Urteil des OLG Oldenburg vom 20.08.2010
OLG Oldenburg: anspruch auf rechtliches gehör, ablauf der frist, vaterschaftsanerkennung, rechtskraft, geburt, meinung, drucksache, form, verwandtschaftsverhältnis, testament
Gericht:
OLG Oldenburg, 12. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 12 W 167/10
Datum:
20.08.2010
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1599 Abs 2, BGB § 1594 ff
Leitsatz:
Zur Wirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung, wenn die Zustimmung des ´rechtlichen´ Vaters erst
nach Ablauf der Frist des § 1599 Abs. 2, Satz 1 BGB erklärt wurde.
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
B e s c h l u s s
12 W 167/10
37 III 56/09 Landgericht Osnabrück
In der Standesamtssache
betreffend
C… B…, geb. am …2006,
Beteiligte:
1. Standesamt M…, …
Beschwerdeführer,
2. D… B…, …
Antragsteller und Beschwerdegegner,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin …
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …,
den Richter am Oberlandesgericht … und die Richterin am Amtsgericht …
am 20. August 2010
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Standesamtes Melle gegen den Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom
29.03.2010 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 3.000, € festgesetzt.
Gründe
I.
Das Kind C… B… wurde am ...2006 geboren, beurkundet beim Standesamt M… Nr. …. Zu diesem Zeitpunkt war
seine Mutter noch mit dem Beschwerdegegner verheiratet. Ihre Ehe wurde auf den am 25.04.2006 beim Amtsgericht
Osnabrück eingereichten Antrag am 22.03.2007 geschieden. Das Scheidungsurteil ist seit dem 19.05.2007
rechtskräftig.
Der leibliche Vater des Kindes ist A… R… (vormals B…). Er erkannte am 15.06.2006 beim Standesamt M… die
Vaterschaft an. Am gleichen Tag stimmte die Mutter dem Anerkenntnis zu. Die formgemäße Zustimmung zur
Vaterschaftsanerkennung durch den Beschwerdegegner erfolgte am 16.07.2009 beim Standesamt H….
Mit Schreiben vom 06.08.2009 lehnte die Standesbeamtin des Standesamtes M… ab, die Vaterschaftsanerkennung
dem Geburtseintrag beizuschreiben, weil die am 16.07.2009 erteilte Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung nicht
binnen eines Jahres nach Rechtskraft des Scheidungsurteils (§ 1599 Abs. 2 BGB) abgegeben worden sei.
Dagegen beantragte der Beschwerdegegner gerichtliche Entscheidung gemäß § 49 Abs. 1 PStG.
Das Amtsgericht Osnabrück hat durch Beschluss vom 29.03.201 daraufhin erkannt, dass die Eintragung im
Geburtenbuch der Standesamtes M… Jahrgang 2006 Urkunde Nr. … durch Beischreibung des folgenden Vermerks
zu berichtigen sei: Auf Anordnung des Amtsgerichts Osnabrück vom 29.03.2010 wird berichtigend vermerkt, dass
Vater des Kindes nicht Da… B…, sondern A… R… (vormals B…), … ist. Zur Begründung hat das Amtsgericht
ausgeführt, dass die Zustimmung des ´rechtlichen´ Vaters gemäß § 1599 Abs. 2 S. 2 BGB nicht der Jahresfrist des
§ 1599 Abs. 2 S. 1 BGB unterliege.
Gegen diesen Beschluss hat das Standesamt M… unter dem 16.04.2010 sofortige Beschwerde eingelegt. Der
Beschwerdeführer ist weiterhin der Ansicht, dass die Vaterschaftsanerkennung nicht wirksam sei, da die
Zustimmung des Mannes, mit dem die Mutter verheiratet war, verspätet abgegeben worden sei.
Der Beschwerdegegner hat beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Das Landgericht Osnabrück hat zunächst durch Beschluss vom 09.06.2010 die sofortige Beschwerde des
Standesamtes M… gegen den Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 29.03.2010 auf seine Kosten
zurückgewiesen. Nachdem der Beschwerdeführer nach § 44 FamFG gerügt hat, dass der Anspruch auf rechtliches
Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden sei, hat das Landgericht mit Beschluss vom 05.08.2010
den Beschluss vom 09.06.2010 aufgehoben und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist gemäß §§ 48 ff PStG statthaft.
Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerhaft auf die Rüge durch den Beschwerdeführer, dass ein nicht zuständiges
Gericht die Beschwerdeentscheidung getroffen habe, gemäß § 44 FamFG das Verfahren fortgeführt. Die Anwendung
des § 44 FamFG setzt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör voraus und ist nicht - auch nicht analog
- auf Fälle anderer Grundrechtsverletzungen, z.B. der Verletzung des Art. 101 GG (gesetzlicher Richter) anzuwenden
(vgl. SchulteBunert/Weinreich/Oberheim, FamFG § 44 Rz. 30). Mit der Gehörsrüge nach § 44 FamFG kann daher
nicht die Entscheidung über eine Beschwerde durch ein nicht zuständiges Gericht geltend gemacht werden.
Nachdem das Landgericht dennoch seinen zuvor gefassten Beschluss vom 09.06.2010 aufgehoben hat, ist nunmehr
der erkennende Senat gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen.
In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat in seinem Beschluss vom 29.03.2010 die Vaterschaftsanerkennung zu Recht für wirksam
erachtet.
Das Kind C… B… wurde zwischen der Anhängigkeit des Scheidungsantrages und der Rechtskraft des Urteils, durch
welches die Ehe der Mutter des Kindes mit dem Beschwerdegegner geschieden wurde, geboren. Aufgrund der
gemäß § 1599 Abs. 2 S. 3 BGB frühestens mit Rechtskraft des Scheidungsurteils wirksamen Anerkennung der
Vaterschaft durch A… R… greift die Vermutung des § 1592 Abs. 1 Nr. 1 BGB, wonach der zum Zeitpunkt der Geburt
des Kindes noch mit dessen Mutter verheiratete Beschwerdegegner der Vater des Kindes ist, nicht (§ 1599 Abs. 2
S. 1 BGB). Vielmehr ist aufgrund der wirksamen Vaterschaftsanerkennung durch A… R… dieser gemäß § 1592 Nr.
2 BGB der Vater des Kindes.
Die Anerkennung der Vaterschaft durch A… R… ist gemäß §§ 1594 ff BGB wirksam, obwohl der Beschwerdegegner
seine Zustimmung erst über zwei Jahre nach der Rechtskraft des Scheidungsurteils formgerecht erklärt hat. Denn
die gemäß § 1599 Abs. 2 S. 2 BGB erforderliche Zustimmung des Mannes, der im Zeitpunkt der Geburt mit der
Mutter des Kindes verheiratet ist, muss nicht auch bis zum Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft des dem
Scheidungsantrag stattgebenden Urteils erfolgen, wenn zuvor die Anerkenntniserklärung innerhalb dieser Frist
abgegeben wurde.
Ob im Falle des § 1599 Abs. 2 BGB nur die Anerkennungserklärung innerhalb der Jahresfrist gemäß § 1599 Abs. 2
S. 1 BGB zu erfolgen hat oder ob darüber hinaus auch alle sonstigen gemäß § 1599 Abs. 2 S. 2 BGB erforderlichen
Zustimmungen vor Ablauf der Jahresfrist erteilt werden müssen, ist umstritten. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit
unklar.
Von einem Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums wird die Vorschrift des § 1599 Abs. 2 BGB eng ausgelegt
(OLG Stuttgart, FamRZ 2004, 1054 m.w.N.. AG Darmstadt, StAZ 2008, 179. MünchKommBGB/WellenhoferKlein, §
1599 BGB Rz. 59. Staudinger/Rauscher BGB (2004), § 1599 Rn. 92). Bei § 1599 Abs. 2 BGB handele es sich um
eine Ausnahmevorschrift. Durch die Jahresfrist solle nach dem Willen des Gesetzgebers ein unnötig langer
Schwebezustand vermieden werden. Der Schwebezustand lasse sich nur durch eine wirksame
Vaterschaftsanerkennung beenden, da bei Verneinung einer Befristung für die Zustimmungen eine erklärte, aber
noch nicht wirksame Anerkennung unvorhersehbar lange in der Schwebe bleiben könne. Das in § 1599 Abs. 2 S. 1
BGB geforderte ´Anerkenntnis´ der Vaterschaft sei daher als wirksames Anerkenntnis aufzufassen. Erforderlich sei
deshalb das Vorliegen aller Wirksamkeitsvoraussetzungen binnen der Jahresfrist, also auch der Zustimmung des
Ehemannes der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes.
Der andere Teil in der Rechtsprechung und dem Schrifttum vertritt die Meinung, dass lediglich die
Anerkenntniserklärung des Dritten im Falle der sogenannten qualifizierten Vaterschaftsanerkennung gemäß § 1599
Abs. 2 S. 1 BGB innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft des Scheidungsurteils wirksam, d.h. in der nach § 1597
Abs. 1 BGB vorgeschriebenen Form und mit dem nach § 1594 Abs. 3 BGB zulässigen Inhalt, erklärt sein müsse.
