Urteil des OLG Oldenburg vom 26.06.1990

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Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 32/90
Datum:
26.06.1990
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 823 ABS 1, BGB § 847
Leitsatz:
Handoperation ohne vorherigen Ausschluß einer bakteriellen Entzündung; Schmerzensgeld in Höhe
von 18.000,-- DM für Verlust des 4. Fingers
Volltext:
Der Beklagte hat für die Folgen der Infektion des Klägers einzustehen, da er unter Verstoß gegen elementare
medizinische Behandlungsregeln in ein Gebiet infiltrierte und operierte, ohne zuvor abzuklären, daß dort kein
bakterieller Entzündungsprozeß ablief. Die Behandlungsseite hat den sie nunmehr treffenden Beweis nicht führen
können, daß diese Behandlung in dem konkreten Fall dennoch fehlerfrei gewesen ist bzw. keinen Einfluß auf den
Krankheitsverlauf genommen hat, vielmehr durch die fehlerhafte Folgebehandlung des Streitverkündeten bestimmt
worden ist.
Fehlerhaft ist es aber, einen Behandlungsfehler zu verneinen, weil nicht bewiesen sei, daß eine bakterielle
Entzündung vorgelegen habe, und die Sachverständigen Infiltration und Operation nur in einem solchen Fall für
fehlerhaft gehalten haben.
Dem Beklagten ist insoweit vorzuwerfen, bei seinem Entschluß zu Infiltrationen und der Operation ohne vorherige
Feststellung des entzündungsfreien Status des Klägers, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunderhebungen
unterlassen zu haben. Dafür bestand umsomehr Anlaß, als der Beklagte den Krankenakten unschwer entnehmen
konnte, daß der Kläger bis zur letzten nur 3 Tage zurückliegenden Konsultation vom Streitverkündeten mit Salben
gegen einen entzündlichen Prozeß behandelt worden war. Damit verstieß der Beklagte zudem auch gegen
elementare Regeln der medizinischen Heilbehandlung, wonach diese Eingriffe zu unterbleiben haben, solange ein
bakterieller Entzündungsherd nicht ausgeschlossen werden kann.
Es trifft zwar zu, daß der Sachverständige Dr. Epping bei seiner Anhörung das Unterbleiben der Infiltrationen und
insbesondere der Ringbandspaltung im Falle einer bakteriellen Entzündung verlangt hat, deren Vorliegen die
Krankenunterlagen nicht auswiesen. die danach erfolgte Vernehmung des sachverständigen Zeugen -
Streitverkündeten - hat jedoch ergeben, daß für den zunächst versorgenden Arzt akute Anzeichen für einen
Entzündungsprozeß vorgelegen haben, die es galt vor einer eventuellen Operation nach erfolgloser konservativer
Behandlung abzuklären. Zu diesem Zweck sind verschiedene Salben verordnet und angewandt worden, ohne daß die
u. a. auf eine Entzündung hindeutenden Druckschmerzen zunächst abnahmen. Das wird durch die Aufzeichnungen
in den Krankenunterlagen bestätigt. Zwar hat der Sachverständige Dr. Epping diese dokumentierte
Druckschmerzhaftigkeit nicht als Indiz für eine - bakterielle - Entzündung bewertet, sondern als typisch für die
vorliegende Tendonitis-Nodosa. Der Streitverkündete hat demgegenüber bei seiner Vernehmung überzeugend
erläutert, daß er eine solche typische mehr in der Tiefe liegende Druckschmerzhaftigkeit gar nicht - weil
selbstverständlich - dokumentiert hätte. Es habe sich um eine durch Schwellung und Rötung an der Oberfläche
ausgwiesene Entzündung gehandelt, deren Art er noch nicht sofort habe abklären können.
