Urteil des OLG Oldenburg vom 26.06.1996

OLG Oldenburg: fahrbahn, wiese, geschwindigkeit, abkommen, unfreiwilligkeit, abnutzung, kollaps, wasser, motiv, fahren

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 113/96
Datum:
26.06.1996
Sachgebiet:
Normen:
AKB § 12 NR 1 II E, VVG § 61
Leitsatz:
Fahrzeugversicherung. Vorsätzliche Herbeiführung eines Unfalls mit Sturz in die Ems.
Volltext:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus der bei die-
ser unterhaltenen Fahrzeugversicherung gemäß § 12 Nr. 1 II e AKB.
Die Beklagte ist gemäß § 61 VVG leistungsfrei, da der Kläger den
Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist allerdings nicht zwei-
felhaft, daß der Schaden am Fahrzeug des Klägers durch einen Un-
fall gemäß § 12 Nr. 1 II e AKB, das heißt durch ein unmittelbar
von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Er-
eignis, verursacht worden ist. Die vorliegend allein zweifelhafte
Frage hinsichtlich der Unfreiwilligkeit des Schadeneintritts ge-
hört nicht zum Unfallbegriff, sondern kann nur gemäß § 61 VVG Be-
rücksichtigung finden (BGH VersR 1981, 45O; Stiefel/Hofmann, AKB,
16. Aufl., § 12 Rdn. 75).
Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Geschehens ist
der Senat jedoch davon überzeugt, daß der Kläger den Schaden vor-
sätzlich herbeigeführt hat. Gegen eine Unfreiwilligkeit des Ge-
schehens sprechen ganz wesentlich die im ersten Rechtszug getrof-
fenen Feststellungen des Sachverständigen D in seinem Gutach-
ten vom 4.1.1996, gegen welche auch die Berufung nichts vorbringt.
Der Kläger behauptet, er habe die Fahrbahn mit einer Geschwindig-
keit von 7O - 9O km/h verlassen. Wie der Sachverständige ausge-
führt hat, wäre bereits bei einer Geschwindigkeit von 7O km/h am
Fahrzeug ein deutlich stärkeres Schadensbild eingetreten. Zudem
wäre das Fahrzeug nach Verlassen der Fahrbahn und Durchqueren des
Randstreifens und des Weidezauns nach einer Flugbahn über 12 bis
14 m auf der Wiese gelandet und wahrscheinlich dabei umgestürzt.
Selbst wenn dies nicht geschehen wäre, hätte der Kläger aufgrund
des bei einer Geschwindigkeit von 7O km/h allein möglichen Winkels
beim Abkommen von der Fahrbahn auf der Wiese nach dem Aufschlagen
des Fahrzeugs noch eine Wegstrecke von 8O - 9O m zur Verfügung ge-
habt. Selbst bei Einleitung von Abwehrmaßnahmen nach erst 2 - 3
Sekunden, also unter Berücksichtigung einer außergewöhnlich langen
Reaktionszeit, hätte das Fahrzeug durch eine Bremsung bzw. durch
ein Lenkmanöver in Verbindung mit einer leichten Bremsung ohne
weiteres vor Erreichen der Ems noch zum Stehen gebracht werden
können.
Sollte der Kläger entgegen seiner eigenen Behauptung lediglich mit
einer Geschwindigkeit von etwa 5O km/h von der Fahrbahn abgekommen
sein, wäre dies zwar mit dem Schadensbild am Fahrzeug vereinbar.
In diesem Fall wäre ein Umstürzen des Fahrzeugs beim Aufsetzen auf
der Wiese auch nicht zwingend gewesen. Der Kläger hätte in diesem
Fall jedoch noch einen Anhalteweg von etwa 65 m bis zur Ems zur
Verfügung gehabt. Selbst bei Einleitung von Abwehrmaßnahmen erst
nach 2 - 3 Sekunden hätte er das Fahrzeug ohne weiteres noch vor
Erreichen des Flußes zum Stehen bringen können.
Die Tatsache, daß das vom Kläger behauptete Geschehen allenfalls
technisch nachvollziehbar ist, falls er nach dem Aufschlagen mit
seinem Fahrzeug auf der Wiese Brems- und Lenkmanöver unterlassen
haben sollte, rechtfertigt vorliegend den Schluß, daß der Kläger
den Versicherungsfall entgegen seiner Darstellung vorsätzlich ver-
ursacht hat. Bei der vom Kläger geschilderten Unfallsituation hät-
te typischerweise ein Fahrzeugführer sein Fahrzeug nach Verlassen
der Fahrbahn stark abgebremst, um weiteren Schaden zu vermeiden.
