Urteil des OLG Oldenburg vom 18.03.1992

OLG Oldenburg: beleidigung, ordnungswidrigkeit, rechtfertigungsgrund, gewaltanwendung, versuch, verbotsirrtum, wache, nötigung, behandlung, ehre

Gericht:
OLG Oldenburg, unbekannt
Typ, AZ:
Beschluß, SS 25/92
Datum:
18.03.1992
Sachgebiet:
Normen:
STGB § 239 ABS 1, STGB § 240 ABS 1, OWIG § 53 ABS 1
Leitsatz:
Zur Beleidigung durch einen Ausdruck aus dem Fäkalbereich und zur Be- grenzung polizeilicher
Ermittlungen und der Anwendung von Zwangsmitteln bei Ordnungswidrigkeiten nach dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Volltext:
Das Landgericht hat eine Beleidigung des Zeugen K. durch den
Angeklagten Polizeimeister H. darin gesehen, daß dieser zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten dem Zeugen auf
seine Fragen, was die
Angeklagten wollten und wer sie seien, erwiderte, das gehe den
Zeugen "einen Scheißdreck an"; nach Auffassung des Landgerichts
hat der Angeklagte damit zweimal die Mißachtung der Ehre des Zeu-
gen kundgegeben. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Über-
prüfung nicht stand.
Für die Frage, ob die Verwendung eines bestimmten Ausdrucks eine
Ehrverletzung und damit eine Beleidigung darstellt, sind die Um-
stände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend. Auszugehen ist einmal
davon, daß es keine schlechthin beleidigenden Ausdrücke gibt, wenn
auch bei manchen Arten von Äußerungen der Charakter eine bewußten
Herabsetzung näher liegen mag als bei anderen, und daß anderer-
seits die gesamten Begleitumstände wie zum Beispiel die Sprachge-
wohnheiten der Beteiligten und die tatsächlichen Gegebenheiten,
unter denen die Äußerung ausgesprochen wird, einschließlich der
Beziehungen unter den beteiligten Personen zur Auslegung heranzu-
ziehen sind. Über die Sprachgewohnheiten sowohl der Angeklagten
wie auch des Zeugen K. hat das Landgericht keine Feststellungen
getroffen; unbekannt ist daher namentlich das sprachliche Niveau
des Zeugen, während bei den Angeklagten davon auszugehen ist, daß sie
als Beamte des Polizeivollzugsdienstes oder (damals) des kriminal-
polizeilichen Dienstes zumindest in der Lage sind, innerhalb des
Dienstes ihre sprachlichen Äußerungen dem Standard anzupassen, der
der gebotenen Sachlichkeit bei der Dienstausübung entspricht. Auch
ohne solche Feststellungen sieht der Senat sich jedoch in der
Lage, für den hier vorliegenden Fall den Tatbestand der Beleidi-
gung für beide Fälle auszuschließen. Denn nicht jede sprachlich
unangemessene Behandlung eines anderen durch die Verwendung
grober, auch - wie hier - den Fäkalbereich berührender Ausdrücke
muß - ebensowenig wie jede bloße Unhöflichkeit - eine Beleidigung
sein. Wo im Einzelfall die Grenze zu ziehen ist, mag dahinstehen;
wenn, wie hier der Ausdruck aus dem Fäkalbereich nicht (wie etwa
im Fall der Senatsentscheidung JR 1990, 127) unmittelbar mit der
Person des Angesprochenen in Verbindung gebracht wird und wenn die
festgestellten äußeren Umstände, unter denen die Äußerung fiel,
keinerlei Anhaltspunkte für ein Vorhaben des Angeklagten bieten,
den Zeugen anzugreifen oder herabzusetzen, so ist der Tatbestand
der Beleidigung nicht erfüllt.
Die Verurteilung beider Angeklagter wegen gemeinschaftlich began-
gener tateinheitlicher Freiheitsberaubung und Nötigung hält der
rechtlichen Überprüfung stand. Der Senat beschränkt sich insoweit
auf folgenden Hinweis:
Daß der Zeuge K. durch das Überschreiten der Kreuzung bei Rotlicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt
hatte, steht außer Zweifel. Bedenklich kann hingegen die Auffassung des Landgerichts erscheinen, daß dem Zeugen
insoweit ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stand; es ist nicht ersichtlich, ob das Überschreiten trotz Rotlicht
unumgänglich war, wenn der Zeuge die Personalien der Angeklagten feststellen wollte, und ob es nicht zeitlich völlig
ausgereicht haben würde, das Erscheinen des Grünlichts (erfahrungsgemäß innerhalb eines Zeitraums von höchtens
einer Minute) abzuwarten. Zuzustimmen ist aber dem Landgericht
jedenfalls dahin, daß das Verhalten der Angeklagten im Hinblick
auf Gewicht und Bedeutung dieser Ordnungswidrigkeit und auch der
etwa begangenen Personalienverweigerung nach § 111 OWiG gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieß. Überdies ist auch
nicht ersichtlich, ob es nicht den Angeklagten möglich und zuzumu-
ten war, den Zeugen K. ohne Gewaltanwendung zum Verweilen in
der Dienststelle zu bewegen und die gewünschten Personalienfest-
stellungen durch eine andere Kraft, sei es die in der Kriminal-
wache anwesende Zeugin L., sei es durch einen fraglos im Hause
ebenfalls erreichbaren Oberbeamten, treffen zu lassen; einen sol-
chen Versuch haben die Angeklagten den Feststellungen zufolge
nicht einmal unternommen. Daß das Landgericht ein vorsätzliches
Verhalten der Angeklagten festgestellt hat und daß es einen etwa
bestehenden Verbotsirrtum als vermeidbar angesehen hat, ist aus
Rechtsgründen nicht beanstanden.