Urteil des OLG Oldenburg vom 27.08.1996

OLG Oldenburg: schmerzensgeld, eingriff, behandlung, vergleich, arteriosklerose, transplantation, entschädigung, operation, empfang, ermessen

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 80/96
Datum:
27.08.1996
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 847
Leitsatz:
Schmerzensgeld nach Nierenverlust bei unzureichender Aufklärung vor einer Nierenarteriendilation.
Volltext:
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch über die
Höhe des Schmerzensgeldes nach einer Behandlung zur Erweiterung
der verengten Nierenarterien.
Am 20.8.1992 erweiterte die bei der Beklagten zu 1) als Oberärztin
tätige Beklagte zu 2) die Arterie der rechten Niere der Klägerin,
wobei es zu einer Gewebeverletzung (Dissektion) kam. Der seit 1983
an Arterienverengung leidenden Klägerin waren bereits im Juni 1992
im Klinikum in A. beide Nierenarterien dilatiert worden. Im
Februar 1993 mußten ihr im Universitätsklinikum in E. wegen
eingetretenen Funktionsverlustes beide Nieren entfernt werden. Bis
zur Transplantation einer neuen Niere am 29.4.1995 war sie dialy-
seabhängig.
Die Klägerin hat behauptet, es sei fehlerhaft gewesen, die nahezu
noch gesunde rechte Nierenarterie zu erweitern; zunächst hätte die
geschädigte linke Nierenarterie behandelt werden müssen. Im übri-
gen hätte sie bei ausreichender Aufklärung über den geplanten Ein-
griff und die damit verbundenen Risiken einschließlich der Gefahr
einer Dialyseabhängigkeit mit der fast störungsfrei arbeitenden
rechten Niere weiterleben und sich wieder für einen Eingriff im
Klinikum in Aachen entscheiden können. Ein Einwilligungs- bzw.
Aufklärungsformular hat die Klägerin unstreitig nicht unterzeich-
net. Sie hält ein Schmerzensgeld von mindestens von 60.000,-- DM
für angemessen.
Die Beklagten haben behauptet, die Erweiterung auch der linken
Nierenarterie sei im kurzen zeitlichen Abstand - üblicherweise
zwei Tage - vorgesehen gewesen. Zunächst habe man sich angesichts
der stark fortgeschrittenen Stenose links für den leichteren Ein-
griff entschieden. Die Dialyseabhängigkeit hätte allenfalls zeit-
lich aufgeschoben werden können. Der Zustand der Klägerin sei Fol-
ge der schweren Grunderkrankung Arteriosklerose und nicht des Ein-
griffs. Die Beklagte zu 2) habe mit der Klägerin über die in Aus-
sicht genommene Dilatation beider Nierenarterien gesprochen; ange-
sichts der vorangegangenen Behandlung in A. nicht aber über
die allgemeinen Dilatationsrisiken.
Das Landgericht hat dem Schmerzensgeldantrag in Höhe von 20.000,--
DM und dem auf Ersatz von Zukunftsschäden gerichteten Feststel-
lungsantrag wegen unzureichender Aufklärung über den geplanten
Eingriff und die mit ihm verbundenen Risiken stattgegeben. Die
zwei Folgeoperationen und die bis zur Heilung durch die Organ-
transplantation dauernde etwa zweijährige Dialyseabhängigkeit
rechtfertige lediglich ein Schmerzensgeld in dieser Höhe.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihre
Schmerzensgeldvorstellung insgesamt weiter.
...
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Haftung der Beklagten gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB steht nach
dem insoweit nicht angegriffenen Urteil des Landgerichts dem Grun-
de nach fest. Die Beklagten sind verpflichtet, der Klägerin ein
Schmerzensgeld für den infolge der festgestellten unzureichenden
Aufklärung durch eine wirksame Einwilligung nicht gedeckten Ein-
griff - Dilatation rechts - zu zahlen.
