Urteil des OLG Oldenburg vom 22.06.2010

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Gericht:
OLG Oldenburg, Senat für Bußgeldsachen
Typ, AZ:
Beschluss, 2 SsBs 27/10
Datum:
22.06.2010
Sachgebiet:
Normen:
SGB III § 284 Abs 1, SGB III § 404 Abs 2 Nr 3, StGB § 266 a
Leitsatz:
Zur Frage der prozessualen Tateinheit von Verstößen gegen §§ 284 Abs. 1, 404 SGB III und § 266 a
StGB bei Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern ohne Arbeitserlaubnis
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
Senat für Bußgeldsachen
2 SsBs 27/10
144 Js 81167/09 StA Osnabrück
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen
E… K…,
geboren am … in B…,
wohnhaft …
Verteidiger:
Rechtsanwalt …
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Oldenburg am
am 22. Juni 2010
durch die Richterin am Oberlandesgericht … als Einzelrichterin (§ 80a Abs. 1 OWiG) gemäß §§ 79 Abs. 5 OWiG
beschlossen:
I. Das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 7.12.2009 wird aufgehoben.
II. Das Verfahren wird eingestellt.
III. Die Staatskasse hat die Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen zu tragen. ferner die dem Betroffenen jeweils
entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe:
I. Mit Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 7.12.2009 ist der Betroffene wegen vorsätzlicher Beschäftigung einer
Arbeitnehmerin entgegen § 284 Abs. 1 SGB III ohne Arbeitsgenehmigung gemäß § 404 Abs. 2, 3 SGB III zu einer
Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt worden.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen hat der Betroffene in der Zeit vom 01.01.2007 bis zum 31.05.2007 die
polnische Staatsangehörige J… M… L… als Haushaltshilfe beschäftigt, obwohl sie, wie er wusste, keine gültige
Arbeitsgenehmigung besaß. Das Verfahren wegen der darin liegenden Ordnungswidrigkeit nach dem SGB III wurde
durch das Hauptzollamt Osnabrück geführt. Zugleich wurde seitens der Staatsanwaltschaft Osnabrück auf der
Grundlage der Ermittlungen des Hauptzollamtes Osnabrück ein Strafverfahren wegen des Verdachts des
Vorenthaltens von Arbeitsentgelten gemäß § 266 a StGB für die Tatzeit vom 01.01.2007 bis zum 31.05.2007
geführt. Dieses Verfahren wurde jedoch nach Zahlung einer Geldbuße durch den Betroffenen durch die
Staatsanwaltschaft gemäß § 153 a StPO bereits im Jahre 2008 endgültig eingestellt.
Das Hauptzollamt Osnabrück setzte gegen den Betroffenen am 18.3.2009 mit Bußgeldbescheid vom 18.3.2009 eine
Geldbuße fest. Auf den Einspruch des Betroffenen hin hat das Amtsgericht sodann mit Urteil vom 7.12.2009 eine
Geldbuße in Höhe von 1.000 Euro gegen den Betroffenen verhängt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der
Rechtsbeschwerde.
II. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und auch in der Sache erfolgreich.
1. Obgleich die Zustellung des Urteils des Amtsgerichts Osnabrück vom 07.12.2009 an den Verteidiger
Rechtsanwalt B… am 29.12.2009 OWiG die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3
OWiG, 345 Abs. 1 StPO nicht in Gang setzten konnte, ist der Senat nicht gehindert bereits jetzt eine
Sachentscheidung zu treffen. Da der Verteidiger des Betroffenen keine Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht
hat, ist er nicht gemäß § 145 a Abs. 1 StPO ermächtigt, Zustellungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen.
Aus diesem Grunde konnte das Urteil nicht wirksam zugestellt werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass die
Rechtsbeschwerdebegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht zu laufen begonnen hat. Da der Verteidiger des
Betroffenen für diesen aber bereits die Rechtsbeschwerdebegründung eingereicht hat und die Rechtsbeschwerde hier
wegen des Bestehens eines Verfahrenshindernisses die Einstellung des Verfahrens in der Rechtsbeschwerdeinstanz
zur Folge hat, kann der Senat bereits jetzt, ohne erneute Zustellung des Urteils an den Betroffenen, entscheiden.
Eine erneute Zustellung und das Abwarten des Ablaufs der dadurch in Gang gesetzten Frist würde nämlich nur zur
Verzögerung des Verfahrens führen und nicht dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen entsprechen.
