Urteil des OLG Oldenburg vom 11.12.1996

OLG Oldenburg: culpa in contrahendo, versicherte sache, eintritt des versicherungsfalls, grobe fahrlässigkeit, eigenes verschulden, berechtigung, flugzeug, versicherungsnehmer, versicherungsschutz

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 169/96
Datum:
11.12.1996
Sachgebiet:
Normen:
AKB-LU § 4 (2) ZIFF 2, LUFTBO § 32 ABS 2, LUFTBO § 32 ABS 3, LUFTBO § 32 ABS 4
Leitsatz:
Kaskoversicherung von Luftfahrzeugen: § 4 (2) Ziffer 1 und 2 begründen s ekundäre
Risikobegrenzungen. Repräsentanteneigenschaft des einzigen Beru fspiloten eines Unternehmens. §
61 VVG.
Volltext:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen
Anspruch aus der bei der Beklagten unterhaltenen Luftfahrt-Total-Versicherung wegen der Zerstörung des Flugzeugs
Beech Duke B 60 am 20.03.1995.
1. Das Landgericht hat zutreffend auf § 4 (2) Ziff. 1 AKB-Lu abgehoben, da das versicherte Luftfahrzeug sich im
Unfallzeitpunkt unstreitig nicht in einem Zustand befand, der den gesetzlichen Bestimmungen für den Betrieb von
Luftfahrzeugen entsprach; denn das Flugzeug der Klägerin war bei einem Flug nach Instrumentenflugregeln entgegen
§ 32 Abs. 2 LuftBO
nur mit einem Flugzeugführer besetzt. Wegen der Einzelheiten kann insofern auf das angefochtene Urteil verwiesen
werden (§ 543 Abs. 1 ZPO).
2. Darüber hinaus besaß der Führer des verunglückten Flugzeugs bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht die
Berechtigung zum Führen dieses Luftfahrzeugs nach Instrumentenflugregeln. § 4 (2) Ziff. 2 AKB-Lu fordert neben der
vorgeschriebenen Erlaubnis, dieses Luftfahrzeug zu führen, die der Flugzeugführer C für das verunglückte Flugzeug
unstreitig besaß, die "erforderliche Berechtigung zum Führen dieses Luftfahrzeugs". Diese Berechtigung hatte C
nicht; denn für Flüge nach Instrumentenflugregeln muß die Flugbesatzung mindestens aus zwei Luftfahrzeugführern
mit Berechtigung für Flüge nach
Instrumentenflugregeln bestehen (§ 32 Abs. 2 LuftBO). Ein solcher zweiter Luftfahrzeugführer befand sich unstreitig
nicht an Bord.
Bezüglich des Fehlens eines Ausnahmetatbestandes nach den §§ 32 Abs. 4, 55 LuftBO und der
Verfassungsmäßigkeit der letztgenannten Bestimmung kann wiederum auf die zutreffenden Ausführungen des
angefochtenen Urteils verwiesen werden. Insofern wird die landgerichtliche Entscheidung auch nicht angegriffen.
3. Die von der Klägerin geäußerten Bedenken gegen die Wirksamkeit von § 4 (2) Ziff. 1 und 2 AKB-Lu teilt der Senat
nicht. Beide Bestimmungen sind auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich und lassen in
keiner Hinsicht Zweifel über ihre Auslegung (§ 5 AGBG) aufkommen.
4. Anders als das Landgericht ist der Senat allerdings der Auffassung, daß es sich bei den o.a. Regelungen um
(sekundäre) Risikobeschreibungen handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kommt es bei der
Unterscheidung zwischen einer Obliegenheit und einer Risikobeschreibung nicht entscheidend auf Wortlaut und
Stellung einer Versicherungsklausel an. Maßgebend ist vielmehr der materielle Inhalt der einzelnen Klausel.
Es kommt darauf an, ob die Klausel eine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für
das (allein) der Versicherer Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes
vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten
Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt und
nicht ein angegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen, so handelt es sich um
eine Risikobegrenzung (vgl. BGH VersR 1990, 482 = NJW-RR 1990, 465 = VVGE § 6 VVG Nr. 16; BGH NJW 1987,
191, 192 = VVGE § 1 AVBR Nr. 1).
Zwar könnte der erste Satzteil in § 4 (2) AKB-Lu - "Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei" - für
eine Obliegenheit im Sinn von § 6 Abs. 1 VVG sprechen. Andererseits ist § 4 AKB-Lu insgesamt überschrieben:
"Einschränkung des Versicherungsschutzes". Für eine objektive Begrenzung spricht auch der materielle Inhalt
beider Absätze. Aus ihm ergibt sich, daß der Versicherer von vornherein Deckungsschutz nur bei Einhaltung der
"gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Auflagen" (1) bzw. bei Vorliegen der "vorgeschriebenen Erlaubnisse
und erforderlichen Berechtigungen" (2) gewähren will. Danach besteht vorliegend kein Versicherungsschutz, ohne
daß es auf die weiteren
Voraussetzungen nach § 6 Abs. 1 und 2 VVG ankommt.
