Urteil des OLG Oldenburg vom 24.09.1991

OLG Oldenburg: beschuldigter, vollzug, haftbefehl, entschädigung, kausalität, verwertung, haus, angeklagter, brand, strafanzeige

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 1 WS 161/91
Datum:
24.09.1991
Sachgebiet:
Normen:
STREG § 5 ABS 2, STREG § 6 ABS 1 NR 1
Leitsatz:
Die §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO; 5 Abs. 2; 6 Abs. 1 Nr. 1 StREG erfassen nicht das Verhalten
eines Zeugen.
Volltext:
a) Der Beschwerdeführer ist zunächst zweimal - nämlich am 4. und am 7. Dezember 1989 - als Zeuge vernommen
worden; auf ein etwaiges (auch teilweises) Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO ist er nicht hingewiesen
worden. Bei diesen Aussagen hat er Abtransporte vom 28. und 30. November 1989 nicht erwähnt. Erst danach -
nach Durchführung weiterer Ermittlungen, insbesondere der Vernehmung des Zeugen S. am 8. Dezember 1989 - wird
der Beschwerdeführer in der Strafanzeige der Kriminalpolizei vom 13. Dezember 1989 erstmals als Bescchuldigter
bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hat sodann am 15. Dezember 1989 gegen ihn als Beschuldigten einen
Haftbefehl sowie Durchsuchungen und Beschlagnahmen beantragt. Haftbefehl, Durchsuchungs- und
Beschlagnahmebeschluß des Amtsgerichts datieren vom 18. Dezember 1989.
Festnahme, Durchsuchungen und Beschlagnahmen erfolgten am 20. Dezember 1989. Erst danach ist der
Beschwerdeführer erstmals als Beschuldigter vernommen worden, und zwar kurz am 20. Dezember 1989. Dabei hat
er erklärt, er habe mit dem Brand nichts zu tun. Am 21. Dezember 1989 ist er ausführlich vom Haftrichter als
Beschuldigter vernommen worden. Hierbei hat er auf Vorhalt eingeräumt, daß er am 28. November 1989 einen
Schrank und zwei kleine Tischchen und am 30. November 1989 Schuhe aus dem später abgebrannten Haus
weggeschafft habe. Von diesen Angaben ist der Beschwerdeführer, der dann nicht nochmals vernommen woren ist,
auch späterhin nicht abgewichen. Im Anschluß an diese Vernehmung wurde der Haftbefehl am 21. Dezember 1989
gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Am 5. Juli 1990 wurde der Haftbefehl aufgehoben.
b) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
Ein Fall nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht vor. Der
Beschwerdeführer hat bei seinen Vernehmungen am 4. und 7. Dezember 1989 als Zeuge Vorgänge verschwiegen,
die er später als Beschuldigter am 21. Dezember 1989 eingeräumt hat. Er hat sich dadurch nachträglich wegen
seiner vorangegangenen Zeugenaussagen verdächtig gemacht; seine Einlassung als Beschuldigter am 21.
Dezember 1989 war indessen nicht inkorrekt im Sinne des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO. Der Beschwerdeführer hat
mithin nicht als Bescchuldigter durcch inkonsequentes Aussageverhalten die Erhebung der öffentlichen Klage
veranlaßt. Er hat sich nur zuvor als Zeuge unvollständig geäußert, nicht jedoch im Rahmen einer gegen ihn
erhobenen Beschuldigung. Deshalb liegt ein Fall nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO, der nur bestimmtes Aussage-
Fehlverhalten eines Beschuldigten kostenrechtlich sanktioniert (Karlsruher Kommentar/Schikora/Schimansky, 2.
Aufl., § 467 StPO, Rn. 7; OLG Koblenz VRS 45, 374; OLG Celle Nds. Rpfl. 1978, 203), nicht vor. Der Senat hält es
auch nicht für angängig, diese - vom Regelfall des § 467 Abs. 1 StPO abweichende - Ausnahmevorschrift erweiternd
oder analog anzuwenden (ebenso Löwe/Rosenberg/Hilger, 24. Aufl., § 467 StPO, Rn. 34), weil der
Beschwerdeführeer später beschuldigt worden ist.
