Urteil des OLG Oldenburg vom 14.05.1991

OLG Oldenburg: eigenes verschulden, verhinderung, angemessenheit, schatten, fahrzeug, akteneinsicht, direktor, dienstzeit, parkplatz, vertrauensverhältnis

Gericht:
OLG Oldenburg, unbekannt
Typ, AZ:
Beschluß, SS 176/91
Datum:
14.05.1991
Sachgebiet:
Normen:
STPO § 228 ABS 2, STPO § 265 ABS 4
Leitsatz:
Zur Berücksichtigung des Anwesenheitsrechts des Betroffenen im Bußgeld- verfahren und zum
Aussetzungs- und Verlegungsanspruch bei Verhinderung seines Verteidigers.
Volltext:
Zu Unrecht beanstandet der Betroffene mit der Verfahrensrüge, daß
das Amtsgericht in seiner Abwesenheit und auch in Abwesenheit
seines Verteidigers zur Sache verhandelt und entschieden hat.
Im Bußgeldverfahren ist zwar der Betroffene grundsätzlich ohne
Rücksicht darauf, ob das Gericht sein Erscheinen angeordnet hat
oder nicht, berechtigt, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Da
ihm andererseits die Teilnahme freigestellt ist (§ 73 Abs. 1
OWiG), hat das Gericht - wenn er ausbleibt - zunächst von der
Möglichkeit auszugehen, daß er von seinem Teilnahmerecht keinen
Gebrauch macht. Das Gericht verletzt daher das Teilnahmerecht des
Betroffenen nur dann, wenn dieser zu erkennen gegeben hat, daß er
von seinem Recht Gebrauch machen will, und wenn er dazu erkennbar
ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage ist; dann darf in
seiner Abwesenheit nicht verhandelt werden (Senge, KK/OWiG, Rdnr.
3 zu § 73 OWiG). Einen solchen Teilnahmewillen hat der Betroffene
aber nicht geäußert. Weder läßt er sich seinen Angaben in der
richterlichen Vernehmung durch das Amtsgericht Lehrte vom 10.
Januar 1991 entnehmen, noch hat er dem Amtsgericht Vechta gegen-
über eine sonstige Äußerung dieses Willens abgegeben noch hat
sein Verteidiger sein Bemühen, eine Verlegung des auf den 06.
Februar 1991 angesetzten Hauptverhandlungstermins zu erreichen,
auf eine Absicht des Betroffenen gestützt, an diesem Tage nach
Vechta zu kommen. Die Hauptverhandlung in Abwesenheit des
Betroffenen selbst war demgemäß statthaft.
Unbegründet ist aber auch die Rüge, daß das Amtsgericht dem
sowohl durch Telefax wie fernmündlich übermittelten Begehren des
Verteidigers, wegen der verkehrsbedingten Unmöglichkeit, von
L nach V zu fahren, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen,
nicht entsprochen, sondern in Abwesenheit des Verteidigers
verhandelt und entschieden hat.
Obwohl nach § 228 Abs. 2 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG eine Verhinderung
des Verteidigers dem Betroffenen nicht das Recht gibt, eine Aus-
setzung der Hauptverhandlung (für eine Verlegung einer noch nicht
begonnen Hauptverhandlung gilt Entsprechendes) zu verlangen, kann
im Einzelfall eine unvorhergesehene Verhinderung des Verteidigers
eine Änderung der prozessualen Lage bedeuten, die nach § 265 Abs.
