Urteil des OLG Oldenburg vom 03.05.1999

OLG Oldenburg: fahrzeug, auflage, fahrrad, begriff, maschine, halter, gefährdung, behinderung, ausnahme, haftpflichtversicherungsvertrag

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Urteil, 1 Ss 105/99
Datum:
03.05.1999
Sachgebiet:
Normen:
StVG § 1 Abs. 2, StVG § 21 Abs 1.., PflVG § 1
Leitsatz:
Begriff des Kraftfahrzeuges
Ein durch einen auf dem Rücken des Fahrers geschnallten Gleitschirmpropellermotor fortbewegtes
Herrenfahrrad gilt als Kraftfahrzeug.
StVG §§ 1 Abs. 2, 21 Abs 1. Satz 1,
PflVG §§ 1, 6 Abs. 1
Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 03.05.1999 - 1 Ss 105/99 (I 38) -/ rechtskräftig
Volltext:
Im Namen des Volkes!
Urteil
in dem Strafverfahren
gegen C... W... aus O..., dort geboren am ...,
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis,
Verteidiger: Rechtsanwalt G..., O...
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts O... vom 12. Oktober 1998 hat der 1.
Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg in der Sitzung vom
3. Mai 1999
für Recht erkannt:
Das Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
zurückverwiesen.
Diese hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Gründe:
Der Angeklagte befuhr am 26. März 1998 mit einem Herrenfahrrad die N... in O.... Auf seinen Rücken geschnallt trug
er einen Gleitschirmpropellermotor mit einem Rahmendurchmesser von 1,09 m, einem Hubraum von 350 ccm und
einer Leistung von 14,7 kW (20 PS). Der Antrieb wurde mit einem vom Angeklagten mit Klebeband am Lenker
befestigten Handgashebel, der über einen Bowdenzug mit dem Motor verbunden war, aktiviert und reguliert. Bei
Verlassen des Leerlaufs durch Betätigung des Handgashebels erfolgte der Vorschub durch den Propeller. Durch die
Übertragung des Vorschubs auf den Angeklagten bewegte sich das von ihm gelenkte Fahrzeug fort, ohne dass er
die Pedale betätigen musste, wobei es eine Geschwindigkeit von über 25 km/h erreichte.
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten zur Last gelegt, tateinheitlich vorsätzlich ein Kraftfahrzeug geführt zu
haben, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte, und vorsätzlich ein Fahrzeug auf öffentlichen
Wegen oder Plätzen gebraucht zu haben, obwohl der für das Fahrzeug erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag
nicht bestand (Vergehen, strafbar nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, §§ 1, 6 Abs. 1 PflVersG, § 52 StGB).
Demgegenüber hat das Amtsgericht die Auffassung vertreten, der Angeklagte habe diese Straftatbestände nicht
erfüllt, denn bei dem vom Angeklagten gelenkten Fahrzeug habe es sich nach wie vor um ein Fahrrad, nicht
hingegen um ein Kraftfahrzeug gehandelt. Darunter verstehe man ein durch Motor angetriebenes Fahrzeug, was hier
wegen der fehlenden Verbindung von Motor und Tretvorrichtung nicht der Fall gewesen sei. Da der Angeklagte ein
Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr benutzt habe, das so nicht zugelassen sei, habe er allerdings ordnungswidrig
gehandelt. Das Amtsgericht hat deshalb gegen ihn "wegen fahrlässigen Verstoßes gegen eine Grundregel im
Straßenverkehr (§ 1 Abs. 2 StVO)" eine Geldbuße von 80 DM verhängt.
Mit ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten Revision rügt die Staatsanwaltschaft, das Amtsgericht habe den
Begriff des Kraftfahrzeugs verkannt und deshalb rechtsfehlerhaft die Erfüllung des objektiven Tatbestands der
angeklagten Delikte verneint.
Das Rechtsmittel ist begründet.
1. Bei dem vom Angeklagten gelenkten Fahrzeug handelte es sich um ein Kraftfahrzeug.
Kraftfahrzeuge sind nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft
fortbewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein. Ähnlich heißt es im Übereinkommen über den
Straßenverkehr vom 8. November 1968 (BGBl.1977 II S. 811) in Art. 1 unter Buchstabe o: " "Kraftfahrzeug" ist jedes
auf der Straße mit eigener Kraft verkehrende Fahrzeug mit Antriebsmotor... mit Ausnahme der Schienenfahrzeuge",
während als "Fahrrad" nach Art. 1 Buchstabe l jenes Übereinkommens "jedes Fahrzeug mit wenigstens zwei
Rädern" definiert wird, "das ausschließlich durch die Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen, insbesondere mit
Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln, angetrieben wird".