2. Aufgrund der Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 153 a StPO ist es zu einem
Strafklageverbrauch gekommen, welcher ein Verfahrenshindernis begründet, das der Verfolgung der Handlungen des
Betroffenen als Ordnungswidrigkeit entgegensteht (vgl. § 153 a Abs. 1 S. 5 StPO). Die unterlassene Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge (§ 266 a StGB) und die Beschäftigung der Zeugin L… entgegen § 284 Abs. 1 SGB III (§
404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III) stellen eine Tat im prozessualen Sinn dar. Mehrere sachlichrechtlich selbständige
Handlungen bilden nur dann eine Tat im prozessualen Sinne, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich
ineinander übergehen, sondern nach den ihnen zugrundeliegenden Ereignissen bei natürlicher Betrachtung unter
Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, dass
der Unrechts und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt
haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren als
unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (BGHSt 23, 141). Im vorliegenden
Fall sind diese Voraussetzungen erfüllt. Zwar wird das bloße Unterlassen der Anmeldung der betreffenden
Arbeitnehmerin bei der für die Sozialversicherungsabgaben zuständigen Einzugsstelle weder durch § 266 a StGB
noch durch § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III erfasst. Anmeldepflichtig hinsichtlich der Arbeitserlaubnis ist auch nicht der
Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer (vgl. die Durchführungsanweisungen der Agentur für Arbeit zu § 284 SGB III,
Unterpunkt 4.1.112). Auch der Umstand, dass die Taten zeitlich parallel aufgrund eines Gesamtplans erfolgten,
genügt allein noch nicht für die Annahme einer prozessualen Tat (vgl. BGH, NStZ 88, 77, Entscheidung zum hier
nicht vorliegenden Fall der Lohnsteuerhinterziehung und des Vorenthaltens der Sozialabgaben). Allerdings kommt
hier hinzu, dass der Betroffene bei der Anmeldung der Zeugin bei der Krankenkasse als der zuständigen
Einzugsstelle gem. § 28 a SGB IV ihre Staatsangehörigkeit hätte angeben müssen, was den Behörden eine
Überprüfung der Arbeitserlaubnis ermöglicht hätte. Auf der anderen Seite schuf der Betroffende durch die unerlaubte
Beschäftigung der Zeugin L… die Grundlage für das Nichtabführen der Beiträge zur Sozialversicherung, da mangels
Einholen der Arbeitserlaubnis davon auszugehen war, dass die Zeugin behördlich nicht bekannt sein würde, die
Gefahr einer Kontrolle damit also erheblich reduziert wurde. Hierin lag auch der alleinige objektive Nutzen, den der
Betroffene aus dem Verstoß gegen § 404 SGB III zog. Die Zeugin hätte nämlich ohne Schwierigkeit eine
Arbeitserlaubnis erhalten. Hierzu hat das Amtsgericht zwar keine Feststellungen getroffen. die Tatsache ergibt sich
aber aus der bei der Akte befindlichen Auskunft der Bundesagentur für Arbeit Osnabrück vom 15.1.2009 (Bl. 66
d.A.), die der Senat im Wege des Freibeweises verwerten kann (vgl. GöhlerSeitz, OWiG, 15. Aufl., § 79 Rn. 47 a).
Es stellte deshalb eine unnatürliche Differenzierung dar, wolle man die verbotene Beschäftigung und die hierauf
fußende und ermöglichte Beitragsvorenthalten getrennt würdigen und gesonderter Aburteilung zugänglich erachten
(so auch i.E. OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.05.1982 – 3 Ss (25) 210/82, NStZ 1982, S 514).
Die Würdigung als einheitliche prozessuale Tat hat zur Folge, dass die Einstellung gemäß § 153 a StPO auch die
Ahndung als Ordnungswidrigkeit hindert (MeyerGoßner, StPO, 52. Auflage, § 153 a Rn. 45). Denn § 153 a StPO
führt zwar nicht zur Verhängung einer Strafe, beinhaltet jedoch eine Sachentscheidung mit strafrechtlicher
Sanktionswirkung (MeyerGoßner, StPO, 52. Auflage, § 153 a Rn. 35). Da die Vorschrift des § 153 a StPO auf eine
prozessuale Tat nur einheitlich angewandt werden kann, entfaltet die im abgetrennten strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren erfolgte Einstellung gemäß § 153 a StPO als zeitlich erste rechtskräftige Entscheidung
Sperrwirkung für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit im getrennten Verfahren.
Dieses Verfahrenshindernis ist auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu beachten (OLG Jena,
NStZRR 2006, 319). Da das angefochtene Urteil mithin nicht hätte ergehen dürfen, sondern das Verfahren bereits
seitens des Amtsgerichts gemäß §§ 206 a bzw. 260 Abs. 3 StPO hätte eingestellt werden müssen, war das Urteil
aufzuheben und das Verfahren einzustellen, wobei die Aufhebung des Urteils lediglich der Klarstellung dient.
Da das Verfahrenshindernis schon zur Zeit der amtsgerichtlichen Befassung mit der Sache bestanden hat, ist es
angebracht, der Staatskasse die Verfahrenskosten insgesamt einschließlich der in beiden Rechtszügen
entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V. m. §§ 467 Abs. 1 StPO)