Die Höhe der vom Landgericht erkannten, gemäß § 287 ZPO nach frei-
em Ermessen zu bestimmenden billigen Entschädigung ist nicht zu
beanstanden. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin von dem in der Be-
rufungsbegründung im einzelnen dargestellten Beschwerdebild seit
dem Eingriff ausgegangen werden. Auch ist ihr zuzugestehen, daß
nach dem Empfang einer Transplantatniere nicht von einer "Heilung"
im Sinne eines beeinträchtigungslosen, nicht weiter behandlungsbe-
dürftigen Zustandes ausgegangen werden darf. Das hat das Landge-
richt mit seiner entsprechenden Beschreibung der für die Bemessung
des immateriellen Schadensausgleichs heranzuziehenden Umstände so
auch nicht gemeint. Es hat insoweit lediglich auf den Vergleich im
Falle einer anderen oder gar keinen Behandlung hinweisen und damit
die Schmerzensgeld bestimmenden Faktoren näher umreißen wollen.
Die Klägerin übersieht bei ihren Schmerzensgeldvorstellungen und
der dafür in bezug genommenen Rechtsprechung (BGH VersR 1984, 538;
OLG Stuttgart, VersR 1991, 885; OLG Köln VersR 1991, 311 und VersR
1992, 1097) zu dem Funktionsverlust einer Niere aufgrund fehler-
hafter Behandlung, daß ihr Beschwerdebild weitgehend durch die
jahrelange schwere Arteriosklerose bestimmt war und ist. Der Be-
handlungsplan der Beklagten zu 2) und der Eingriff ist nach den
eingeholten sachverständigen Erläuterungen nicht fehlerhaft gewe-
sen. Das Vorgehen war indiziert und vertretbar, auch wenn der Gut-
achter ... zwei Gründe dafür gesehen hat, die für
einen Beginn zunächst mit der Erweiterung im Bereich der linken
stärker geschädigten Niere sprechen.
Insbesondere steht danach fest, daß die von den Beklagten vorgese-
hene Dilatation beider Nierenbereiche wie bereits gut 2 Monate zu-
vor in A geboten war und lediglich unterschiedliche Auffas-
sungen über die Reihenfolge bestehen, ohne daß insoweit haftungs-
begründende Abweichungen von dem einzuhaltenden Behandlungsstan-
dard anzuerkennen sind. Daraus folgt, daß den Beklagten der Ver-
lust der zweiten Niere nicht zugerechnet werden darf, was sich auf
die auszugleichenden immateriellen Schäden auswirken muß.
Die Schwere der den Beklagten nicht anzulastenden Vorschädigung
zeigt sich zusammengefaßt darin, daß ohne einen Eingriff in die
Nierenarterien von einer Dialyseabhängigkeit in 5 Jahren auszuge-
hen war. Die Erkrankung des Nierensystems und die dadurch bereits
bestehende reale Dialysegefährdung der Klägerin hat auf die Bemes-
sung des Schmerzensgeldes einen erheblichen Einfluß. Die Folgen
des beidseitigen Nierenverlustes, der Dialyseabhängigkeit und der
Transplantation können nur noch eingeschränkt für den immateriel-
len Schadensausgleich herangezogen werden.
Dadurch sollen keineswegs die Leiden, wie sie die Klägerin schil-
dert, herabgemindert werden. Sie sind aber von den Beklagten nur
in einem geringen Maß noch mitzuverantworten.
Ein Vergleich mit einem vor dem Eingriff insoweit gesunden Patien-
ten, wie er von der angeführten Rechtsprechung in den zu beurtei-
lenden Fallkonstellationen zu Recht angestellt wird, ist bei die-
ser Sachlage nicht mehr möglich, auch wenn die von der Einwilli-
gung nicht gedeckte Operation den Verlust der rechten Niere zu dem
genannten Zeitpunkt und die damit verbundenen Folgen ausgelöst
hat.
Angesichts des nur leichten Verschuldens, von dem vor allem auch
wegen der vorangegangenen klinischen Eingriffe gleicher Art aus-
gegangen werden muß, bildet das Schmerzensgeld mit 20.000,-- DM
einen angemessenen Ausgleich für die den Beklagten im Rahmen des
Immaterialausgleichs zuzurechnenden Beschwerden der Klägerin.
Die Berufung war daher mit den Nebenfolgen aus §§ 97 Abs. 1, 708
Nr. 10, 713, 546 ZPO insgesamt zurückzuweisen.