Die nach § 1599 Abs. 2 S. 2 BGB neben der Anerkenntniserklärung des Dritten erforderliche Zustimmung des
Mannes, der zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes noch mit der Mutter verheiratet war, sei dagegen nicht an diese
Jahresfrist geknüpft, sondern solange möglich, wie eine fristgerecht erfolgte Anerkennung nach § 1599 Abs. 2 S. 1
BGB ihre Wirkung nicht verloren habe, insbesondere seitens des Dritten nicht gemäß § 1597 Abs. 3 BGB wirksam
widerrufen worden sei (OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, 546. Bamberger/Roth, BGB § 1599 Rz. 3.
Palandt/Büderichsen BGB, 69 Aufl., § 1599 Rz. 10).
Der Senat schließt sich dieser Meinung an. Eine Frist ist ausschließlich in dem die Anerkenntniserklärung des
Dritten regelnden § 1599 Abs. 2 S. 1 BGB normiert, nicht hingegen in § 1599 Abs. 2 S. 3 BGB im Hinblick auf die
Zustimmung des Ehemannes der Mutter des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt. Auch in der Begründung des
Gesetzentwurfes der Bundesregierung wird eine Erklärungsfrist nur für die Anerkennung gemäß § 1599 Abs. 2 S. 1
BGB angesprochen, nicht aber für die daneben geforderten Zustimmungserklärungen gemäß § 1599 Abs. 2 S. 2
BGB (vgl. BT Drucksache 13/4899 S. 53 und 86). Der gemäß § 1599 Abs. 2 S. 1 BGB anerkennende tatsächliche
Vater ist auch insoweit geschützt, als er seine Anerkenntniserklärung gemäß § 1597 Abs. 3 BGB widerrufen kann,
wenn sie z.B. wegen Fehlens der erforderlichen Zustimmungserklärung des Scheinvaters ein Jahr nach der
formgerecht erklärten Anerkennung noch nicht wirksam geworden ist. Ein darüber hinausgehendes Schutzbedürfnis
des tatsächlichen Vaters eines zwischen Anhängigkeit des Scheidungsantrages und Rechtskraft des
Scheidungsausspruches geborenen Kindes sieht der Senat nicht. Im vorliegenden Fall würde die gegenteilige
Auffassung zudem zu dem Ergebnis führen, dass entgegen dem tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnis und dem
erklärten Willen aller Beteiligten das Kind rechtlich einem anderen als dem tatsächlichen und dies anerkennenden
Vater zugeordnet wäre.
Ferner ist zutreffend, was das Landgericht in dem wieder aufgehobenen Beschluss vom 09.06.2010 ausgeführt hat:
´Zwar soll das vereinfachte Anerkenntnisverfahren auch der Beschleunigung dienen, dieses Ziel wird aber allein
schon durch die Jahresfrist für die Anerkenntniserklärung erreicht, weil in der Regel die erforderlichen Zustimmungen
der Mutter und des Mannes, der mit der Mutter zur Zeit der Geburt verheiratet war, viel einfacher zu erlangen sind.
Neben der Beschleunigung soll das vereinfachte Verfahren aber auch gerade dazu dienen, langwierige und
aufwendige Gerichtsverfahren zu vermeiden. Dieses Ziel lässt sich auch dann erreichen, wenn die
Zustimmungserklärungen nicht fristgebunden sind. Probleme bei der Durchsetzung von Erbansprüchen noch viele
Jahre nach dem Erbfall erfordern ebenfalls nicht die Geltung der Jahresfrist für die Zustimmungserklärungen. Solche
Probleme gibt es beispielweise auch dann, wenn Jahre nach einer Erbauseinandersetzung noch ein jüngeres
Testament auftaucht oder wenn das Kind später ein gerichtliches Anerkennungsverfahren durchführt.´
Damit ist der Geburtseintrag des Kindes C… B… beim Standesamtes M…, der noch den Beschwerdegegner als
Vater des Kindes ausweist, unrichtig.
Daher ist die Berichtigung durch Eintrag der Vaterschaftsanerkennung gemäß § 27 PStG beim Geburtseintrag
vorzunehmen. Hierzu ist der Standesbeamte gemäß § 53 Abs. 1 PStG anzuhalten.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO.
Von Gerichtskosten sind Standesämter gemäß § 51 Abs. 1 S. 2 PStG befreit.
… … …