Urteil des OLG Oldenburg vom 24.06.2011

OLG Oldenburg: strafverfahren, beistandsleistung, verkehr, wahlverteidiger, pflichtverteidiger, haftanstalt, auslieferung, muttersprache, akteneinsicht, beschuldigter

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 241/11
Datum:
24.06.2011
Sachgebiet:
Normen:
EMRK Art 6 Abs 3 Buchst e
Leitsatz:
Für Gespräche mit einem zweiten Wahlverteidiger angefallene Dolmetscherkosten sind je-denfalls
dann aus der Staatskasse zu erstatten, wenn die Hinzuziehung eines zweiten An-waltes durch den
verhafteten Beschuldigten geboten war, um erstmals eine persönliche an-waltliche Beistandsleistung
zu erhalten.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
1. Strafsenat
1 Ws 241/11
1 KLs 10/09 Landgericht Osnabrück
606 Js 4714/07 Staatsanwaltschaft Osnabrück
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen Herrn F… B…,
geboren am … 1972 in S…,
zurzeit in der Justizvollzugsanstalt L…,
wegen schweren Raubes,
Verteidiger: Rechtsanwalt …
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 24. Juni 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …, die Richterin am Oberlandesgericht … und den Richter am
Oberlandesgericht … beschlossen:
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück
vom 23. Februar 2011 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - dahin geändert, dass dem
Verteidiger Auslagen für die Hinzuziehung eines Dolmetschers in Höhe von 316,01 € zu erstatten sind.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Notwendige Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
Rechtsanwalt …, der im vorliegenden Strafverfahren den damaligen, der deutschen Sprache nicht mächtigen
Angeklagten vertreten hatte, machte mit Kostenrechnung vom 9. Juni 2009 Auslagen für die Einschaltung eines
Dolmetschers gemäß dessen Rechnungen vom 2. Mai 2009 über 171,96 €, vom 4. Mai 2009 über 72,65 € und vom
9. Mai 2009 über 71,40 € geltend, deren Veranlassung er im Schriftsatz vom 25. Januar 2011, auf dessen Inhalt
verwiesen wird, näher erläuterte.
Mit Schreiben vom 2. September 2009 beantragte der Verteidiger auch die Erstattung von 76,34 €, die der
Dolmetscher mit Rechung vom 29. August 2009 für die Übersetzung eines Textes berechnet hatte.
Die Dolmetscherkosten von insgesamt 392,35 € wurden bei der Festsetzung der Rechtsanwalt … zu erstattenden
Auslagen unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des Bezirksrevisors vom 8. September 2009 und 14.
Dezember 2009, auf deren Inhalt verwiesen wird, abgesetzt.
Auf die Erinnerung des Verteidigers setzte die 1. große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück die dem
Verteidiger zu erstattenden Dolmetscherkosten von 392,35 € fest. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss
verwiesen.
Hiergegen richtet sich die namens der Landeskasse eingelegte Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem
Landgericht Osnabrück. Er meint, die durch Beauftragung eines weiteren Wahlverteidigers entstandenen
Dolmetscherkosten, zumindest die geltend gemachten Übersetzungskosten laut Rechnung vom 29. August 2009,
seien nicht aus der Landeskasse zu erstatten.
Das Rechtsmittel hat lediglich hinsichtlich der Rechnung vom 29. August 2009 Erfolg.
Die Erstattungsfähigkeit der gemäß Rechnungen vom 2., 4. und 9. Mai 2009 berechneten Dolmetscherkosten kann
vorliegend nicht unter Hinweis auf das weitere, bis zum 24. Mai 2009 währende Mandat der Rechtsanwältin …
verneint werden.
Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK räumt dem der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten (Beschuldigten)
unabhängig von seiner finanziellen Lage für das gesamte Strafverfahren und damit auch für vorbereitende Gespräche
mit einem Verteidiger einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers ein, auch wenn kein Fall
einer notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 StPO oder des Art. 6 Buchst. c MRK gegeben ist, BGH NStZ
2001, 107. Ihm sind daher die im Verkehr mit seinem Wahlverteidiger entstandenen Dolmetscherkosten zu erstatten.
