Urteil des OLG Oldenburg vom 21.08.2008

OLG Oldenburg: bürgschaft, zustellung, rückgriff, zahl, zusammensetzung, akzessorietät, kennzeichnung, bürge, anschluss, verjährungsfrist

Gericht:
OLG Oldenburg, 09. Zivilsenat
Typ, AZ:
Hinweisbeschluss, 9 U 44/08
Datum:
21.08.2008
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 690 Abs 1 Nr 3, ZPO § 204 Abs 1 Nr 3
Leitsatz:
zur Frage der hinreichenden Individualisierung eines Mahnbescheides gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO:
Bei einer Vielzahl besicherter Forderungen, insbesondere unterschiedlicher Gläubiger, muss der als
Bürge in Anspruch genommene Schuldner anhand des Mahnbescheides erkennen können, aufgrund
welcher Hauptforderungen er in Anspruch genommen wird.
Anschluss an OLG Oldenburg 6 W 91/07 vom 21.5.2007 und 15 U 5/07 vom 8.5.2007,
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
9 U 44/08
2 O 594/06 Landgericht Aurich
Hinweisbeschluss
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt …
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch … sowie die Richter am Oberlandesgericht … und …
am 21. August 2008
einstimmig beschlossen:
I.
Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird darauf hingewiesen, dass die Berufung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg
hat. Das angefochtene Urteil weist weder Rechtsfehler im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO auf, noch rechtfertigen
nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.
Das Landgericht ist zutreffend von einer Verjährung des geltend gemachten Anspruches ausgegangen. Nachdem die
besicherten Darlehensforderungen im Jahre 2002 fällig gestellt wurden, ist gleichsam die dreijährige Verjährungsfrist
für die mit der Klage geltend gemachte Bürgschaftsforderung gemäß §§ 195, 199 BGB zum 31. Dezember 2002 in
Lauf gesetzt worden. Die demzufolge zum 1. Januar 2006 eingetretene Verjährung hätte - unstreitig - allein durch den
am 30. Dezember 2005 der Beklagten zugestellten Mahnbescheid entsprechend §§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, 167 ZPO
unterbrochen werden können. Das ist jedoch nicht der Fall, da es an einer insoweit notwendigen hinreichenden
Individualisierung des Mahnbescheides im Sinne von § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO fehlt. Der Senat folgt insoweit den
zum gleichen Sachverhaltkomplex ergangenen Entscheidungen des hiesigen 6. Senats vom 21. Mai 2007 (6 W
91/07) sowie des 15. Senats vom 8. Mai 2007 (15 U 5/07), auf deren Gründe verwiesen wird.
Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass die in § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO normierten Individualisierungsanforderungen im
Interesse eines effektiven Gläubigerschutzes nicht überspannt werden dürfen. In diesem Sinne sind auch die in der
Berufungsbegründung zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen zu verstehen, wonach es dem Gläubiger im
Einzelfall noch möglich sein soll, seine zunächst im Wege des Mahnverfahrens geltend gemachten Ansprüche im
nachfolgenden Rechtsstreit weiter zu spezifizieren. Das darf aber andererseits nicht dazu führen, dass der mit der
Regelung des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO maßgeblich intendierte Schuldnerschutz gänzlich leer läuft. Der
Bundesgerichtshof hat insoweit wiederholt klargestellt, dass es dem Schuldner vor allem möglich sein muss, anhand
des Mahnbescheides zu prüfen, ob er sich gegen den in Rede stehenden Anspruch zur Wehr setzen will oder nicht
(ständige Rspr., vgl. zuletzt BGH, NJW 2008, 1220). Dazu muss insbesondere der im Mahnbescheid bezeichnete
Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden können,
dass der Schuldner bereits im Zeitpunkt der Zustellung ohne weiteres erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen
Anspruch herleiten will (BGH, a.a.O.).
Die Individualisierungsanforderungen an einen Mahnbescheid sind mithin innerhalb des Spannungsfeldes zwischen
Gläubigerinteresse und Schuldnerschutz zu beurteilen. Der Bundesgerichtshof hat demzufolge in ständiger
Rechtsprechung hervorgehoben, dass hinsichtlich Art und Umfang der erforderlichen Angaben stets auf den
Einzelfall abzustellen ist (vgl. etwa WM 2007, 1084). Soweit daher die bloße Bezeichnung einer für mehrere
Darlehensverbindlichkeiten erteilten Bürgschaft in bestimmten, einfach gelagerten Parteibeziehungen noch
ausreichend sein mag, kann dies nicht für den vorliegenden Fall gelten. Dabei nämlich handelt es sich um eine ganz
erhebliche Zahl von insgesamt 37 verbürgten Forderungen, die darüber hinaus von fünf Gläubigern gegenüber vier
Schuldnern geltend gemacht werden. Gerade bei der Geltendmachung mehrerer Einzelforderungen muss deren
Bezeichnung im Mahnbescheid es dem Schuldner ermöglichen, die Zusammensetzung des verlangten
Gesamtbetrags aus für ihn unterscheidbaren Ansprüchen zu erkennen (BGH, NJW 2008, 1220. BGH, NJWRR 2006,
275). Das ist hier zu verneinen. Angesichts der Vielzahl besicherter Forderungen unterschiedlicher Gläubiger
gegenüber verschiedenen Schuldnern war es der Beklagten jedenfalls anhand der bloßen Bezeichnung „Bürgschaft“
im Mahnbescheid nahezu unmöglich, das Für und Wider einer eigenen Rechtsverteidigung abzuschätzen. Dies gilt
umso mehr, als die Bürgschaft aufgrund ihrer Akzessorietät immer nur insoweit Bestand haben konnte, als die
jeweils besicherte Hauptforderung noch bestand. Aus welcher der zahlreichen Hauptforderungen die Beklagte noch in
Rückgriff genommen werden sollte, ließ sich dem Mahnbescheid nicht ansatzweise entnehmen, mithin war es ihr
auch unmöglich zu prüfen, ob nicht möglicherweise ein Teil der verbürgten Forderungen zwischenzeitlich erloschen
oder anderweitig einredebehaftet wäre. Damit sind die vom Bundesgerichtshof in Umsetzung des § 690 Abs. 1 Nr. 3
ZPO formulierten Mindestanforderungen an eine Individualisierung zweifellos nicht erfüllt.
II.
Da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert, beabsichtigt der Senat, die
Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Binnen zwei Wochen
nach Zustellung besteht Gelegenheit, zu diesem Beschluss Stellung zu nehmen oder - im Kosteninteresse - die
Berufung zurückzunehmen.