Urteil des OLG Oldenburg vom 20.01.2003

OLG Oldenburg: abgabe, kindesentführung, niedersachsen, beschwerdeinstanz, haus, rückgabe, aufzählung, kompetenz, anweisung, anfechtung

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 2 UF 4/03
Datum:
20.01.2003
Sachgebiet:
Normen:
HKÜ, SorgeRÜbkAG 5 Abs 1 S 2, ZPO 621 e Abs 4
Leitsatz:
1. Für Entscheidungen nach dem Haager Übereinkommen über Kindesentführung ist in Niedersachsen
seit dem 1.8.2002 erstinstanzlich ausschließlich das Amtsgericht Celle zuständig.
2. Auf die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung eines danach unzuständigen Amtsgerichts
hat das Beschwerdegericht das Verfahren von Amts wegen an das Amtsgericht Celle abzugeben.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
2 UF 4/03
5 F 1420/02 HK Amtsgericht Oldenburg
B e s c h l u s s
In der Familiensache
M... A..., ..., ... B.../Frankreich,
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt ...
gegen
B... L... , ..., S...,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...,
Beteiligte:
E... A..., geb. am ...,
J... A..., geb. am ...,
Verfahrenspflegerin zu 1, 2: ...
hat der 2. Zivilsenat - 6. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg durch die Richter ..., ... und
...
am 20. Januar 2003
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 11. Dezember
2002 aufgehoben und die Sache an das erstinstanzlich zuständige Amtsgericht Celle abgegeben, welches auch über
die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
Beschwerdewert: 3.000,-- €.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt die Rückgabe seiner im Antrag näher bezeichneten minderjährigen Kinder nach dem
Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung - HKÜ - .
Die Kindeseltern - der Antragsteller und die Antragsgegnerin - sind nicht verheiratet. Die Kinder lebten bis zum
06.10.2002 – jedenfalls zeitweilig, Einzelheiten sind streitig – gemeinsam mit ihren Eltern in einem dem Antragsteller
gehörenden Haus in Frankreich. Am 06.10.2002 verließen sie mit ihrer Mutter das Haus, zogen nach Deutschland
und leben jetzt in der Nähe von S... .
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 11.12.2002 den Rückführungsanspruch zurückgewiesen, da die
Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 b HKÜ vorlägen, denn die Rückgabe sei mit der schwerwiegenden Gefahr
körperlicher oder seelischer Schäden für die Kinder verbunden. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen
Beschluss verwiesen.
II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§ 8 Abs. 2 des Sorgerechtsübereinkommens-
Ausführungsgesetzes - SorgeRÜbkAG -, 22 FGG zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und zur Abgabe der Sache an das erstinstanzlich zuständige Amtgericht Celle.
1. Das Amtsgericht Oldenburg hat als unzuständiges Gericht entschieden. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 SorgeRÜbkAG
kann die Zuständigkeit des Familiengerichts durch eine landesrechtliche Rechtsverordnung geregelt werden. Von
dieser Möglichkeit hat das Land Niedersachsen durch § 16 e der Verordnung zur Änderung der Verordnung zur
Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (Nds. GVBl. Nr. 22/2002) Gebrauch
gemacht. Danach ist seit dem 01.08.2002 das Amtsgericht Celle für die Bezirke aller Oberlandesgerichte des
Landes Niedersachsen zuständig.
2. Die Anfechtung einer durch ein unzuständiges Gericht getroffenen Entscheidung führt in einem der - wie
vorliegend – dem FGG unterliegenden Verfahren grundsätzlich von Amts wegen zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung (Bumiller/Winkler, FGG, 7. Aufl., § 7 Rn 16; Keidel-Zimmermann, FGG, 14. Aufl., § 7 Rn 36).
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin steht dem § 621 e Abs. 4 ZPO, wonach eine Beschwerde nicht auf die
Unzuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs gestützt werden kann, nicht entgegen. Diese Vorschrift
bezieht sich nur auf die in § 621 e Abs. 1 ZPO genannten bzw. in Bezug genommenen Verfahren. Ein dem
SorgeRÜbkAG unterliegendes Verfahren fällt nicht darunter. Der Regelungsbereich der §§ 621 ff. ZPO entspricht
zwar weitgehend dem Katalog des § 23 b Abs. 1 Nr. 2 – 14 GVG; der die Verfahren nach dem SorgeRÜbkAG
erfassende § 23 b Abs. 1 Nr. 11 GVG ist in der Aufzählung des § 621 Abs. 1 ZPO jedoch nicht enthalten. Das
Verfahren für diese Angelegenheiten folgt deshalb den Regelungen für isolierte Familiensachen des FGG
(Musielak/Borth, ZPO, 3. Aufl., vor § 621 Rn 3; FA-FamR/v.Heintschel-Heinegg, 4. Aufl., 1. Kap., Rn 81 und 84).
Dementsprechend ist in derartigen Verfahren auch nicht die befristete Beschwerde gemäß § 621 e ZPO, sondern die
sofortige Beschwerde gemäß § 8 Abs. 2 SorgeRÜbkAG i.V.m. § 22 FGG zulässig (vgl. Vomberg/Nehls,
Kindesentführung, S. 46).
3. Der Senat gibt die Sache unmittelbar an das erstinstanzlich zuständige Amtsgericht Celle ab. Erwägenswert
könnte zwar auch eine Zurückverweisung an das Amtsgericht Oldenburg mit der Anweisung zur Abgabe an das
Amtsgericht Celle sein (vgl. OLG Hamm FamRZ 1966, 242 f.; OLG Frankfurt OLGZ 67, 352, 355; Keidel-
Zimmermann § 7 Rn 36). Im Rahmen der §§ 43, 46 FGG ist jedoch anerkannt, dass ein in der Beschwerdeinstanz
anhängiges Verfahren auch unmittelbar an ein nicht nachgeordnetes Amtsgericht abgegeben werden kann
(BayObLGZ 69, 115, 117; BayObLGZ 82, 261, 265; BayObLG FamRZ 1991, 1076). Hier erscheint nur eine solche
Vorgehensweise angebracht. Ist die Sache in der Beschwerdeinstanz anhängig, tritt das Beschwerdegericht in den
durch das Rechtsmittel gezogenen Grenzen vollständig an die Stelle des Amtsgerichts. Es ist deshalb kein Grund
ersichtlich, weshalb dem Beschwerdegericht die Kompetenz zur Abgabe an das zuständige erstinstanzliche Gericht
versagt werden sollte. Eine Zurückverweisung zur Abgabe stellte unter diesen Umständen einen bloßen
Formalismus dar, der gerade angesichts der gebotenen besonderen Eile des Verfahrens (vgl. § 11 HKÜ) nicht
angebracht wäre.
Die Wertfestsetzung folgt aus § 30 Abs. 2 KostO.
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