Ob das Recht aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK mit Rücksicht darauf, dass diese Vorschrift eine
Ungleichbehandlung mit einem der deutschen Sprache mächtigen Angeklagten bzw. Beschuldigten verhindern soll,
vgl. BVerfG NJW 2004, 50, die Unentgeltlichkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers für den Verkehr mit mehr als
einem Verteidiger gewährt (so LG Dresden - 3 Qs 92/10 - Beschluss vom 16. August 2010, zitiert nach juris. LG
Osnabrück StraFo 2011, 89), weil nach deutschem Strafprozessrecht ein Beschuldigter sich des Beistandes von bis
zu drei gewählten Verteidigern bedienen darf, § 137 Abs. 1 StPO, oder ob der aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK
herzuleitende Grundsatz des fairen Verfahrens bereits dann gewahrt ist, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt des
Anfalls der Dolmetscherkosten schon von einem durch ihn gewählten Verteidiger verteidigt war (vgl. AG Rosenheim -
8 Ds 280Js 22311/10 - Beschluss vom 3. März 2011, zitiert nach juris, für den Fall, dass der zunächst vom
Betroffenen gewählte Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt war und kein Anhalt für ein gestörtes
Vertrauensverhältnis zu diesem bestand), kann vorliegend offen bleiben.
Auch wenn man der Ansicht des Amtsgerichts Rosenheim zuneigte, sind Rechtsanwalt … die Rechnungsbeträge für
Dolmetscherleistungen im Mai 2009 wegen der hier gegebenen Besonderheiten zu erstatten.
Im Zeitpunkt des ersten persönlichen Kontaktes von Rechtsanwalt … mit dem damaligen Angeklagten am 2. Mai
2009 hatte dieser noch keine Gelegenheit zu einem unmittelbaren Kontakt mit einem Verteidiger gehabt.
Rechtsanwältin … war lediglich durch einen Amsterdamer Anwalt benachrichtigt worden und suchte den damaligen
Angeklagten erst am 6. Mai 2009 in der Haftanstalt auf. Für den damaligen Angeklagten bestand mit Rücksicht auf
seine bereits am 16. April 2009 erfolgte Auslieferung nach Deutschland aber ein unabweisbares Bedürfnis für eine
zeitnahe persönliche Beistandsleistung durch einen Verteidiger, die dann am 2. Mai 2009 durch Rechtsanwalt …
erfolgte. Darauf, dass Rechtsanwalt … zu jenem Zeitpunkt noch keine Akteneinsicht erhalten hatte, kommt es
insoweit nicht an.
Unter diesem Gesichtspunkt sind auch die Kosten für die Übersetzung des Anwaltsschreibens vom 4. Mai 2009 und
die Dolmetschertätigkeit am 9. Mai 2009 in Vorbereitung des Haftprüfungstermins - wie das Landgericht Osnabrück
im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat - aus der Staatskasse zu erstatten.
Lediglich die in der Rechnung vom 29. August 2009 ausgewiesenen Übersetzungskosten sind nicht von der
Staatskasse zu tragen. Sie betrifft Nachforschungen zum Verbleib der Habe des damaligen Angeklagten in den
Niederlanden. Das Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren verbietet es, den der deutschen Sprache
nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens
herabzuwürdigen. Er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge
verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können, weshalb ihm in weitem Umfang
Verständigungshilfen zu gewähren sind, BVerfG NJW 1983, 2762. Dies bedeutet indessen nicht, dass einem
sprachunkundigen Angeklagten auch hinsichtlich solcher Gegenstände, die nicht das Strafverfahren, sondern andere
allgemeine Angelegenheiten betreffen, Verständigungshilfen zu gewähren sind. Dies gilt vorliegend umso mehr, als
der damalige Angeklagte in der Lage gewesen wäre, mit den niederländischen Behörden in seiner Muttersprache zu
verkehren.
Nach allem sind dem Verteidiger aus der Staatskasse lediglich 316,01 € zu erstatten.
Die Kosten und Auslagenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
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