Urteil des OLG Oldenburg vom 21.11.1994

OLG Oldenburg: versicherungsrecht, beweisführung, strafverfahren, ermittlungsverfahren, verwertung, geschichte, eingriff, biopsie, belastung, schlichtungsverfahren

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 92/95
Datum:
21.11.1994
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 415, ZPO § 410
Leitsatz:
Verwertung eines im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erstatteten Gutachtens -
Prostataverhärtung indiziert eine Gewebeentnahme - Kein Anscheinsbeweis für
Prostatitiszusammenhang
Volltext:
Das Landgericht hat unter verfahrensfehlerfreier Verwertung des
im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Aurich eingeholten
Gutachtens der MHH die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger
weder einen Behandlungsfehler noch den erforderlichen Ursachenzu-
sammenhang hat beweisen können.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, daß
ein in einem anderen Verfahren erstattetes Gutachten im Wege des
Urkundsbeweises - wie hier geschehen - verwertet werden darf (vgl.
nur BGH MDR 1995, 994 f - Strafverfahren-; Versicherungsrecht 1992,
714, 716 - Zivilverfahren - ; Versicherungsrecht 1987, 1091 f =
MDR 1987, 1018 - Schlichtungsverfahren -; Versicherungsrecht 1982,
793, 795 = MDR 1982, 996 - Strafverfahren -; Baumbach/Lauterbach/
Hartmann, ZPO, 52. Aufl., Übersicht vor § 402 Rdn.12). Nur wenn
die Ausführungen in diesem Gutachten nicht ausreichen, um die von
einer Partei dazu gestellten aufklärungsbedürftigen Fragen zu
beantworten, muß das Gericht einen Sachverständigen hinzuziehen
und eine schriftliche oder mündliche (ergänzende) Begutachtung
anordnen (zustimmend: Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-
Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Seite 225).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.
Das Gutachten der MHH berücksichtigt alle relevanten vom Kläger
aufgeworfenen Umstände und beantwortet die entscheidungserhebli-
chen Fragen in überzeugender und widerspruchsfreier Weise; Zweifel
an der notwendigen Sachkunde sind nicht ersichtlich und werden
auch vom Kläger nicht behauptet.
Die Indikation für eine Gewebeentnahme bestand wegen der diagno-
stizierten - und auch von den Gutachtern nach der Untersuchung des
Klägers bestätigten - Verhärtung der Prostata, die eine solche Ab-
klärung medizinisch gebietet. Die vom Kläger in diesem Zusammen-
hang weiterhin angesprochenen Laboruntersuchungen (u.a. Bestimmung
der PSA-Werte und der Restharnwerte) sowie die Ultraschalluntersu-
chung haben darauf keinen Einfluß; sie machen insbesondere eine
Gewebeuntersuchung nicht entbehrlich. Solche zusätzlichen Befund-
erhebungen einschließlich der vom Kläger in der mündlichen Ver-
handlung vor dem Senat noch einmal ausdrücklich angesprochenen
Sonographie vermögen die grundsätzlich bestehende Indikation für
eine Gewebeentnahme aufgrund der festgestellten Prostataverhärtung
nicht in Zweifel zu ziehen. Auch in diesem Punkt ist das Gutachten
unmißverständlich. Es überzeugt, wenn diese Maßnahmen von den
Sachverständigen als bloße Zusatzuntersuchungen eingeordnet wer-
den, die den erhobenen Turmorverdacht nicht auszuräumen vermögen.
Demgegenüber hat der Kläger keine Fragen aufgeworfen, die es durch
weitere zusätzliche oder ergänzende sachverständige Beratung abzu-
klären gilt. Erstinstanzlich ist die Sachverständigenanhörung
nicht beantragt worden. Sie ist auch nach dem Vorbringen des Klä-
gers in der Berufungsinstanz nicht veranlaßt, geschweige denn, daß
ihr von Amts wegen nachzugehen wäre. Die bloße Behauptung des Klä-
gers, die Ausführungen im Gutachten seien insoweit "unkorrekt",
vermögen die nachgesuchte weitere sachverständige Aufbereitung in-
haltlich nicht zu stützen.
Gleiches gilt für die Angriffe des Klägers gegen die vom Landge-
richt fehlerfrei getroffene Feststellung, ein ursächlicher Zusam-
menhang zwischen Behandlung und einer Prostatitis, auf die der Klä-
ger seine Beschwerden zurückführt, seien nicht festzustellen. Die
Sachverständigen haben die entsprechende Frage nach der Wahr-
scheinlichkeit eines solchen Zusammenhangs aus heutiger Sicht
nicht zu beantworten vermocht. Ein wenn auch seltener so doch
grunsätzlich möglicher entsprechender Zusammenhang reicht für die
dem Kläger obliegende Beweisführung nicht aus. Ihrer Beurteilung
haben die Sachverständigen ausweislich der den Gutachten vorange-
stellten Grundlagen (Krankenunterlagen, Angaben des Klägers, eige-
ne Untersuchung des Klägers) und der sodann dargestellten Kranken-
geschichte die feingewebliche Untersuchung von Prof. Dr. B vom
18.4.1991 zugrunde gelegt sowie, daß bis zu dem angegebenen Auf-
treten der Prostatitis sich der Kläger keinem weiteren Eingriff hat
unterziehen müssen. Seine Behauptung in der Berufungsinstanz, das
Fehlen eines zwischenzeitigen Eingriffs belege den Ursachenzu-
sammenhang, geht demgegenüber ins Leere. Auch der Zeitablauf vom
Eingriff bis zum Auftreten der Prostatitis bei durch die Urinun-
tersuchung am 24.4.1991 ausgewiesener Infektionsfreiheit begründet
Zweifel an dem vom Kläger angenommenen Ursachenzusammenhang. Ein
nur wahrscheinlicher Zusammenhang, von dem auch der Kläger erstin-
stanzlich ausgegangen ist, genügt für die Beweisführung nicht. An-
gesichts der fehlenden Typizität von medizinischen Geschehens-
abläufen und Krankheitsverläufen einschließlich der gerichtsbe-
kannten Vielfalt von Ansteckungs- und Entzündungsursachen stehen
dem Kläger die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht beweiser-
leichternd zur Seite.
Fehlt es aber an dem Kausalitätsnachweis, braucht der Senat - wie
bereits das Landgericht - den vom Kläger weiterhin erhobenen Auf-
klärungsrügen nicht nachzugehen.
Allein die Durchführung der Biopsie - bei unterstellter unzurei-
chender Aufklärung insoweit - kommt mangels anzuerkennender kör-
perlicher Belastung für eine schadensersatzbegründende Handlung
nicht in Betracht.