Urteil des OLG Oldenburg vom 18.02.2004

OLG Oldenburg: berufungsschrift, versicherungsnehmer, rechtsmittelfrist, unfall, versicherungsschutz, versicherer, feststellungsklage, realisierung, gesundheit, ausnahme

Gericht:
OLG Oldenburg, 03. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 3 U 93/03
Datum:
18.02.2004
Sachgebiet:
Normen:
ZPO 519, BGB 305 c Abs 2, AGBG 5
Leitsatz:
1. Ist ein Streitgenosse (hier: VR) zugleich Streithelfer des anderen (hier: VN), so muss seiner
Berufungsschrift nebst beigefügten Unterlagen zweifelsfrei zu entnehmen sein, für wen das
Rechtsmittel eingelegt wird.
2. Die in einem Antragsformular für eine Pferdehaftpflichtversicherung enthaltene Klausel
„Kutschpferde sind nicht mitversicherbar“ ist unkklar i. S. v. § 305 c Abs. 2 BGB/§ 5 AGBG.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
3 U 93/03
5 O 983/02 Landgericht Oldenburg
Verkündet am 18. Februar 2004
... ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
U r t e i l
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
1. V... ,
Beklagte zu 1.,
2. M... aG vertreten durch die Vorstände ... ,
Beklagte zu 2. und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte zu 1:
Rechtsanwälte ... ,
Prozessbevollmächtigter zu 2:
Rechtsanwalt ... ,
gegen
R... ,
Kläger und Berufungsbeklagter
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ... ,
hat der 3. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht ... , den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht
erkannt:
Die für die Beklagte zu 1.) geführte Berufung gegen das am 17. September 2003 verkündete Urteil der 5.
Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird als unzulässig verworfen.
Die Berufung der Beklagten zu 2.) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zu 2.) zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beklagte zu 2.) wendet sich gegen das am 17. September 2003 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des
Landgerichts Oldenburg, durch welches festgestellt wurde, dass sie verpflichtet sei, der Beklagten zu 1.)
Deckungsschutz aus der mit dieser abgeschlossenen Tierhaftpflichtversicherung für das Pony T... wegen eines
Unfalls des Klägers vom 9. Dezember 2001 zu gewähren.
An diesem Tage hatte die Beklagte zu 1.) anlässlich einer Weihnachtsfeier des Reitvereins P... mit ihrem vor eine
ihr ebenfalls gehörende Kutsche gespannten Pony T... den als Weihnachtsmann verkleideten Kläger in die Reithalle
kutschiert. Dort ging das Pony aus zwischen den Parteien streitigem Grund durch und galoppierte unkontrolliert
durch die Halle. Beide Parteien sprangen von der Kutsche ab, wobei sich der Kläger verletzte.
Die Beklagte zu 2.) war dem Rechtsstreit zunächst auf Seiten der Beklagten zu 1.) beigetreten, nachdem ihr diese
den Streit verkündet hatte. Vor dem Hintergrund der Verweigerung der Einstandsverpflichtung durch die Beklagte zu
2.) hat der Kläger seine Klage sodann auch auf diese erstreckt.
Die Beklagte zu 2.) hat sich gegen ihre direkte Inanspruchnahme durch den Kläger gewandt und dabei darauf
verwiesen, dass sie zu diesem keine rechtlichen Beziehungen unterhalte. Überdies seien die Voraussetzungen,
unter denen die Beklagte zu 1.) aus dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung für einen dem Kläger entstandenen
Schaden aufzukommen habe, nicht erfüllt. Schließlich hat die Beklagte zu 2.) unter anderem auch darauf verwiesen,
dass sie zu einer Übernahme der Deckung nicht verpflichtet sei, da es in ihrem durch die Beklagte zu 1.)
unterzeichneten Antragsformular ausdrücklich und deutlich erkennbar heiße : „Kutschpferde sind nicht
mitversicherbar.“
Das Landgericht hat antragsgemäß festgestellt, dass die Beklagte zu 1.) verpflichtet sei, dem Beklagten jeden
materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, den er wegen des Unfalls vom 9. Dezember 2001 erlitten habe.
