Urteil des OLG Oldenburg vom 01.10.1997

OLG Oldenburg: treu und glauben, versicherungsnehmer, heilbehandlung, arbeitsunfähigkeit, krankenversicherung, nichtigkeit, aufenthalt, versicherer, bach, avb

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 185/97
Datum:
01.10.1997
Sachgebiet:
Normen:
MBKT § 78 4 ABS 9, MBKT § 78 5 ABS ., MBKK § 76 4 ABS 5, MBKK § 76 5 ABS .
Leitsatz:
Die Risikoausschlüsse in § 4 Abs. 9 und 5 Abs. 1 (g) MBKT 78 halten der Inhaltskontrolle nach § 9
AGBG nicht stand und sind unwirksam.
Volltext:
Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 4 Abs. 9 MBKT 78 ausgeschlossen. Zwar liegen die Voraussetzungen
der in dieser Klausel bestimmten Leistungsfreiheit vor; denn der Kläger hat sich in einer sogenannten gemischten
Anstalt aufgehalten und es versäumt, eine schriftliche Leistungszusage der Beklagten vor Beginn der Behandlung
einzuholen. Die Klausel des § 4 Abs. 9 MBKT 76 ist jedoch unwirksam. Sie hält einer Inhaltskontrolle gemäß § 9
Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 AGBG nicht stand, weil sie den Versicherungsnehmer in rechtlicher und wirtschaftlicher
Hinsicht unangemessen benachteiligt.
Die Frage, ob eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im folgenden: AVB) den
Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligt und eine Gefährdung des Zwecks
des Versicherungsvertrags darstellt, ist grundsätzlich danach zu beurteilen, ob der Versicherungsschutz, der durch
die AVB konkretisiert wird, sich insgesamt für den Versicherungsnehmer in einer Weise darstellt, daß gemessen
daran eine bestimmte Risikoabgrenzung, Obliegenheitspflicht oder Ausnahmeregel als unbillig, willkürlich oder
überraschend erscheint (BGH VersR 1983, 848; BGH VersR 1990, 396; BGH VersR 1992, 477 und 479; Senat
VersR 1996, 1400; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl., § 23
Rdnr. 465; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl., Anhang §§ 9 - 11 Rdnr. 854). Die genannten
Unwirksamkeitsgründe sind vorliegend sämtlich erfüllt:
Der Vertragszweck der Krankentagegeldversicherung besteht darin, den Verdienstausfall des Versicherungsnehmers
im Fall einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung auszugleichen, soweit als Folge einer Krankheit oder eines
Unfalls Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, § 1
Abs. 1 und 2 MBKT 78. Die Leistungspflicht des Versicherers tritt dabei unabhängig davon ein, ob eine Behandlung
in ambulanter oder stationärer Form erfolgt. Ein berechtigtes Interesse des Versicherers an grundsätzlicher
Leistungsfreiheit im Fall des Aufenthalts des Versiche-
rungsnehmers in einer gemischten Anstalt besteht danach nicht.
In der Krankenversicherung ist allerdings allgemein zu Recht anerkannt, daß der Versicherer ein berechtigtes
Interesse daran hat, eine generelle Leistungsfreiheit für die Behandlung in gemischten Anstalten vorzusehen, da mit
dem Aufenthalt des Versicherungsnehmers in einer solchen Anstalt ein erhöhtes Risiko verbunden ist (BGH VersR
1983, 576; Bach/Moser,
Krankenversicherung, 2. Aufl., § 4 MBKK Rdnr. 104 m. w. N.). Gegen die Wirksamkeit der entsprechenden Klausel
des § 4 Abs. 5 MBKK 76 bestehen deshalb keine Bedenken. Um das Interesse des Versicherers an der Abwehr
unnötiger Kosten gerade des stationären Aufenthalts kann es bei der Krankentagegeldversicherung aber nicht gehen
(OLG Köln, r+s 1990, 213;
Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 4 MBKT Anm. 7; Bruck/Möller/Wriede, VVG, 8. Aufl., Krankenversicherung, Anm.
G 53).
Eine Steigerung des subjektiven Risikos des Versicherers durch eine mögliche Simulation der Arbeitsunfähigkeit
gerade durch den Aufenthalt in einer gemischten Anstalt ist ebenfalls nicht zu befürchten, da der Aufenthalt als
solcher dazu keinen besonderen Anreiz bietet.
Nicht überzeugend ist das Argument, der generelle Leistungsausschluß sei gerechtfertigt, weil die Überprüfung der
medizinisch notwendigen Heilbehandlung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 MBKT 78) schwierig sei (Bach/Moser, § 4 MBKT Rdnr.
