Urteil des OLG Oldenburg vom 26.09.1990

OLG Oldenburg: befund, körperliche untersuchung, berufsunfähigkeit, gutachter, behandlung, terminologie, privatdozent, diagnose, stillstand, therapie

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 105/90
Datum:
26.09.1990
Sachgebiet:
Normen:
Keine Normen eingetragen
Leitsatz:
Der in § 15 b Satz 2 MBKT/78 erwähnte "medizinische Befund" ist jeder Befund, der gründlich genug
erhoben worden ist, um eine entsprechende Aussage treffen zu können.
Volltext:
I. Der Kläger macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten unter Bezug-
nahme auf die MB/KT/78 abgeschlossenen Krankentagegeldversicherung geltend.
Der Kläger ist seit 1984 wegen einer funikulären Myelose, einer Spinal-
erkrankung, die durch einen Vitamin B 12-Mangel ausgelöst wird, in ärztlicher Behandlung. Auf Veranlassung der
Beklagten wurde er vor Klageerhebung zuletzt am 9. September 1987 von dem Privatdozenten Dr. H. untersucht, der
seinen Befund in dem Gutachten vom 27. November 1987, auf das wegen aller Einzelheiten verwiesen wird,
niederlegte und zu dem Schluß kam, eine Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % solle für ein weiteres Jahr
angenommen werden. Im Auftrag der Beklagten erstattete der Arbeitsmediziner Dr. B. unter dem 5. Februar 1988 ein
Gutachten, in dem er unter Auswertung der Krankenunterlagen und des Gutachtens H. - ohne Untersuchung des
Klägers - zu dem Ergebnis kam, der Kläger sei auf nicht absehbare Zeit zu mehr als 50 % erwerbsunfähig im zuletzt
ausgeübten Beruf. Die Beklagte stellte darauf ab 6. April 1988 die Zahlung des täglich vereinbarten Tagegeldes von
380,-- DM ein.
Der Kläger hat für die Zeit vom 6. April 1988 bis zum 15. Dezember 1988 95.000,-- DM Tagegeld begehrt.
Er hat die Auffassung vertreten, bei dem Gutachten des Dr. B. handele es sich nicht um einen "medizinischen
Befund" im Sinne von § 15 b MB/KT/78, da dieser keine eigene körperliche Untersuchung durchgeführt habe.
Nach Untersuchung durch den vom Landgericht bestellten Sachverständigen Prof. Dr. B. am 5. September 1989 und
Eingang von dessen Gutachten vom 26. Januar 1990 hat er eingeräumt, jetzt zu mehr als 50 % erwerbsunfähig zu
sein.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt:
Entgegen der Auffassung des Klägers stelle das Gutachten des Dr. B. vom 5. Februar 1988 einen medizinischen
Befund im Sinne von § 15 b MB/KT/78 dar. Einer Untersuchung des Versicherten durch den Gutachter selbst
bedürfe es nicht. Es genüge vielmehr ein Befund, aus dem sich die Berufsunfähigkeit objektiv ergebe. Es reiche
aus, wenn sich der feststellende Arzt auf die Krankenunterlagen eines Vorbehandlers stütze.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen Standpunkt weiter.
II. Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht kein
Anspruch auf Krankentagegeld für die Zeit über den 5. April 1988 hinaus zu. Das Versicherungsverhältnis war zu
dieser Zeit durch Eintritt der Berufsunfähigkeit des Klägers beendet (§ 15 b MB/KT/78).
Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn die ver-
sicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 %
erwerbsunfähig ist. Diese Vorausset-
zungen liegen zumindest seit dem 6. April 1988 vor.
Nach dem vom Landgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. steht fest, daß der Kläger
infolge einer funikulären Myelose in seinem bisher ausgeübten Beruf als Arzt dauernd zu mehr als 50 %
erwerbsunfähig ist. Das nimmt der Kläger auch nicht mehr in Abrede. Er greift das Urteil des Landgerichts lediglich
insoweit an, als dieses angenommen hat, bei dem Gutachten des Dr. B. vom 5. Februar 1988 handele es sich um
den maßgeblichen "medizinischen Befund" im Sinne von § 15 b MB/KT/78. Es kann indessen dahinstehen, ob
dieses Gutachten als "medizi-
nischer Befund" im Sinne der Versicherungsbedingungen zu qualifizieren ist, denn ein solcher lag bereits aus
früherer Zeit vor. Der in § 15 b Satz 2 MB/KT/78 erwähnte medizinische Befund ist nicht nur derjenige, der
ausdrücklich zum Zwecke der Feststellung des Vorliegens einer qualifizierten Berufsunfähigkeit veranlaßt worden
ist, sondern jeder Befund, der gründlich genug erhoben worden ist, um eine entsprechende Aussage treffen zu
können. Das Wort "medizinisch" soll eine objektive Betrachtungsweise vorschreiben, die sich nicht mit dem
Standpunkt des behandelnden Arztes decken muß. Die ganze Behandlung ist objektiv zu beurteilen, auch wenn sie
durch mehrere Ärzte, die möglicherweise verschiedene Ansichten haben, erfolgt (vgl. Bach/Moser, Private Kranken-
versicherung, § 15 MB/KT/78 Anm. 13). Diese Definition des medizinischen Befundes deckt sich - soweit ersichtlich
- auch mit der sonstigen entsprechenden Terminologie in der medizinisch-juristischen Literatur. So wird bei der Frage
nach Art und Grenzen der Einsicht des Patienten in die Krankenunterlagen des Arztes oder Krankenhauses
zwischen dem "natur-
wissenschaftlich konkretisierbaren Befund" und den "subjektiven Wertun-
gen" des Arztes unterschieden (vgl. BGH NJW 1983, 328). In gleicher Weise ist für die Befugnis zur Ausübung der
Heilkunde u.a. beachtlich, ob "außer dem bloßen Befund auch medizinische Wertungen" angezeigt sind (vgl. OLG
Düsseldorf, MedR 1989, 92).
Ein derartiger - objektiver - medizinischer Befund ist spätestens in dem Gutachten des Sachverständigen
Privatdozent Dr. H. vom 27. November 1987 enthalten, in dem dieser nach einer Untersuchung des Klägers dessen
körperliche Befindlichkeit beschreibt. Dem steht nicht die Beurteilung dieses Arztes entgegen, der Berufsunfähigkeit
lediglich für zunächst ein weiteres Jahr angenommen hat, denn - wie ausgeführt - kommt es nicht auf den
Standpunkt des betreffenden Arztes, sondern auf die objektiven Fest-
stellungen an. Diese gebieten nach dem urkundenbeweislich verwerteten Gutachten des Arbeitsmediziners Dr. B.
vom 5. Februar 1988 und dem gerichtlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. vom 26. Januar 1990 die
Annahme dauernder Erwerbhsunfähigkeit zu mehr als 50 % bereits für November 1987. Übereinstimmend stellen
beide Gutachter fest, daß infolge der relativ spät gestellten Diagnose durch die sodann eingeleitete Therapie
allenfalls ein Stillstand der neurologischen Symptomatik erreicht werden konnte, keinesfalls aber eine Rückbildung.
Das heißt, der von Dr. H. im November 1987 erhobene Befund war endgültig und rechtfertigte jedenfalls bei
objektiver Betrachtungsweise nicht die Erwartung auf eine Besserung. - Der Kläger war daher jedenfalls ab 6. April
1988 nach medizinischem Befund in seinem bisher ausgeübten Beruf als Arzt auf nicht absehbare Zeit zu mehr als
50 % erwerbsunfähig.