Urteil des OLG Oldenburg vom 08.06.1993

OLG Oldenburg: operation, facharzt, qualifikation, assistent, anerkennung, präsenz, gynäkologie, oberarzt, gewissenhaftigkeit, beweiserleichterung

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 14/93
Datum:
08.06.1993
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 823 ABS 1
Leitsatz:
Zur Darlegungs- und Beweislast, wenn Operateur und Assistent noch in der Facharztausbildung
stehen
Volltext:
2.) Den Nachteil aus der mangelnden Aufklärbarkeit des
Behandungsfehlers hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete
Klägerin zu tragen.
Grundsätzlich trägt im Arzthaftungsprozeß der eine körperliche
Schädigung geltend machende Patient die Darlegungs- und Beweislast
für eine behandlungsfehlerhafte Verursachung seiner Beschwerden.
Eine Darlegungs- und Beweisentlastung des Patienten kann sich
allerdings u.a. dann ergeben, wenn ein noch in der Facharztausbil-
dung stehender Operateur tätig wird, dem bei dem Eingriff kein
voll ausgebilderter erfahrener Facharzt assistiert. Die aus einer
nicht abgeschlossenen Ausbildung resultierenden Risiken hat ein
Patient prinzipiell nicht zu tragen. Der BGH nimmt deshalb in
ständiger Rechtsprechung an, daß in solchen Fällen ein Indiz für
die Ursächlichkeit der nicht ausreichenden Qualifikation für die
aus der Operation resultierenden Komplikationen gegeben und von
der Behandlungsseite die Vermutung zu entkräften ist, daß die feh-
lende Qualifikation sich nicht in der Schädigung des Patienten
ausgewirkt hat (BGHZ 88, 248, 257; BGH NJW 1992, 1560, 1561).
Aus dieser Rechtsprechung kann die Klägerin jedoch keine ihr
günstigen Umstände herleiten. Zwar hatten im Streitfall die beiden
an der Operation beteiligten Ärzte, nämlich die den Eingriff
unmittelbar durchführende Beklagte zu 1) und ihr Assistent, der
Arzt Dr. Hennefründ, ihre Facharztbildung noch nicht ganz beendet,
sondern befanden sich beide im letzten Jahr der 5jährigen
Ausbildungszeit. Ein erfahrener Facharzt, nämlich der Oberarzt
Dr.·Pohlig, war zwar auf der Station anwesend und jederzeit er-
reichbar; er war jedoch nicht ständig anwesend.
Andererseits kann die Rechtsprechung des BGH aber auch nicht so
verstanden werden, daß die ständige persönliche Anwesenheit und
Eingriffsbereitschaft eines Facharztes ein unabdingbarer und stets
zur Beweiserleichterung zugunsten des Patienten im vorgenannten
Sinne begründender Umstand ist. Die Rechtsprechung des BGH beruht
auf der Forderung, daß ärztlicherseits der Standard der Behandlung
durch einen erfahrenen Facharzt geschuldet wird. Ein solcher Stan-
dard kann allerdings auch ohne die ständige persönliche Anwesen-
heit eines Facharztes geleistet werden. Unabdingbar ist die dau-
ernde Präsenz eines Facharztes deshalb nur dann, wenn nicht fest-
steht, daß der seine Facharztausbildung noch nicht ganz abge-
schlossen habende Operateur die wissenschaftlichen und technischen
Voraussetzungen für die Durchführung der Operation in einer den
fachärztlichen Standard gewährleistenden Weise beherrscht (Steffen
a.a.O. S. 74). Selbst wenn in solchen Situationen eine fachärztli-
che Aufsicht zumindest prinzipiell sicherheitshalber noch gewähr-
leistet sein muß, sind gleichwohl je nach dem Ausbildungsstandard
des Operateurs und seines Assistenten die Überwachungsanforderun-
gen modifizierbar.
Nach den den Streitfall prägenden Gesamtumständen war hier eine
ständige persönliche Anwesenheit des Facharztes Dr. Pohlig nicht
erforderlich. Es steht fest, daß die Beklagte zu 1) sich zum Zeit-
punkt des Eingriffs am 22. September 1988 im letzten Teil ihrer
5jährigen Facharztausbildung (Beginn 1. April 1984) befand. Nach
dem von den Beklagten dokumentierten Werdegang der Beklagten zu 1)
ist davon auszugehen, daß sie gerade auch für Operationen der
streitgegenständlichen Art das notwendige theoretische Wissen be-
saß und auch praktisch in der Lage war, Operationen dieser Art
selbständig durchzuführen. Zur Zeit der Operation der Klägerin
hatte sie die für die Anerkennung als Ärztin für Frauenheilkunde
und Geburtshilfe geforderten insgesamt 270 Operationen auf dem Ge-
biet der Gynäkologie bereits durchgeführt. Auf der Grundlage der
vorgelegten Beurteilungen der Beklagten zu 1) kann auch kein Zwei-
fel daran bestehen, daß man sich behandlungsseitig auf eine er-
folgreiche praktische Umsetzung der theoretischen und operations-
technischen Kenntnisse der Beklagten zu 1) verlassen konnte. Dabei
kann es nicht als ein Zeichen von Unsicherheit oder mangelnder
Fertigkeit angesehen werden, daß die Beklagte zu 1) sich im Ver-
lauf der Operation - auch im Zusammenhang mit den aufgetretenen
Blutungen - zweimal an den auf der Station anwesenden Oberarzt Dr.
Pohlig gewandt hat. Vielmehr deutet dies im Gegenteil auf eine be-
sondere Gewissenhaftigkeit der Beklagten zu 1) hin. Es dokumen-
tiert zugleich, daß ein erfahrener Facharzt zum Zeitpunkt der Ope-
ration jederzeit erreichbar war, um der Beklagten zu 1) und deren
Assistenten Dr.·Hennefründ, der sich im übrigen auch im letzten
Jahr der 5jährigen Facharztausbildung befand, notfalls mit Rat und
Tat zur Seite zu stehen. Unter diesen spezifischen Voraussetzungen
des Streitfalls war die permanente Anwesenheit eines Facharztes
bei der Operation der Klägerin nicht zwingend geboten.