Mit dieser Aussage stimmt die dokumentierte Gabe von Salben überein, die einer Entzündung entgegenwirken sollte
(Antirheumatikum, Antiphogistikum). Das war für den Beklagten aus der Krankenakte bei Übernahme der
Urlaubsvertretung und Fortsetzung der Behandlung des Klägers nur drei Tage nach der letzten Konsultation beim
Streitverkündeten erkennbar. Für den Beklagten war deswegen die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß die Hand
des Klägers bakteriell entzündet war. Etwas anderes ist der Dokumentation gerade nicht zu entnehmen. Ambulante
Infiltrationen und die Operation eines solchermaßen entzündeten Gebietes bedeuten einen Verstoß gegen
wesentliche medizinische Behandlungsregeln. Solange ein solcher Verstoß bei der in Aussicht genommenen
Behandlung nicht ausgeschlossen werden kann, darf diese nicht erfolgen, will sich der Arzt nicht dem Vorwurf
aussetzen, er habe auf diese Weise grob fehlerhaft gehandelt. Das übersieht das Landgericht, wenn es vom
Patienten den Nachweis verlangt, es habe wirklich eine Infiltrationen und Operation kontraidizierende bakterielle und
nicht eine insoweit neutrale rheumatische Entzündung vorgelegen. Steht wie hier fest, daß der Patient unter einer
noch nicht abgeklungenen Entzündung leidet, so hat der Arzt dieser Entzündung bzw. ihr vollständiges Abklingen
abzuklären, bevor er eine Behandlung wählt, die nicht bei jeder Entzündungsart fehlerfrei ist. Er verstößt gegen die
medizinischen Behandlungsregeln, wenn er allein in der Hoffnung therapiert, es werde sich schon um den
ungefährlichen Entzündungsprozeß handeln bzw. es werde insoweit nichts (mehr) vorliegen. Infiltrationen und
Operationen in ein Gebiet sind schon dann grob fehlerhaft, solange der behandelnde Arzt die bestehende Möglichkeit
einer bakteriellen Entzündung nicht abgeklärt hat.
Für die Kontraktur und den Verlust des Fingers ist nach den übereinstimmenden Bekundungen der Sachverständigen
Prof. Dr. Brug und Dr. Epping aller Wahrscheinlichkeit nach die Phlegmone als Ursache anzusehen, deren
Entstehung durch die genannten Eingriffe des Beklagten bei bakterieller Entzündung begünstigt worden ist. Daß dies
in dieser Konstellation nicht eingetreten ist, hat der Beklagte nicht beweisen können. Das geht - wegen des
Vorwurfs, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunderhebung nicht vorgenommen (vgl. dazu BGH VersR 1989, 80)
und dadurch zugleich grob gegen medizinische Behandlungsregeln verstoßen zu haben - zu seinen Lasten.
Der Beklagte ist dem Kläger zum Ersatz seiner materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet. Bei der
Bewertung des Schmerzensgeldes sind vor allem folgende Erwägungen von Bedeutung:
Der Kläger hat als Linkshänder den 4. Finger seiner linken Hand zum größten Teil verloren. Vor der Amputation
wurde in sechs Nachoperationen versucht, den Finger noch zu erhalten. Hierbei mußte der Kläger u. a. einen
vierwöchigen Krankenhausaufenthalt hinnehmen. Während der fast dreijährigen Behandlungsdauer war die
Gebrauchsfähigkeit der Hand etwa zwei Jahre lang ganz aufgehoben. Der Kläger mußte in der Zeit sehr häufig,
zeitweise fast täglich, den Arzt aufsuchen und litt über diesen langen Zeitraum hin unter ganz erheblichen
Schmerzen. Auch wenn er bei einer bakteriellen Entzündung seiner Hand ebenfalls gewisse Zeit hätte behandelt und
die Ringbandspaltung ggfls. im Krankenhaus hätte durchgeführt werden müssen, erscheint ein Schmerzensgeld
unter Abwägung aller Umstände, wobei der sehr langen und belastenden Behandungsdauer ein besonderes Gewicht
zukommt, mit 18.000,-- DM angemessen.