5. Selbst wenn man indes - mit dem Landgericht - in § 4 (2) Ziff. 1 und die Normierung von - verhüllten -
Obliegenheiten sehen will, ist die Beklagte leistungsfrei. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, daß die
Obliegenheitsverletzung nicht unverschuldet im Sinn von § 6 Abs. 1 VVG erfolgt ist und die Klägerin nicht den
Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs. 2 VVG geführt hat. Darauf nimmt der Senat wegen aller Einzelheiten Bezug
(§ 543 Abs. 1 ZPO). Das wird von der Berufung auch nicht angegriffen.
Ob seitens der Beklagten eine Kündigung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 VVG ausgesprochen worden ist, kann
dahinstehen; denn eine solche war vorliegend entbehrlich. Eine Kündigung zum Erhalt der Leistungsfreiheit ist nicht
erforderlich, wenn das Interesse dauernd und vollständig
weggefallen ist (BGH VersR 1981, 186 = VVGE § 6 VVG Nr. 10, m.w.N.). Das ist in der Sachversicherung vor allem
der Fall, wenn die versicherte Sache - wie hier - völlig zerstört worden ist (vgl. Prölss-Martin, VVG, 25. Aufl., § 6
Anm. 10, m.w.N.).
6. Die Beklagte ist weiterhin leistungsfrei, weil der Pilot C als Repräsentant der Klägerin den Versicherungsfall grob
fahrlässig herbeigeführt hat (§ 61 VVG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 122, 250 = NJW 1993, 1862 = VersR 1993, 828 = VVGE
§ 6 VVG Nr. 22) ist Repräsentant, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund
eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Die bloße
Überlassung der
Obhut über die versicherte Sache reicht hierbei nicht aus. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in
einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). -
So ist es nach Auffassung des Senats hier.
Zwar hat der BGH in Fällen der Überlassung von Kraftfahrzeugen an einen Fahrer ausgesprochen, daß die
Überlassung der Obhut über die versicherte Sache kein allgemeingültiges Merkmal für die Frage darstelle, ob der
Versicherungsnehmer für das Verhalten eines Dritten einzustehen habe (BGH VersR 1965, 149 unter IV).
Andererseits hat er in dieser Entscheidung betont, daß es anders sein könne, wenn es sich um versicherte Sachen
handelt, die einer ständigen Betreuung bedürfen. In diesen Fällen wird mit der Übertragung der alleinigen, nicht nur
vorübergehenden Obhut auf einen Dritten diesem in der Regel auch die alleinige Risikoverwaltung anvertraut. Liegen
diese Voraussetzungen vor, braucht für die Haftung des Versicherungsnehmers nicht noch hinzuzutreten, daß der
Dritte auch Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen hat (BGHZ 122, 250 = NJW 1993,
1862 = VersR 1993, 828 = VVGE § 6 VVG Nr. 22).
Es liegt auf der Hand, daß ein Luftfahrzeug hinsichtlich des Ausmaßes der Betreuung mit einem Kraftfahrzeug nicht
zu vergleichen ist. Diese Betreuung lag im Bereich der Klägerin in der Hand von C ; dieser war unstreitig der einzige
bei der Klägerin angestellte Berufspilot.
Dem entspricht die Rechtslage, wonach ihm für die Führung des Luftfahrzeugs die Verantwortlichkeit oblag (§ 2 Abs.
3 LuftBO). Dies alles spricht dafür, daß er im Sinn der oben zitierten BGH-Rechtsprechung befugt war, in einem
gewissen, nicht ganz unerheblichen Umfang hinsichtlich des versicherten Flugzeugs für die Versicherungsnehmerin -
die Klägerin - zu handeln, mithin deren Repräsentant war.
Der Senat ist der Überzeugung, daß C den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt (§ 61 VVG). Dies folgt aus
den unstreitigen Umständen und dem Bericht der Flugunfalluntersuchungsstelle beim Luftfahrt-Bundesamt vom
12.8.1996.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die
Anforderung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Der Tatrichter kann dabei im Rahmen seiner freien
Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven
Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerter Vorwerfbarkeit schließen (BGH r + s 1969, 209 m.w.N.).
Das Durchführen des Fluges nach Instrumentenflugregeln ohne Anwesenheit eines zweiten Luftfahrzeugführers mit
Berechtigung für Flüge nach Instrumentenflugregeln stellt einen objektiv schweren Verstoß gegen die im konkreten
Fall gebotene Sorgfalt dar. Dieser Maßstab war ohne weiteres § 32 Abs. 2 LuftBO zu entnehmen.