Dass es sich bei dem vom Angeklagten gelenkten Gefährt um ein nicht an Bahngleise gebundenes Landfahrzeug
handelte, bedarf keiner Vertiefung. Es wurde auch durch Maschinenkraft fortbewegt.
Nach einhelliger Auffassung ist der Begriff Maschinenkraft als Gegenstück zur Naturkraft und zur menschlichen oder
tierischen Kraft zu verstehen. Die Art des maschinellen Antriebs (Elektromotor, Verbrennungsmotor etc.) ist
unerheblich. Ebenfalls ohne Belang ist, ob die Kraft mittels Ketten, Wellen etc. auf die Räder übertragen oder ob das
Fahrzeug durch einen Propeller oder den Rückstoß eines Raketenantriebs vorwärts getrieben wird (Greger,
Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 3. Auflage, § 7 StVG Rn. 14; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35.
Auflage, § 1 StVG Rn. 2 f., Rüth, Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage, § 1 StVG Rn. 9).
Das Fahrzeug muss sich mit eigener Kraft fortbewegen, d.h. die Maschine muss sich während der Fahrt auf dem
Fahrzeug selbst befinden. Nicht erforderlich ist, dass zwischen dem Fahrgestell und dem Antrieb eine ständige feste
Verbindung besteht. Auch nur vorübergehend mit einem maschinellen Antrieb versehene Landfahrzeuge sind
Kraftfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG. Es macht ferner keinen Unterschied, ob der Antrieb mit dem
Fahrzeug direkt verbunden ist - beispielsweise durch Befestigung des Propellermotors auf dem Gepäckträger des
Zweirades - oder ob das Antriebsaggregat nur indirekt mit dem Fahrzeug verbunden ist, weil es von dem das Zweirad
lenkenden Menschen getragen wird. In beiden Fällen ist das Antriebsaggregat während der Fahrt mit dem Fahrzeug
verbunden.
Zum Führen des durch den Gleitschirmpropellermotor angetriebenen Fahrzeugs war mit Rücksicht darauf, dass
dessen erreichbare Fahrgeschwindigkeit über 25 km/h liegt, der Hubraum des Motors über 125 ccm und die Leistung
über 11 kW beträgt, nach dem zur Tatzeit geltenden Recht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 StVZO eine Fahrerlaubnis der
Klasse 1 a oder 1 erforderlich. Zudem ist der Halter eines Kraftfahrzeuges bei Verwendung auf öffentlichen Wegen
oder Plätzen nach §§ 1, 2 des Pflichtversicherungsgesetzes verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung
abzuschließen.
Da der Angeklagte weder die erforderliche Fahrerlaubnis besaß noch eine Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug
bestand, hat er durch seine am 26. März 1998 auf öffentlichen Straßen unternommene Fahrt den objektiven
Tatbestand der §§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und 1, 6 Abs. 1 Pflichtversicherungsgesetz erfüllt.
Das Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere
Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
2. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Falls es nicht zu einer, sich hier nach Auffassung des Senats aufdrängenden, Verfahrenseinstellung nach § 153 a
StPO kommen sollte, wird sich das Amtsgericht mit der Frage des Vorliegens eines Tatbestands oder
Verbotsirrtums zu befassen haben. Sollte es hinsichtlich der angeklagten Straftaten zur Annahme eines
unvermeidbaren Verbotsirrtums gelangen, wäre zu prüfen, inwieweit der Angeklagte ordnungswidrig gehandelt hat.
Soweit das Amtsgericht einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO angenommen hat, fehlen Feststellungen dazu, worin
die konkrete Gefährdung, Behinderung, Belästigung bestanden hat, die ein ordnungswidriger Verstoß gegen das
Gebot des § 1 Abs. 2 StVO voraussetzt (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 1 StVO Rn. 47).
Vorrangig dürfte ein Verstoß gegen §§ 18, 69 a Abs. 2 Nr. 3 StVZO in Betracht kommen.
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