Urteil des OLG Oldenburg vom 09.10.2008

OLG Oldenburg: behandlung, rehabilitation, gesundheitszustand, verfassung, krankheit, medizinrecht, versorgung, anschluss, aufenthalt, nacht

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 5 W 91/08
Datum:
09.10.2008
Sachgebiet:
Normen:
SGB V § 107 Abs 2 Nr 2, BGB § 280, BGB § 823 ABS 1
Leitsatz:
Stürzt ein Patient in der geriatrischen Abteilung einer Reha-Klinik beim Verlassen des Bettes, so ist
durch Einholung eines medizinischen Gutachtens zu klären, ob der Sturz bei ordnungsgemäßem
medizinischen bzw. pflegerischen Verhalten zu verhindern gewesen wäre.
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
B e s c h l u s s
5 W 91/08
2 O 1918/08 Landgericht Osnabrück
In der Beschwerdesache
B...,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …
gegen
Klinikum O... GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer …
Antragsgegnerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte …
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …,
den Richter am Landgericht… und den Richter am Oberlandesgericht … beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück
vom 9.10.2008 abgeändert:
Der Antragstellerin wird für die beabsichtigte Klage gemäß Schriftsatz vom 31.7.2008 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Ihr wird Rechtsanwalt T..., O..., zu ihrer Vertretung in dem Rechtsstreit erster Instanz beigeordnet.
Gleichzeitig wird ihr aufgegeben, ab 1.1.2009 monatliche Raten von 60,€ an die Landeskasse zu zahlen.
Gründe:
I.
Die am 20.8.1913 geborene Antragstellerin musste wegen eines Oberschenkelhalsbruches links im M... O... operativ
versorgt werden. Bei Abschluss der Behandlung war sie hinreichend orientiert und wieder imstande, sich mit Hilfe
eines Rollators fortzubewegen. Am 16.8.2007 wurde sie zur Rehabilitation in die Klinik der Antragsgegnerin, dort die
Geriatrische Abteilung, überwiesen. Bereits in der Nacht vom 16.8. auf den 17.8.2007 stürzte sie nach Verlassen
ihres Bettes erneut, wobei sie einen Oberschenkelhalsbruch rechts davontrug. Mit der beabsichtigten Klage verlangt
die Antragstellerin die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und begehrt, festzustellen, dass die
Antragsgegnerin ihr den zukünftigen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu erstatten hat. Die
Antragstellerin hat der Antragsgegnerin vorgeworfen, sie hätte ihr Bett mit einem Bettgitter absichern müssen. Ihre
Tochter habe die Mitarbeiter der Antragsgegnerin bei der Aufnahme ausdrücklich davon in Kenntnis gesetzt, dass
sie – die Antragstellerin - im M... eine Neigung zur Bettflüchtigkeit entwickelt habe und sie deshalb in einem Bett mit
Bettgitter untergebracht worden sei. Demgegenüber hat die Antragsgegnerin behauptet, die Antragstellerin habe bei
der Aufnahme bei kognitiver Auffälligkeit einen guten postoperativen Status mit guten Möglichkeiten zur
Eigenmobilisation gezeigt. Aufgrund der sich bietenden klinischen Befunde habe sich die individuelle Sturzgefahr der
Antragstellerin nicht so dargestellt, dass weitere Maßnahmen geboten gewesen seien. Die 2. Zivilkammer des
Landgerichts Osnabrück hat den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss
vom 09.10.2008 mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der
sofortigen Beschwerde.
II.
Die gemäß den §§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist insoweit
begründet, als ihr unter Anordnung monatlicher Ratenzahlungen Prozesskostenhilfe für die erste Instanz zu
gewähren war. Die Antragstellerin ist nur teilweise in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Die von
ihr beabsichtigte Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
1.) Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Obhutspflichten eines Pflegeheimträgers, sondern um die Pflicht der
Antragsgegnerin, die Antragstellerin auf der Grundlage eines Behandlungsvertrages im Rahmen einer
Rehabilitationsmaßnahme pflegerisch und ärztlich zu betreuen.
2.) Umfang und Ausmaß der von einem Krankenhaus zu gewährleistenden Pflege und Betreuung richten sich nach
dem Gesundheitszustand des jeweiligen Patienten, also in erster Linie nach den Beschwerden und Erkrankungen,
die den stationären Aufenthalt und die Betreuung notwendig machen. Weiter sind bedeutsam die körperliche,
seelische und geistige Verfassung. Ob und in welchem Umfang der Zustand des Patienten besondere und
zusätzliche pflegerische Maßnahmen erfordert, ist vom behandelnden Arzt des Krankenhauses zu klären und zu
entscheiden (Oberlandesgericht Düsseldorf, GesR 2006, S. 214, 215. vgl. dazu auch Feifel, GesR 2005, S. 196,
197. Oberlandesgericht Schleswig, OLGReport 2004, S. 3,4. Oberlandesgericht Düsseldorf, OLGReport 2002, S.
372, 373 f.).
3.) Nichts anderes gilt für die Behandlung in einer Rehabilitationseinrichtung. Denn diese Einrichtungen dienen
gemäß § 107 Abs. 2 Nr. 1b SGB V u.a. der stationären Behandlung des Patienten, um eine Krankheit zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an eine
Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen. Dabei muss die
Einrichtung fachlichmedizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders
geschultem Personal darauf eingerichtet sein, den Gesundheitszustand des Patienten nach einem ärztlichen
Behandlungsplan zu verbessern (§ 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Von einer Krankenhausbehandlung unterscheidet sich
die Rehabilitation nur dadurch, dass im Krankenhaus die ärztliche Versorgung des Patienten im Vordergrund steht,
während im Rahmen der Rehabilitation die pflegerische Betreuung der ärztlichen Behandlung eher gleichwertig
nebengeordnet ist (Ratzel / LuxenburgerVollmöller, Hdb. Medizinrecht, § 35 Rdnr. 66, 69).
4.) Der erforderliche Sorgfaltsmaßstab wird im Arzthaftungsrecht durch den ärztlichen und pflegerischen Standard
bestimmt (Feifel, a.a.O., S. 197), den das Gericht nicht ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen allein aus einer
eigenen rechtlichen Beurteilung heraus festlegen darf (Bundesgerichtshof, VersR 1995, S. 659, 660. Steffen/Pauge,
Arzthaftungsrecht, 10.A., Rdnr. 602). Im Hinblick darauf wird durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu
klären sein, ob der Sturz der Klägerin bei ordnungsgemäßem ärztlichen bzw. pflegerischen Verhalten zu verhindern
gewesen wäre (vgl. dazu auch Oberlandesgericht Düsseldorf, GesR 2006, S. 214, 215. Oberlandesgericht
Schleswig, OLGReport 2004, S. 3, 4. Oberlandesgericht Düsseldorf, OLGReport 2002, S. 372, 374). Ist aber über die
Behauptung der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei Beweis zu erheben, ist die hinreichende Erfolgsaussicht
ihrer Klage regelmäßig gegeben (ZöllerPhilippi, ZPO, 28.A., § 114 Rdnr. 26).
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.
Oldenburg, 12. Dezember 2008
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