Mangels entlastender besonderer persönlicher Umstände ist im vorliegenden Fall aufgrund des objektiv äußerst
schwerwiegenden Verstoßes der Schluß gerechtfertigt, daß C auch subjektiv unentschuldbar handelte, als er -
entgegen der o.a. Bestimmung - den Flug nach
Instrumentflugregeln allein durchführte. Subjektiv kam zudem erschwerend hinzu, daß er nach dem von der Klägerin
vorgelegten und vorgetragenen Bericht der Fluguntersuchungsstelle beim LBA nur über geringe Erfahrung bei Flügen
nach Instrumentenflugregeln auf dem betreffenden Flugzeug verfügte.
Auf diesen Ursachen beruht nach dem o.a. Bericht auch der Flug- unfall, wenn auch eine "unzweckmäßige"
Radarkontrolle mitgewirkt hat. Jedenfalls ist der Senat nach den Feststellungen des Luftfahrt-Bundesamts der
Überzeugung, daß der Unfall durch Mitwirkung eines zweiten Luftfahrzeugführers mit der Berechtigung nach § 32
Abs. 2 Luft-BU vermieden worden wäre. - Gegenteiligen Beweis tritt die Klägerin nicht an.
7. Schließlich steht der Klägerin auch kein Schadensersatzanspruch zu. Bevor auf den von ihr geltend gemachten
Anspruch aus culpa in contrahendo einzugehen ist, ist daran zu denken, ob die Beklagte nicht nach den
Grundsätzen über die Vertrauenshaftung für den
Versicherungsagenten haftet. Eine solche Haftung kommt dann in Betracht, wenn der Versicherungsagent, der
erkennt, daß sich der Versicherungsnehmer über einen wesentlichen Punkt des Versicherungsvertrages unrichtige
Vorstellungen macht, nicht seiner Verpflichtung nachkommt, diese richtigzustellen (BGHZ 40, 22, 24). Die
Vertrauenshaftung des Versicherers ist aber ausgeschlossen, wenn den Versicherungsnehmer ein erhebliches
eigenes Verschulden trifft (BGHZ a.a.O., 26; BGH VersR 1972, 530, 531). So ist es hier. Es geht
nicht um die Aufklärung über bestimmte Versicherungsbedingungen, sondern um die Kenntnis
verordnungsrechtlicher Bestimmungen über die Zusammensetzung der Flugbesatzung, speziell § 32 Abs. 2 LuftBO.
Als Halterin des Luftfahrtgeräts trug die Klägerin die Verantwortung für die Einhaltung der Vorschriften der LuftBO
und der zu ihrer Durchführung erlassenen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 LuftBO). Daß ihr diese - wie sie selbst einräumt -
jedenfalls in dem hier einschlägigen Teil nicht bekannt waren, rechtfertigt den Vorwurf einer erheblichen
Sorgfaltsverletzung.
Im Ergebnis gilt nichts anderes für einen Anspruch aus culpa in contrahendo, auch wenn insoweit eine eigene
Pflichtverletzung nicht zum Ausschluß der Haftung, sondern zu einer Abwägung nach den Grundsätzen des § 254
BGB führt. Die Klägerin sieht ein haftungsbegründendes Fehlverhalten des Agenten der Beklagten darin, daß er
erkannt habe,
daß bei der Klägerin nie jemand daran gedacht habe, daß das Flugzeug - von gewissen Ausnahmeregelungen
abgesehen - mit zwei Piloten besetzt werden mußte. Das ist unzutreffend, jedenfalls aber im Hinblick auf die
Angaben im Versicherungsantrag und Versicherungsschein nicht hinreichend substantiiert. Im Versicherungsantrag
ist angegeben: "3 namentlich genannte Piloten, davon 1 Berufspilot"; in der nächsten Zeile sind die Namen der
Piloten mit C , H und B aufgeführt. Diese Namen sind auch in den Versicherungsschein aufgenommen worden. Aus
diesen Angaben im Versicherungsantrag konnte und mußte auch der Agent der Beklagten entnehmen, daß der
Klägerin neben dem Berufspiloten C zwei weitere Piloten - gleich welcher Qualifikation - zur Verfügung standen.
Unter diesen Umständen mußte der Agent nicht erkennen, daß das versicherte Flugzeug nur von einem Piloten
geführt werden sollte. Zudem war dies unter Sichtflugbedingungen auch zulässig, und es nichts dafür dargetan oder
ersichtlich, daß der Agent irgendwelche Kenntnisse über Art und
Ausmaß des Einsatzes des Flugzeuges nach Instrumentenflugregeln hatte.