Urteil des OLG Oldenburg vom 18.09.2008

OLG Oldenburg: umkehr der beweislast, invaliditätsgrad, unfallversicherung, abrede, entstehung, beweislastumkehr, unrichtigkeit, meinung, anerkennung, versicherungsnehmer

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Hinweisbeschluss, 5 U 98/08
Datum:
18.09.2008
Sachgebiet:
Normen:
GUB 95 § 11, BGB § 781
Leitsatz:
Erklärt der Versicherer, er sei bereit den Versicherungsfall unter Anerkennung eines bestimmten
Invaliditätsgrades zu regulieren, hindert ihn dies in der Regel nicht, im nachfolgenden Prozess, in dem
der Versicherungsnehmer einen höheren Invaliditätsgrad geltend macht, den Ursachenzusammenhang
zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung zu bestreiten.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
5 U 98/08
9 O 2667/06 Landgericht Osnabrück
Hinweisbeschluss
In dem Rechtsstreit
X...,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte :
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte …
gegen
Y... Versicherung AG, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden …
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte …
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …,
den Richter am Landgericht … und den Richter am Oberlandesgericht …
am 18. September 2008
beschlossen:
I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO
zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die
Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des
Beschlusses.
II.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung. Grundlage ist deren GUB 95. Während er sich zu
einer Entgiftungsbehandlung, die aufgrund einer Alkoholkrankheit erforderlich geworden war, in stationärer
Behandlung befand, wurde bei ihm ein subdurales Hämatom diagnostiziert, das am 5.10.2003 im Wege eines
operativen Eingriffs ausgeräumt wurde. Der Kläger hat von der Beklagten Leistungen aus der Unfallversicherung
begehrt und dazu dargetan, er sei wenige Tage zuvor, am 16.9.2003, mit einem Stuhl im Garten umgekippt und mit
dem Kopf auf das Pflaster geschlagen. Dieser Sturz habe die Entstehung des Hämatoms verursacht, das wiederum
zu Invalidität geführt habe. Die Beklagte hat außergerichtlich verschiedene ärztliche Stellungnahmen eingeholt. Der
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K... kam in seinem Gutachten vom 18.8.2005 zu dem Schluss, dass der
vom Kläger geschilderte Sturz neben anderen harmlosen Traumen als Ursache der Gehirnverletzung in Betracht
käme, und der Alkoholmissbrauch die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung eines Subduralhämatoms nach
Bagatelltraumen erhöht habe. Die unfallbedingte Invalidität schätzte er auf 40 %. Daraufhin teilte die Beklagte dem
Kläger mit Schreiben vom 20.9.2005 mit, dass nach den ihr vorliegenden ärztlichen Unterlagen eine Invalidität von
40 % gegeben sei, und sie auf der Grundlage dieser Bewertung 35.791,€ auszahlen werde. Der Kläger erwiderte, er
sei der Meinung, dass eine Invalidität von 70 % anzusetzen sei. Diese Forderung wies die Beklagte mit Schreiben
vom 12.10.2005 zurück und zahlte die zugesagte Versicherungsleistung aus. Mit der Klage hat der Kläger die
Zahlung weiterer 66.467,€ sowie einer Unfallrente mit der Behauptung verlangt, der Invaliditätsgrad betrage
mindestens 70%. Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Der Einzelrichter der 9. Zivilkammer des Landgerichts
Osnabrück hat die Klage mit Urteil vom 14.5.2008 abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.
Er meint, die Beklagte habe ein vertraglich bestätigendes Schuldanerkenntnis abgegeben und könne deshalb nicht in
Abrede nehmen, dass die Gehirnverletzung auf den Sturz vom 16.9.2003 zurückzuführen sei. Zumindest müsse die
Beklagte nunmehr beweisen, dass der Unfall für die Entstehung des subduralen Hämatoms nicht kausal geworden
sei.
III.
Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
1.) Nach dem Gutachten von Prof. M... ist offen geblieben, ob der Sturz des Klägers vom 16.9.2003 die Entwicklung
des subduralen Hämatoms verursacht hat. Als weitere Ursache der Gesundheitsbeschädigung kommen
Bagatelltraumen unter Alkoholeinfluss in Betracht, die dem Kläger nicht mehr erinnerlich sind. Diese Einschätzung
stimmt mit der Beurteilung des Privatgutachters Dr. K... überein. Danach kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit
festgestellt werden, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem streitgegenständlichen Unfall und der
geklagten Gesundheitsverletzung besteht.
– was zu Lasten des Klägers als Versicherungsnehmer geht, da die alkoholbedingten Bagatelltraumen, die alternativ
als Ursache des subduralen Hämatoms in Frage kommen, gemäß § 2 Ziff. I. (1) GUB 95 vom Versicherungsschutz
ausgenommen sind (vgl. dazu Prölss/MartinKnappmann, VVG, 27.A, § 1 AUB 94 Rdnr. 25).