Der Kläger hat keinen plausiblen Grund dargelegt, wieso er eine
derartige Reaktion, die sich normalerweise jedem Fahrzeugführer
instinktiv aufgedrängt hätte, unterlassen haben könnte. Gerade an-
gesichts der Tatsache, daß dem Kläger, der kurz vor dem Unfall in
der Nacht vom 19. auf den 2O.7.1994 angeblich vom Joggen kam, die
Örtlichkeiten bekannt waren und er wußte, daß die Gefahr bestand,
beim Überqueren der Wiese in die Ems zu fahren, hätte sich ihm die
Notwendigkeit einer Bremsung oder eines Lenkmanövers besonders
aufdrängen müssen. Die Einlassung des Klägers, er könne sich an
diesen Teil des Unfallgeschehens nicht erinnern, vermag nicht zu
überzeugen. Dies stellt vielmehr ein weiteres Indiz für die vor-
sätzliche Herbeiführung des Unfalls dar. Der Kläger hat dazu im
ersten Rechtszug vorgetragen, er sei in Panik geraten und habe
sein Bewußtsein erst wiedererlangt, als das Fahrzeug mit dem Was-
ser in Berührung gekommen sei. Nunmehr trägt er vor, es bestehe
die Vermutung, daß bei ihm ein orthostatischer Kreislaufkollaps
eingetreten sei. Dies mag zwar medizinisch theoretisch möglich
sein, wie unter Beweis gestellt ist. Vorliegend fehlt es jedoch an
jeglichem Anhaltspunkt dafür, daß ein solcher Kollaps tatsächlich
vorgelegen hat. Im Gegenteil ist es auffällig, daß der Kläger eine
genaue Erinnerung an die Vorgeschichte des Unfalls, dessen Beginn
und dessen Ende hat. So hat der Kläger vorgetragen, am Unfallort
sei plötzlich auf der Fahrbahn vor ihm ein Tier aufgetaucht; er
sei diesem ausgewichen und nach links von der Fahrbahn abgekommen.
Auch hinsichtlich des nachfolgenden Geschehens hat der Kläger
durchaus eine detaillierte Erinnerung. So hat er vor dem Landge-
richt angegeben: "Beim Abkommen von der Straße habe ich noch wahr-
genommen, daß der Stacheldraht über die Motorhaube gestreift ist
und dabei Funken hervorgerufen hat. Dann habe ich zunächst gar
nichts mehr wahrgenommen. Erst als das Wasser über den Kühler kam,
ist mir bewußt geworden, daß ich im Fluß gelandet war." Die angeb-
liche Erinnerungslücke des Klägers beschränkt sich damit bezeich-
nenderweise ausschließlich auf die Umstände des Überquerens der
Wiese. Zur Überzeugung des Senats liegt die wahre Ursache des man-
gelnden Vortrags des Klägers zu diesem Punkt jedoch nicht in einer
Erinnerungslücke, sondern darin, daß dem Kläger angesichts der
Ausführungen des Sachverständigen eine nachvollziehbare Erklärung
für sein Verhalten im Rahmen der von ihm behaupteten Unfallschil-
derung nicht möglich ist.
Schließlich ergibt sich auch aus der Tatsache, daß das Fahrzeug im
Unfallzeitpunkt knapp 2 Jahre alt gewesen ist, eine Laufleistung
von über 75.OOO km hatte und der Kläger im Versicherungsfall den
Neupreis als Entschädigung verlangen konnte, ein Motiv für die
vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls. Angesichts der
dabei erzielbaren wirtschaftlichen Vorteile gilt dies auch dann,
wenn der Kläger die von ihm behaupteten Investitionen in sein
Fahrzeug kurz vor dem Unfall getätigt haben sollte. Dabei sei -
ohne daß dies ein tragender Gesichtspunkt der Urteilsbegründung
ist - auf die weitere Bedenken rechtfertigende Tatsache hingewie-
sen, daß hinsichtlich der wesentlichsten durch eine Händlerbestä-
tigung belegten Anschaffung, nämlich des Kaufs von vier neuen Rei-
fen wenige Tage vor dem Unfall, Zweifel bestehen. Ausweislich der
Feststellungen der Gutachter der DEKRA in den Gutachten vom 1O.8.
und 8.11.1994 müßte eine ganz ungewöhnliche Abnutzung der neuen
Reifen in nur wenigen Tagen der Nutzung eingetreten sein; dies er-
gibt sich aus den festgestellten Profiltiefen (Ersatzrad 1O mm;
vorne links jedoch nur 7,5 bzw. 8 mm und hinten 9 mm).