Die prozessuale Situation bzw. "Interessenlage" ist bei einem Zeugen und/oder einem Beschuldigten, etwa im
Hinblick auf Belehrungspflichten und Aussageverweiterungsrechte, durchaus unterschiedlich. Das hat die
Rechtsprechung - z.B. im Zusammenhang mit der Verwertung von Aussagen des früheren Zeugen und späteren
Angeklagten, der als Zeuge nicht nach §§ 136, 136 a, 163 a StPO belehrt werden mußte, in der Hauptverhandlung -
deutlich hervorgehoben. Die Rechtsprechung unterscheidet deswegen zwischen Äußerungen der nämlichen Person
einmal als Zeuge und zum anderen als Beschuldigter bzw. Angeklagter (vgl. etwa BGH NStZ 1990, 446 f). Nach
Auffassung des Senats darf im Rahmen des § 467 StPO nicht nach anderen Maßstäben gemessen werden.
c) Der Beschwerdeführer ist gem. § 2 StREG zu entschädigen.
Ein Ausschluß der Entschädigung kommt weder nach § 5 Abs. 2 StREG noch nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 StREG in
Betracht.
Der Beschwerdeführer hat nicht als Beschuldigter die gegen ihn ergangenen Strafverfolgungsmaßnahmen vorsätzlich
oder grob fahrlässig verursacht (§ 5 Abs. 2 StREG). Er hat auch nicht als Beschuldigter sich belastet oder
entlastende Umstände verschwiegen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StREG). Auf die obigen Ausführungen zu B.b) betr. die
unterschiedlichen Regelungen bzw. Rechtsfolgen bei Angaben eines Zeugen oder eines Beschuldigten wird
verwiesen. Nur soweit sich der Betreffende als Beschuldigter inkorekt verhalten hat, kommt (wie bei § 467 Abs. 3 S.
2 Nr. 1 StPO) ein Entfallen der Entschädigung in Betracht (vgl. Schätzler, StREG, 2. Aufl., § 5, Rn. 37; § 6, Rn. 6,
7; Meyer, StREG, 2. Aufl., § 5, Rn. 35; § 6 Rn. 22).
Hier abeer hat sich der Beschwerdeführer als Bescchuldigter, also bei seiner Vernehmung am 21. Dezember 1989,
aussagemäßig nicht inkorrekt im Sinne der §§ 5 Abs. 2; 6 Abs. 1 Nr. 1 StREG verhalten. Im übrigen fehlt es auch an
jeglicher Kausalität der Beschuldigtenangaben vom 21. Dezember 1989 für den Erlaß der genannten gegen ihn
gerichteten Verfolgungsmaßnahmen. Denn diese liegen, wie oben zu B.a) ausgeführt, durchweg zeitlich vor der
Vernehmung des Beschwerdeführeers als Beschuldigter am 21. Dezember 1989. In zeitlicher Hinsicht anderes gilt
nur für den weiteren Bestand des im Vollzug ausgesetzten Haftbefehls und für die Befolgung der dem
Beschwerdeführer erteilten Auflagen in der Zeit vom 21. Dezember 1989 bis zur Aufhebung des Haftbefehls am 5.
Juli 1990. Der Fortbestand des im Vollzug ausgesetzten Haftbefehls hängt allerdings mit der vorangegangenen
Vernehmung des Beschwerdeführers als Beschuldigter am 21. Dezember 1989 zusammen. Der Beschwerdeführer
hat sich jedoch bei dieser Vernehmungals Beschuldigter gerade nicht inkorrekt im Sinne des
Strafentschädigungsgesetzes verhalten. Folglich kann auch die Aufrechterhaltung des außer Vollzug gesetzten
Haftbefehls nicht als dadurch im Rechtssinne verursacht (Meyer a.a.O., § 5, Rn. 40; Schätzler a.a.O., § 5, Rn. 37,
38; Kleinknecht/Meyer/Meyer-Goßner, StPO, 40. Aufl., § 5 StREG, Rn. 7) angesehen und ihm
entschädigungsausschließend zugerechnet werden. Dies um so weniger, als bei natürlicher und wertender
Betrachtungsweise das Aussageverhalten des Beschuldigten vom 21. Dezember 1989 nicht zu einer zusätzlichen
Strafverfolgungsmaßnahme, sondern umgekehrt zu einer Reduzierung der schon zuvor ergangenen Maßnahme - am
21. Dezember erfolgte die Außervollzugsetzung des am 20. Dezember (uneingeschränkt) erlassenen Haftbefehls -
durch die Strafverfolgungsbehörden geführt hat.