25; Wilmes und Müller-Frank, VersR 1990, 345, 354 zu der insoweit vergleichbaren Regelung des § 5 g MBKT 78).
Ohne die Notwen-
digkeit irgendeiner Behandlung wird sich ein Versicherungsnehmer in der Regel nicht in eine gemischte Anstalt
begeben, und die Notwendigkeit gerade einer stationären Behandlung ist nicht Leistungsvoraussetzung der
Krankentagegeldversicherung. Selbst wenn man aber insoweit ein berechtigtes Interesse des Versicherers bejahen
würde, erweist sich der generelle Leistungsausschluß als überzogen. Dem Interesse an einer Überprüfung der
medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung ist hinreichend durch das Verfahren nach § 9 Abs. 3 MBKT 78
Genüge getan. Gleiches gilt für das Interesse des Versicherers, der Gefahr zu be-
gegnen, daß dem Versicherungsnehmer die Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer in gemischten Anstalten -
möglicherweise - zu großzügig bescheinigt wird (Prölss/Martin, a.a.O.; Bruck/Möller/Wriede, a.a.O.).
Ein rechtfertigender Grund dafür, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers allein aufgrund des Aufenthalts in einer
gemischten Anstalt auch in Fällen eintritt, in denen der Versicherungsnehmer arbeitsunfähig ist und einer
medizinischen Heilbehandlung bedarf, ist mithin
nicht erkennbar. Geradezu willkürlich und für den Versicherungsnehmer überraschend ist die Klausel in Anbetracht
der Tatsache, daß vielfach die Behandlung in der gemischten Anstalt der baldigen Wiederherstellung der
Arbeitsfähigkeit dient und deshalb auch im Interesse des Versicherers liegt.
Für eine der Inhaltskontrolle vorgehende Auslegung mit dem Ziel, die Klausel gegebenenfalls nach einer begrenzten
sprachlichen Umgestaltung aufrechtzuerhalten, ist kein Raum. Jede auch im Wege der Auslegung erstrebte
Rückführung der Klausel auf einen mit den Maßstäben des AGBG in Einklang stehenden Inhalt würde auf eine
geltungserhaltende Reduktion hinauslaufen, die sich auch bei der Inhaltskontrolle von Allgemeinen
Versicherungsbedingungen verbietet (BGH VersR 1985, 129, 130; BGH VersR 1990, 896; Ulmer/Brandner/Hensen,
Anhang zu §§ 9 - 11 Rdnr. 858).
Es ist deshalb unzulässig, die vom Wortlaut her eindeutige Klausel lediglich als "Nachweisregelung" mit der Folge
eines verminderten Beweiswerts von Bescheinigungen der Anstalt auszulegen (so OLG Köln, a.a.O.) oder
dahingehend zu interpretieren, daß diese nicht eingreife,
wenn feststehe, daß der Versicherungsnehmer vor dem Klinikaufenthalt arbeitsunfähig gewesen sei oder dieser
Zustand nach dessen Entlassung fortdauere (so OLG Nürnberg, r+s 1996, 283).
Der Wegfall der Klausel wegen Verstoßes gegen das AGBG gebietet es auch nicht, die Bestimmung im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung durch eine Klausel mit anderem Inhalt zu ersetzen. Eine solche ergänzende
Vertragsauslegung ist bei Nichtigkeit von Versicherungsbedingungen in Betracht zu ziehen, wenn dispositives
Gesetzesrecht im Sinn konkret
materiell-rechtlicher Regelungen nicht zur Verfügung steht und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel
keine angemessene, den typischen Interessen des Klauselverwenders und des Kunden Rechnung tragende Lösung
bietet und es zudem für den Versicherer auch unzumutbar ist, am lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden
(BGH VersR 1992, 477 und 479; Senat a.a.O.). Aus den Darlegungen zur Begründung der Nichtigkeit der hier zu
beurteilenden Klausel folgt, daß die zuletzt genannten beiden Voraussetzungen nicht vorliegen.
Die Beklagte ist auch nicht gemäß § 5 g MBKT 78 leistungsfrei. Auch diese Klausel ist gemäß § 9 Abs. 1 und 2 Nr.
2 AGBG nichtig. So wie allein die Aufnahme in einer gemischten Anstalt keine generelle Leistungsfreiheit
berechtigterweise zu begründen vermag, ist auch eine gänzliche Leistungsfreiheit allein aufgrund des Hinzutretens
einer Kur- oder Sanatoriumsbehandlung durch nichts gerechtfertigt (Prölss/Martin, § 5 MBKT Anm. 5). Die zur
Nichtigkeit des § 4 Abs. 9 MBKT 78 dargelegten Gründe gelten entsprechend.