Hinsichtlich der Beklagten zu 2.) hat das Landgericht festgestellt, dass diese verpflichtet sei, der Beklagten zu 1.)
Deckungsschutz zu gewähren. Auf die Formulierung in dem Versicherungsantrag könne sie sich nicht berufen, da
der Haftungsausschluß überraschend und der Begriff „Kutschpferd“ zudem unklar sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte zu 2.) mit ihrer Berufung, zu deren Begründung sie ihren
erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Im Termin am 28. Januar 2004 hat sie erklärt, dass sich ihr
Rechtsmittel auch gegen die Verurteilung der Beklagten zu 1.) richte.
Die Beklagte zu 2.) beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Sach und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten zu 2.) gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 17.
September 2003 war als unzulässig zu verwerfen, soweit es sich gegen die Verurteilung der Beklagten zu 1.) richtet.
Im Übrigen ist ihr Rechtsmittel zwar zulässig, aber nicht begründet und daher zurückzuweisen.
A.
Soweit die Beklagte zu 2.) ihre Berufung im Termin am 28. Januar 2004 auch auf die die Beklagte zu 1.) betreffende
Verurteilung erstreckt hat, ist sie unzulässig.
Zwar war der Beklagten zu 2.) als Streithelferin der Beklagten zu 1.) gemäß § 67 ZPO eine Rechtsmitteleinlegung
auch für diese möglich, dies aber nur während des Laufs der für die Beklagte zu 1.) geltenden Rechtsmittelfrist (vgl.
Vollkommer in Zöller, ZPO, 24. Auflg., § 67 Rdnr. 5 m.w.N.). Das angefochtene Urteil ist der Beklagten zu 1.) am 6.
Oktober 2003 zugestellt worden. Während des Laufs der einmonatigen Rechtsmittelfrist des § 517 ZPO ist eine
Berufungseinlegung auch namens der Beklagten zu 1.) nicht erfolgt.
Ein derartiges Rechtsmittel läßt sich aus der Berufungsschrift der Beklagten zu 2.) vom 3. November 2003 nicht
ersehen. In dem Schriftsatz vom
3. November 2003 ist vielmehr ausdrücklich davon die Rede, dass „namens und im Auftrag der Beklagten Ziff. 2“
Berufung eingelegt werde. Zwar muss der Streithelfer normalerweise keine ausdrückliche Erklärung dazu abgeben,
dass das Rechtsmittel namens der Hauptpartei eingelegt werde (vgl. Vollkommer a.a.O.). Anders ist dies aber dann
zu beurteilen, wenn der Streithelfer darüber hinaus Partei geworden ist und mithin die Wahl hat, das Rechtsmittel nur
für sich, nur für den unterstützten Streitgenossen oder für alle beide zu führen. In diesem Fall muss eindeutig
klargestellt werden, für wen das Rechtsmittel eingelegt wird.
An die Bezeichnung des Rechtsmittelklägers sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Diesbezügliche
Versäumnisse sind nur dann unschädlich, wenn sich aus den beigefügten Unterlagen bis zum Ablauf der
Rechtsmittelfrist im Wege der Auslegung zweifelsfrei erschließt, für wen das Rechtsmittel eingelegt ist (vgl. Ball in
Musielak, ZPO, 2. Auflg., § 519 Rdnr. 7 unter Hinweis insbes. auf BGH NJW 1999, 1554, 1555).
