Urteil des OLG Oldenburg vom 06.05.1997

OLG Oldenburg: diabetes mellitus, resektion, operation, eingriff, assistenzarzt, chirurgie, kapital, krankheit, anfang, fahren

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 162/96
Datum:
06.05.1997
Sachgebiet:
Normen:
Keine Normen eingetragen
Leitsatz:
Anfang der 90er Jahre war es nicht behandlungsfehlerhaft, an stelle der Pankreaskopfresektion die
hergebrachte Pankreasschwanzresektion zu wählen - Substantiierung der Passivlegitimation.
Volltext:
T a t b e s t a n d :
Der Kläger begehrt Ersatz materieller und immaterieller Schäden (Kapital und Rente) sowie Feststellung der
Ersatzpflicht für zukünftige Schäden im Zusammenhang mit einer teilweisen Entfernung der Bauspeicheldrüse
(Pankreas-Links-Resektion) im Krankenhaus der Beklagten zu 1) durch den Beklagten zu 2) - Leitender Arzt der
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin - mit seinem Assistenzarzt, dem Beklagten zu 5), und dem
Beklagten zu 3) - Leitender Arzt der Chirurgie - mit seinem Assistenzarzt, dem Beklagten zu 4). Die Beklagte zu 6)
ist Lieferantin für Blutplasma.
Der Kläger leidet seit 1982 an Pankreatitisschüben. Anläßlich einer stationären endoskopischen Gangdarstellung
(ERCP) Ende 1989 trat nach einer Papillotomie mit spontanem Abgang eines linsengroßen weißen Steins sofortige
Schmerzfreiheit ein. Bei der wegen erneuter Schmerzen erfolgten Aufnahme im Krankenhaus der Beklagten zu 1)
am 14.5.1990 ergaben die erhobenen Befunde diagnostisch eine chronisch kalzifizierende (verkalkende) Pankreatitis
mit nachgewiesenem Pankreas Divisum. Da eine endoskopische Kanülierung der Nebenpapille wegen Veren-
gung ausschied, wurde der Kläger am 22.5.1990 zur Anlage einer äußeren Darmfistel (Pancreatio-Jejunostomie) in
die Chirurgie verlegt. In den vom Kläger unterzeichneten Merkblättern zur Drainageoperation an der
Bauchspeicheldrüse und zu der Anästhesie werden u.a. Infektions- und Blutungsrisiken mit evtl. notwendig
werdenden Bluttransfusionen und die
Möglichkeit einer Operationsausdehnung auf die Milz angesprochen.
In dem Operationsbericht vom 29.5.1990 ist u.a. folgendes festgehalten:
"Es liegen erhebliche Verwachsungen vor. Es scheint ein subakuter chronischer, entzündlicher Prozeß des
Pankreas zu bestehen. Eingehen in die Bursa omentalis. Hierbei ist erkennbar, daß im Bereich des
Prankreasschwanzes stark entzündliche Verwachsungen vorliegen. Durch Narben scheint das Pankreas am
Übergang Korpus-Schwanz obliteriert zu sein. Der gesamte Bereich Pankreasschwanz und Milz ist in einem
Konglomerattumor entzündlicher Genese verwachsen. Bei diesem Befund kommt eine angestrebte Pancreatio-
Jejunostomie nicht in Frage, sondern die einzig sinnvolle Maßnahme ist die Links-Resektion des Pankreas. Bei
anschließender Pankreas-Links-Resektion unter Mitnahme der Milz und Anlage einer Pancratico-Jejunostomie trat
ein erheblicher Blut-
verlust auf, so daß mehrere Bluttransfusionen erforderlich waren. Wegen diffuser Blutung aus dem linksseitigen
Retroperitoneum erfolgte eine Tamponade der linken Bauchhöhle."
Der Kläger hat behauptet, die gesamten Behandlungen nach der Operation vom 29.5.1990 seien durch ärztliche
Behandlungsfehler und durch mit dem HCV-Virus kontamiertes Blutplasma bedingt. Fehlerhaft sei insbesondere die
Resektion des Pankreasschwanzes und der Milz im entzündeten Gebiet gewesen, die den Blutverlust mit der
Notwendigkeit von Bluttransfu-
sionen verursacht hätte. Er sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, daß Bluttransfusionen mit der Möglichkeit des
Vorhaltes von Eigen- oder Verwandtenblut erforderlich werden könnten.
Das Landgericht hat sachverständig beraten die Klage abgewiesen. Die Operation sei aufgrund des intraoperativen
Situs nach dem medizinischen Wissensstand von 1990 indiziert gewesen und fehlerfrei nach ausreichender
präoperativer Aufklärung durchgeführt worden.