2.) Entgegen der Annahme des Klägers ist die Beklagte nicht aufgrund eines (deklaratorischen) Anerkenntnisses
gehindert, den Ursachenzusammenhang zwischen dem Sturz und der Gesundheitsschädigung zu bestreiten.
a.) Unstreitig hat sich die Beklagte mit ihren Schreiben vom 20.9.2005 (B. 32 d.A.) und 12.10.2005 (Bl. 120 d.A.)
bereit erklärt, unter ausdrücklicher Anerkennung eines Invaliditätsgrades von 40 % den Versicherungsfall zu
regulieren. Diese Schreiben können jedoch nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis gewertet werden, da es
sich ersichtlich um Erklärungen handelt, die die Beklagte auf der Grundlage von § 11 GUB 95 abgegeben hat (vgl.
BGHZ 66, S. 250, 256 f.). Danach ist der Versicherer verpflichtet, nach Zugang der maßgeblichen Unterlagen binnen
drei Monaten zu erklären, ob und in welcher Höhe er einen Invaliditätsanspruch anerkennt. Eine solche Erklärung
stellt regelmäßig einen einseitigen Bescheid, nämlich eine tatsächliche Auskunft des Versicherers über die
Zahlungsbereitschaft, und kein Vertragsangebot dar (BGHZ 66, S. 250, 257).
b.) Eine andere Beurteilung kann geboten sein, wenn Streit oder Ungewissheit über Grund oder Höhe der
Leistungspflicht des Versicherers unter den Beteiligten geherrscht hat und das Anerkenntnis erkennbar zu dem
Zweck abgegeben worden ist, diesen Streit oder diese Ungewissheit beizulegen (Bundesgerichtshof, a.a.O.). Dafür
liegen hier keine Anhaltspunkte vor. Der Behauptung des Klägers, die Parteien hätten darüber gestritten, ob die
Alkoholkrankheit ursächlich oder mitursächlich für die Verletzung sei, fehlt die Substanz. Der Umstand allein, dass
diese Frage bei der Beurteilung der unfallbedingten Invalidität eine Rolle gespielt hat, reicht dafür jedenfalls nicht
aus.
c.) Nichts anderes gilt im Hinblick auf das Schreiben des Klägers vom 6.10.2005 (Bl. 31 d.A.), in dem er ohne jede
Begründung die Meinung vertreten hat, der Invaliditätsgrad müsse mit 70 % angesetzt werden. Zwar hat die
Beklagte in ihrem Antwortschreiben vom 12.10.2005 noch einmal ihre Bereitschaft bekräftigt, einen Invaliditätsgrad
von 40 % anzuerkennen. Die weitergehende Forderung des Klägers hat sie jedoch zurückgewiesen. Anhaltspunkte
dafür, dass die Beklagte darüber hinaus den Willen gehabt hat, den Anspruch des Klägers dem Grunde nach dem
Streit der Parteien zu entziehen, sind nicht gegeben. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum die Beklagte ein
solches Anerkenntnis hätte abgeben sollen – zumal eine einverständliche Abwicklung des Versicherungsfalls
nunmehr nicht mehr zu erwarten war (vgl. dazu Münchener Kommentar zum BGBHüffer, 4.A., § 781 Rdnr. 28).
3.) Die Erklärungen der Beklagten sind schließlich nicht geeignet, eine Beweislastumkehr in Bezug auf die
Klageforderungen herbeizuführen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 66, S. 250, 254 f.)
kann die Meinungsäußerung des Versicherers als „Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“ eine Umkehr der
Beweislast bewirken oder ein Indiz darstellen, das durch den Beweis der Unrichtigkeit des Anerkannten entkräftet
werden kann. Die auf der Grundlage von § 11 GUB 95 abgegebene Erklärung des Versicherers kann also als
Beweismittel für die anerkannte Schuld bedeutsam werden, indem sie im Prozess die Beweislast umkehrt, aber
durch den Beweis der Unrichtigkeit des Anerkannten entkräftet werden kann (Grimm, Unfallversicherung, 3.A., § 11
Rdnr. 2. StaudingerMarburger, BGB, 13. Bearb. (2002), § 781 Rdnr. 43). Anerkannt hat hier die Beklagte jedoch nur
einen Invaliditätsgrad von 40%. insoweit mag eine Beweislastumkehr gerechtfertigt sein, wenn die Beklagte die
bereits geleistete Zahlung zurückfordern sollte. Die darüber hinausgehende Forderung des Klägers hat die Beklagte
aber ausdrücklich abgelehnt. Es sind weiter keine Anzeichen dafür vorhanden, dass die Beklagte im Hinblick auf die
weitergehenden Ansprüche des Klägers auf irgendwelche Einwände hat verzichten wollen, so dass die Beklagte in
dem Rechtsstreit nicht gehindert gewesen ist, die Kausalität zwischen Unfall und Gesundheitsbeschädigung in
Abrede zu nehmen.
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