Das ist vorliegend nicht der Fall. In der Berufungsschrift vom
3. November 2003 heißt es, dass „namens und im Auftrag der Beklagten Ziff. 2“ Berufung eingelegt werde. Der
Berufungsschrift sowie der dieser beigefügten Kopie des angefochtenen Urteils (ohne Entscheidungsgründe) ist nicht
zu entnehmen, dass die Beklagte zu 2.) auch Streithelferin der Beklagten zu 1.) war. Die Verfahrensakten, aus
denen sich dieser Umstand ergibt, sind erst am 20. November 2003, und damit nach Ablauf der Berufungsfrist bei
dem Oberlandesgericht eingegangen.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 2.) erstmalig im Termin am 28. Januar 2004 zum Ausdruck
gebracht hat, dass sich die Berufung „in der Funktion der Beklagten zu 2.) als Streithelferin der Beklagten zu 1.)“
auch gegen die diese betreffende Verurteilung richte, ist das hierin zu erblickende Rechtsmittel verspätet und daher
als unzulässig zu verwerfen.
B.
Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten zu 2.) zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
I.
Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, die Berufung sei bereits wegen Mängeln der Berufungsbegründung
unzulässig, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Ihm ist allerdings zuzugeben, dass sich die
Berufungsbegründung im Hinblick auf den Versicherungsausschluss für Kutschpferde, den das Landgericht für
unwirksam gehalten hat, weil diese Klausel zum einen überraschend und zum anderen unklar sei, lediglich mit der
Frage des Vorliegens einer überraschenden Klausel auseinandersetzt, während es die gleichfalls angenommene
Unklarheit der Ausschlussklausel unerörtert läßt. Ob dies zur Unzulässigkeit der Berufung führen würde, falls sich
die Berufungsbegründung auf diesen Punkt beschränkt hätte, bedarf keiner Entscheidung, denn eine Berufung ist
immer dann insgesamt zulässig, wenn sie zumindest in einer den ganzen Anspruch erfassenden Rüge zureichend
begründet wurde (vgl. Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 24. Auflg., § 520 Rdnr. 37).
Dies ist vorliegend der Fall, da sich die Berufungsbegründung der Beklagten jedenfalls in zureichend begründeter
Weise unter anderem auch darauf stützt, dass der Unfall vom 9. Dezember 2001 nicht die Realisierung einer
„Tiergefahr“ darstelle, sondern auf einen technischen Defekt der Kutsche zurückgehe und daher nicht von dem durch
sie im Rahmen der abgeschlossenen Tierhalterversicherung gewährten Versicherungsschutz umfasst sei. Führt die
Beklagte auf diese Weise einen zulässigen Berufungsangriff, der bereits für sich betrachtet geeignet ist, das
angefochtene Urteil insgesamt zu Fall zu bringen, so ist sie nicht gehindert, ihr Rechtsmittel darüber hinaus auch auf
anderer Aspekte zu stützen, deren Darstellung in der Berufungsbegründung isoliert nicht den Anforderungen an eine
zulässige Rechtsmittelbegründung genügen mag.
II.
1. Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 2.) ist der gegen sie gerichtete Feststellungsantrag trotz des Fehlens
rechtlicher Beziehungen zwischen ihr und dem Kläger zulässig.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann auch ein Drittrechtsverhältnis Gegenstand einer
Feststellungsklage sein, falls dieses zugleich für die Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander von Bedeutung
ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Klärung hat (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 24. Auflg., §
256 Rdnr. 3b m.w.N.). Dies ist auch dann der Fall, wenn dem Dritten der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt
entzogen zu werden droht oder der Versicherer seine Eintrittspflicht verneint und der Versicherungsnehmer hiergegen
nichts unternimmt (vgl. Voit in Prölls/Martin, VVG, 26. Auflg., § 156 Rdnr. 1; BGH VersR 2001, 90, 91; OLG Köln
VersR 2002, 730 f.).