Mit der dagegen eingelegten und nur gegen die Beklagten zu 1) - 5) durchgeführten Berufung verfolgt der Kläger sein
Klagebegehren unter Reduzierung der Schmerzensgeldvorstellung auf mindestens 50.000,00 DM Kapital und 500,00
DM Monatsrente weiter.
Unter ergänzender Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen bekräftigt er einen Vorwurf einer fehlerhaften
Behandlung. Die Operateure hätten das falsche Operationsverfahren gewählt; Methode der Wahl sei bereits damals
die Pankreaskopfresektion gewesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Landgericht aufgrund der Aufklärung der medizinischen Zusammenhänge durch den
Sachverständigen mit seinem eingehend mündlich erläuterten schriftlichen Gutachten die Klage abgewiesen. Danach
lassen sich weder Defizite bei der Behandlung und der Aufklärung noch der erforderliche Zusammenhang vom
Behandlungsgeschehen - insbesondere der
Pankreasoperation vom 29.5.1990 - und dem Beschwerdebild feststellen. Die Angriffe der Berufung greifen
demgegenüber nicht durch. Für eine weitergehende sachverständige Abklärung bzw. Erläuterung besteht kein Anlaß.
Eine Haftung der Beklagten zu 2) und 5) begegnet bereits deswegen Zweifeln, weil Versäumnisse aus dem Bereich
der Anaesthesie, für die der Chefanaesthesist und sein Assistent einzutreten hätten, nicht näher problemisiert
werden und auch sonst kein weiterer Anhalt für etwaige
Behandlungsfehler oder Aufklärungsmängel ersichtlich ist, für die die Anaesthesisten einzustehen hätten.
Das gleiche gilt im Ergebnis für den Beklagten zu 4) Hinblick auf Vorwürfe betreffend die Tätigkeit eines
Assistenzchirurgen.
Jedenfalls vermögen aber die von der Berufung weiterhin geltend gemachten zentralen Vorwürfe betreffend Wahl und
Durchführung der unter der Leitung des Beklagten zu 3) vorgenommenen Pankreas-Links-Resektion weder
vertragliche noch deliktische Ersatzansprüche des Klägers zu begründen.
Die ursprünglich nach den präoperativen Befunderhebungen angestrebte Anlage einer Darmfistel ließ sich unstreitig
nach dem intraoperativ vorgefundenen Zustand der beteiligten Organe, wie er in dem Operationsbericht niedergelegt
ist, nicht mehr durchführen. Fehlleistungen bei der präoperativen Diagnostik und weiteren Operationsvorbereitung
sind nach Auswertung der Krankenunterlagen durch den Sachverständigen nicht festzustellen und auch nicht - wie
die
Berufung meint - aus dem bloßen Umstand abzuleiten, daß der Situs nach Eröffnung des Bauchraumes sich anders
darstellte, als er zu erwarten war.
Das Beschwerdebild indizierte jetzt einen resizierenden Eingriff.
Insoweit hat der Sachverständige zwar in seinem schriftlichen Gutachten und auch bei der mündlichen Erläuterung
angegeben, daß bereits im Operationszeitraum eine Pankreaskopfresektion als Verfahren erster Wahl der
vorgenommenen Resektion im Schwanzbereich vorzuziehen gewesen wäre. Er hat aber ebenso klar ausgeführt, daß
das vom Beklagten zu 3) ge-
wählte Verfahren nicht falsch gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt lagen dem Sachververständigen zufolge lediglich
die 1987 veröffentlichten Operationsverfahren im Kopfbereich nach Frey vor. Erst Studien aus den Jahren 1992 bis
1995 haben statistisch den Vorteil von Drainagever-
fahren vor rein resizierenden Verfahren belegt. Demgegenüber ist es nicht als fehlerhaft im Sinne eines Abweichens
von dem geschuldeten medizinischen fachärztlichen Standard zu bewerten, wenn der Beklagte zu 3) sich für die
jedenfalls bis dahin in solchen Fällen anerkannte Be-
handlungsmethode entschied, die er bei einem der damals führenden Pankreaschirurgen Deutschlands gelernt hatte
und die er gerade für Krankheitsbilder dieser Art im Interesse einer Minimierung des Risikos für den Patienten voll
beherrschte. Dementsprechend hält der Beklag-
te zu 3) nach wie vor das von ihm gewählte Verfahren für geeigneter, da die Voraussetzungen für eine Duodenum
erhaltende Pankreaskopfresektion - Sekretableitung aus dem Pankreasschwanz in die anastomisierte
Dünndarmschlinge - mangels eines durchgängigen Prankreasganges im Pankreasschwanz nicht vorgelegen hätten.