4 StPO eine Pflicht zum Aussetzen der Hauptverhandlung begründet,
soweit dem Angeklagten oder Betroffenen nach Lage der Sache und
bei angemessener Beurteilung eine Verhandlung ohne Verteidiger
nicht zugemutet werden kann; dies wird nicht nur dann zu gelten
haben, wenn der Betroffene ohne den Beistand seines Verteidigers
in der Hauptverhandlung anwesend ist, sondern auch dann, wenn der
Betroffene erlaubtermaßen der Hauptverhandlung fernbleibt und
sich auf die Wahrnehmung seiner Rechte durch den Verteidiger
verläßt. Für die Beurteilung der Angemessenheit (§ 265 Abs. 4
StPO) sind die Einzelheiten des jeweiligen Falls maßgebend, so
das Gewicht des erhobenen Vorwurfs, der voraussichtliche
Schwierigkeitsgrad der Hauptverhandlung, das Maß der zur Erörte-
rung stehenden Rechtsfolgen, der Anlaß für die Verhinderung des
Verteidigers und die etwa vorhandenen Möglichkeiten, die Rechte
des Betroffenen durch einen anderen als den verhinderten Vertei-
diger wahrnehmen zu lassen. Die Abwägung dieser Umstände führt zu
dem Ergebnis, daß die Ablehnung des Verlegungsbegehrens rechtlich
nicht zu beanstanden ist.
Die dem Betroffenen vorgeworfene Ordnungswidrigkeit kann zwar,
auch angesichts der schon im Bußgeldbescheid verhängten Rechts-
folgen, nicht als geringfügig angesehen werden, zumal da gerade
die Verhängung eines Fahrverbots für ihn als Autoverkäufer beson-
ders fühlbar sein mußte. Andererseits warf das Verfahren keine
übermäßigen Fragen tatsächlicher und rechtlicher Art auf; es ging
darum, ob der Parkplatz öffentlicher Verkehrsraum war, ob der
Betroffene sich auf die Annahme berufen konnte, es habe sich
nicht um öffentlichen Verkehrsraum gehandelt, und darum, ob dem
Betroffenen nachzuweisen sei, daß er das Fahrzeug nicht nur in
den Schatten versetzen, sondern damit davonfahren wollte. Den
Sachverhalt, die dazu aufzuwerfenden Fragen und das Verteidi-
gungsverhalten des Betroffenen konnte ein Verteidiger sich auf-
grund einer kurzfristigen Akteneinsicht und einer knappen Infor-
mation durch den Betroffenen oder den Verteidiger zu eigen
machen; auf ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem bislang
tätigen Verteidiger kam es demgegenüber weniger an. Da das Amts-
gericht - was für die Beurteilung der Angemessenheit nach § 265
Abs. 4 StPO von Bedeutung sein kann - zu der Verhinderung des
Verteidigers nicht beigetragen hatte, konnte es dem Betroffenen
und seinem Verteidiger zugemutet werden, die Verteidigung in der
Hauptverhandlung einem in V ansässigen und daher durch die
Verkehrslage nicht weiter behinderten Rechtsanwalt zu übertragen.
Dies wäre am Vortage der Hauptverhandlung noch möglich gewesen.
Denn einmal hat der Verteidiger, wie er in der Rechtsbeschwerde-
begründung vorgetragen hat, am Nachmittage dieses Tages fernmünd-
lich mit dem Direktor des Amtsgerichts V gesprochen; dies
muß während der Dienstzeit und somit auch während der üblichen
Arbeitszeit der Rechtsanwaltskanzleien geschehen sein. Zum
anderen legte die von dem Verteidiger so bezeichnete "extrem
gefährliche Verkehrslage" des Vortages es nahe, daß die Verkehrs-
verhältnisse am Terminstage nicht wesentlich anders sein würden,
so daß das beträchtliche Risiko, das mit einer Fahrt von L nach V
verbunden sein würde, schon abzusehen war.
Da somit die Möglichkeit einer sachgerechten und auch ausreichen-
den Verteidigung des Betroffenen in der Hauptverhandlung bestan-
den hatte, kann in der Verhandlung ohne Anwesenheit des Verteidi-
gers keine fehlerhafte Ausübung des dem Amtsgericht nach § 265
Abs. 4 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG zustehenden Ermessens gesehen
werden; daß der Verteidiger von dieser Möglichkeit keinen
Gebrauch gemacht hat, ist nicht dem Amtsgericht zuzuschreiben.