf den Wortlaut des
Testaments verlas-sen hat (Barbara Grunewald, aaO).
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Erbvertrages ist der Antragsteller zum Alleinerben eingesetzt worden. Eine
solche Erbeinsetzung bezieht sich regelmäßig auf das ge-samte Vermögen, das der Erblasser bei seinem Tode
hinterläßt (BGH FamRZ 1972, S. 561/563; BayObLG FamRZ 1989, S. 1348), hier also auch auf etwaiges
Grundvermö-gen in der früheren DDR oder etwaige darauf gerichtete schuldrechtliche Rückgabean-sprüche. Die
Auffassung der Vorinstanzen, für Erbeinsetzungen vor der Wiedervereini-gung sei bei in der Bundesrepublik
Deutschland verfaßten Testamenten grundsätzlich davon auszugehen, daß sie nicht das unbewegliche Vermögen
des Erblassers in der früheren DDR erfassen, vermag der Senat daher nicht zu teilen (vgl. insoweit auch OLG Köln,
Rpfleger 1980, S. 344). Das Landgericht hat auch keine Umstände festgestellt, die den Schluß rechtfertigen
könnten, der Erblasser habe entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch die Erbeinsetzung des Antragstellers nicht
auf den gesamten Nachlaß, sondern nur auf das in Westdeutschland befindliche Vermögen erstrecken wollen.
Auch die von den Vorinstanzen vorgenommene ergänzende Auslegung des Erbvertra-ges ist nicht frei von
Rechtsfehlern. Es fehlen bereits hinreichende Feststellungen dar-über, daß der Erblasser anders hinsichtlich des
unbeweglichen Vermögens in der frühe-ren DDR testiert hätte, wenn er die spätere politische Entwicklung
vorausschauend be-dacht hätte. Die Aussagen der vom Nachlaßgericht vernommenen Zeugen erlauben insoweit
keine hinreichenden Rückschlüsse da sie - wie die Zeugen ... , ... und ... - vor allem Äußerungen des Erblassers
über den in der früheren DDR befindlichen Grundbe-sitz wiedergegeben haben, die lange Jahre vor Abschluß des
Erbvertrages gefallen sind. Ebensowenig konnte aus der eher vagen Aussage des Zeugen ... , der Erblasser habe
auch nach Bekanntwerden des Erbvertrages geäußert, der Grundbesitz in der DDR solle an die ältesten Kinder
gehen, gefolgert werden, dieser hätte auch entspre-chend testiert, wenn er die politische Entwicklung vorhergesehen
hätte. Denn auch die Bekundungen dieses Zeugen rechtfertigen keine hinreichenden Rückschlüsse auf die
Vorstellung des Erblassers bei Abschluß des Erbvertrages. Vor allem aber kommt eine ergänzende Auslegung der
letztwilligen Verfügung deshalb nicht in Betracht, weil der Erbvertrag selbst keinerlei Anhaltspunkte dafür enthält,
daß nach den Erbfall eintreten-de politische Veränderungen in der früheren DDR in der Weise zu berücksichtigen
sind, daß sich die Erbeinsetzung des Antragstellers nicht auf etwaiges unbewegliches Ver-mögen in der ehemaligen
DDR beziehen soll. Nur in diesem Fall könnte - wie dargelegt - die letztwillige Verfügung im Sinne der Antragsgegner
ergänzend ausgelegt werden.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren nach alldem aufzuheben, und die Sache war an das Amtsgericht
zurückzuverweisen.
Das Amtsgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben, daß die von den Antragsgegnern
erklärte Anfechtung der letztwilligen Verfügung neben der Wahrung der Anfechtungsfrist (§ 374 Abs. 2 ZGB) einen
Anfechtungsgrund in Sinne des § 374 Abs. 1 ZGB voraussetzt. Dieser dürfte allerdings kaum in dem Fall gegeben
sein, daß sich der Erblasser in der Annahme geirrt hat, die politischen und wirtschaftli-chen Verhältnisse blieben
auch über Tod hinaus von Dauer (siehe hierzu Barbara Gru-newald, aaO, S. 1211; Adlerstein/Desch, aaO, S.
193/198; vgl. zur Anfechtung der Aus-schlagung wegen Irrtums auch OLG Frankfurt DtZ 1991, S. 300).
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