Diesem medizinischen Streit brauchte der Senat jedoch nicht weiter nachzugehen. Denn auch der Sachverständige
hält das gewählte Verfahren für noch vertretbar. Angesichts des von ihm dargelegten Wandels Ende der
achtziger/Anfang der neunziger Jahre in den medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnissen über das zu
empfehlende operative Eingriffsverfahren bei Bauchspeicheldrüsenentzündungen ist es dem Beklagten zu 3) nicht
als fehlerhaftes Vorgehen anzulasten, wenn er sich für ein anerkanntes Verfahren entschied, selbst wenn ein anderer
Fachkollege dies nur als gerade noch vertretbar bzw. angängig qualifiziert. Der vom Kläger erhobene Vorwurf
widersprüchlicher und nur unter dem Druck des Beklagten zu 3) gefälligkeitshalber erfolgter Äußerungen bei der
mündlichen Begutachtung gegenüber der schriftlichen ist nicht gerechtfertigt.
Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch alle anderen Beanstandungen des Klägers als unbegründet.
Es ist eine Frage der Einschätzung im konkreten Einzelfall, ob in einen entzündlichen Bereich der
Bauchspeicheldrüse hineinoperiert werden soll; daß dem Beklagten zu 3) als den dafür verantwortlichen
chirurgischen Operationsleiter diesbezüglich eine Fehleinschätzung vorzuwerfen
sein könnte, hat der Sachverständige gerade nicht bestätigt. Auch der Vorwurf fehlender Effizienz des
Operationsverfahrens insbesondere in Bezug auf die Schmerzlinderung verliert angesichts der - wie ausgeführt - als
behandlungsfehlerfrei zu billigenden Entscheidung des Chirurgen ebenso seine Bedeutung wie der, die Entfernung
von Pankreasschwanz und Milz sei unverständlich. Der Sachverständige hat zu Letzterem sogar ausdrücklich
hervorgehoben, daß die Mitnahme der Milz angesichts der intraoperativ vorgefundenen Gefäßversorgung und
Überwucherung mit einem Konglomerattumor schlechthin unvermeidbar war. Nicht bestätigen
konnte der Sachverständige schließlich, daß es bei der von ihm favorisierten Methode nicht zu erheblichen
Blutverlusten mit der Notwendigkeit von Bluttransfusionen gekommen wäre, so daß insoweit auch der
Ursachenzusammenhang offen geblieben ist. Operationsfehler hat der
Sachverständige nach Auswertung aller Krankenunterlagen nicht feststellen können. Sie lassen sich - entgegen der
Ansicht der Berufung - daher auch nicht durch die dokumentierten Blutungen aus der Nierenkapsel stützen. Der
Vorhalt, präoperativ sei der Frage der Gerinnungsfähigkeit unzureichend nachgegangen worden, entbehrt jeglicher
Grundlage. Die Erhebung eines Gerinnungsstatus gehört laut Sachverständigem zu den Selbstverständlichkeiten
und ist auch
bei dem Kläger durchgeführt worden und hat keinen Hinweis auf vermehrte Blutungsneigungen ergeben.
Schließlich erweisen sich auch die Aufklärungsrügen insgesamt als haltlos. Zu Recht hat das Landgericht die
dokumentationsgerechte Eingriffsaufklärung für die in Aussicht genommene Operation als ausreichend angesehen.
Auch der Kläger erhebt dagegen keine ernsthaften Einwände. Die vermißte Unterrichtung über die Möglichkeit einer
Kopfresektion als angebliche Operationsmethode der Wahl und die - von der Berufungserwiderung erheblich
bestrittene - Möglichkeit von Eigen- bzw. Verwandtenblutspenden verfängt bereits deswegen nicht, weil ein
ganz anderer Eingriff geplant war, für den diese Aufklärungen nicht geschuldet waren. Abgesehen davon übersieht
der Kläger in diesem Zusammenhang, daß es gerade offen ist, worauf die HCV-Infektion und Erkrankung an
Diabetes mellitus beruht. Erleichterungen für den von
ihm zu führenden Beweis der Kausalzusammenhänge stehen ihm nicht zur Seite. Das gilt auch für die
Sekundärfolgen, bei denen das Beweismaß des § 287 ZPO gilt. Insoweit fehlt es an den feststehenden
Anknüpfungstatsachen. Laut Sachverständigem ist letztlich ungeklärt, ob der Diabetes auf die Grunderkrankung
Pankreatitis oder die Resektion zurückzuführen ist. Für eine hohe Wahrscheinlichkeit des Eingriffszusammenhangs
fehlt es aber an dem erforderlichen Auf-
tritt der Krankheit in der postoperativen Jahresfrist. Entsprechende Krankheitswerte hat der Sachverständige in den
Krankenunterlagen nicht vorgefunden. Auch der Kläger muß insoweit selbst einräumen, daß die Krankheit erst
"später" erkannt worden ist.