2.) Auch soweit die Berufungsbegründung weiter darauf abstellt, dass der Unfall vom 9. Dezember 2001 nicht die
Folge einer „Tiergefahr“ darstelle, sondern auf einen technischen Defekt der Kutsche zurückgehe und deshalb nicht
von dem durch sie im Rahmen der abgeschlossenen Tierhalterversicherung gewährten Versicherungsschutz umfasst
sei, ist ihr nicht zu folgen. Der von der Beklagten zu 2.) gewünschten Beweiserhebung zur Frage des behaupteten
Defekts der Kutsche bedarf es nicht. Selbst wenn sich ein Teil der Kutsche gelöst hat und dem Pony von hinten auf
die Beine gefallen ist, ist die Verletzung des Klägers nicht hierdurch unmittelbar bewirkt worden, sondern es handelte
sich lediglich um den Auslöser für das dann folgende unkontrollierte Angaloppieren und Ausschlagen bzw.
„Durchgehen“ des Ponys, in dem sich die von der Haftungsbestimmung des § 833 BGB erfasste „typische
Tiergefahr“ realisiert hat.
Die vom Kläger erlittenen Verletzungen sind letztlich dadurch verursacht worden, dass sich die durch die
Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens hervorgerufene Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum
verwirklicht hat (BGHZ 67, 129), und zwar unabhängig davon, ob diese Folge durch einen zuvor eingetretenen
technischen Defekt ausgelöst wurde. Hätte das Pony die Kutsche nämlich nicht in der geschehenen Weise
weitergezogen, nachdem ihr – so die Darstellung der Beklagten zu 1.) in ihrem Schriftsatz vom 3. Mai 2002 – ein
Teil derselben auf die Hinterbeine gefallen war, so wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu
den eingetretenen Verletzungsfolgen gekommen. Der Kläger hätte sich vielmehr unversehrt entfernen können.
3. Für den bei dem Unfall entstandenen Schaden ist die Beklagte zu 2.)
auch aus dem mit der Beklagten zu 1.) geschlossenen Tierhalterhaftpflichtversicherungsvertrag
einstandsverpflichtet.
Der in dem von der Beklagten zu 1.) unterzeichneten Antragsformular der Beklagten zu 2.) unter der Überschrift
„Pferdehaftpflichtversicherung“ in Schrägdruck hervorgehoben der Hinweis „Kutschpferde sind nicht mitversicherbar
!“ vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen.
Versicherungsrechtliche Vertragsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein rechtlich nicht vorgebildeter
durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger
Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen
muss (vgl. BGH NJWRR 99, 1473).
Unter Zugrundelegung dieser Kritereien vermag der Senat keinen eindeutigen Sinngehalt der Klausel festzustellen.
Auf der einen Seite könnte die Klausel so verstanden werden, dass Pferde gleich welcher Art zwar grundsätzlich
versichert sind, jedoch mit Ausnahme der Zeiträume, in denen sie als Kutschpferde verwendet werden. Auf der
anderen Seite erscheint angesichts der Tatsache, dass die Beklagte zu 2.) dies eben nicht klargestellt, sondern die
Formulierung gewählt hat, dass „Kutschpferde“ nicht „versicherbar“ seien, ebenso die Auslegung möglich, dass
Pferde, die nach dem Schwerpunkt ihrer Verwendung als ausgesprochene „Kutschpferde“ gelten müssen, generell
nicht versichert werden können, während der lediglich gelegentliche Einsatz anderer Pferde vor einer Kutsche
unschädlich ist.
Verbleiben nach der Auslegung zumindest zwei, nicht notwendig gleichwertige, Auslegungsmöglichkeiten, so gilt die
für den Versicherungsnehmer günstigste Lösung, denn es obliegt dem Verwender von vorformulierten vertraglichen
Bestimmungen, diese klar und unmissverständlich zu fassen. Misslingt ihm das, so geht dies zu seinen Lasten.
Für die Beklagte zu 1.) günstigste Variante ist hier die zweite Auslegungsmöglichkeit, denn das Pony T... ist nach
ihrem unbestrittenen Vorbringen erstmals zur Weihnachtsfeier 2000 und danach nur gelegentlich als Kutschtier
verwendet worden.
C.
Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung
hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung
des Revisionsgerichtes nicht erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den
§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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