Urteil des OLG Oldenburg vom 24.01.1994

OLG Oldenburg: verlust des sehvermögens, operation, körperverletzung, analogie, strafgesetzbuch, zerstörung, straftat, form, beschränkung, verletzter

Gericht:
OLG Oldenburg, unbekannt
Typ, AZ:
Beschluß, SS 478/93
Datum:
24.01.1994
Sachgebiet:
Normen:
STGB § 223, STGB § 18
Leitsatz:
Keine Ursächlichkeit eines Faustschlags für den endgültigen Verlust des Sehvermögens auf einem
schon zuvor fast blinden Auge bei fehlender Operationswilligkeit
Volltext:
Das Schöffengericht hatte den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten zum
Schuldspruch verworfen, jedoch nach § 224 Abs. 2 StGB die Strafe auf zehn Monate ermäßigt.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit er sich gegen die Beweiswürdigung und die Feststellung des
Landgerichts wendet, er habe den Nebenkläger rechtswidrig und schuldhaft vorsätzlich am Kopf verletzt. Der
Schuldspruch war daher wegen eines Vergehens nach § 233 StGB aufrechtzuerhalten. Das konnte durch den Senat
geschehen. Denn es war im Verlaufe des Verfahrens neben § 244 StGB auch bereits auf § 223 StGB hingewiesen
worden. Ein rechtzeitiger Strafantrag des Nebenklägers liegt vor.
Hingegen hat die Revision im übrigen Erfolg. Das Landgericht hat das Handeln des Angeklagten zu Unrecht als
schwerde Körperverletzung nach § 224 StGB bewertet. Deshalb kann auch der Strafausspruch nicht bestehen
bleiben.
Nach den maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte am 19. März 1992 den am Bode
liegenden Nebenkläger mit der Faust vorsätzlich ins Gesicht geschlagen. Das diesem Schlag vorangegangene
Verhalten des Nebenklägers ist für den Schuldspruch ohne Bedeutung. Er hat den Nebenkläger dabei am rechten
Auge verletzt. Dieses mußte später entfernt werden. Eine damit verbundene erhebliche dauernde Entstellung hat das
Landgericht ausdrücklich verneint. Das rechte Auge des Nebenklägers war vorgeschädigt. Der zur Tatzeit 28 Jahre
alte Nebenkläger hatte bereits mit 11 Jahren 1975 einen Pfeilschuß eine Verletzung dieses Auges erlitten. Es hatte
seither nur noch eine Sehfähigkeit von 2 Prozent. Der Nebenkläger konnte damit nur noch hell und dunkel
unterscheiden und evtl. noch Umrisse in groben Zügen. Das linke Auge hat schon seit Geburt nur eine Sehfähigkeit
von 20 Prozent. Seit 1978 bestand für den Nebenkläger die Möglichkeit, sein rechtes Auge operieren zu lassen. Mit
aller Wahrscheinlichkeit hätte diese Operation die Sehfähigkeit auf 20 Prozent erhöht. Der Nebenkläger hatte sich
jedoch mit dem Zustand seines rechten Auges abgefunden.
Das Verhalten des Angeklagten erfüllt nicht den Tatbestand des § 224 StGB. Der Nebenkläger hat im Rechtssinne
nicht durch die Körperverletzung des Angeklagten das Sehvermögen auf dem rechten Auge verloren.
Der Nebenkläger hatte bereits durch die vorangegangene Reduzierung seiner Sehfähigkeit auf 2 Prozent das
Sehvermögen auf dem rechten Auge praktisch verloren. Denn die Beschränkung der Sehfähigkeit auf 2 Prozent
steht rechtlich dem Verlust gleich (RGSt 71, 119; 72, 311; Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, 46. Aufl., § 224, Rn. 5).
Hiervon ausgehend scheidet ein erneuter Verlust des Sehvermögens durch den Schlag des Angeklagten bereits
begrifflich grundsätzlich aus.
Allerdings soll nach einer möglicherweise unter der Geltung des eine Analogie zu Lasten des Täters zulassenden § 2
a.F. StGB - Einzelentscheidung (RG in Deutsches Recht 1941, 1403) auch ein bereits im Rechtssinne eingetretener
Verlust des Sehvermögens bei einer Sehfähigkeit von nur 2 Prozent bei einer weiteren Schädigung des Auges bis zu
dessen völliger Zerstörung eines Verstoß gegen § 224 StGB nach den besonderen Umständen des Einzelfalles nicht
ausschließen. Die Voraussetzungen für eine derartige Annahme liegen hier jedoch nicht vor. Nach Auffassung des
Senats könnte ein solcher besonderer Umstand dann gegeben sein, wenn ein nicht endgültig sehunfähiger oder
diesem wie hier gleichzustellender Verletzter konkrete Schritte zu einer erfolgversprechenden Operation in die Wege
geleitet und dieses Vorhaben nur infolge der begangenen Straftat nicht verwirklicht hätte. Dann nämlich ließe sich
sagen, daß im Hinblick auf die geplante Operation derzeit nur eine vorübergehende Sehunfähigkeit vorlga, das
Sehvermögen als solches in Form der sicheren Wiedererlangungsmöglichkeit einer gewissen Sehkraft aber noch
bestand und daher auch aufgrund eines weiteres Schlages verloren werden konnte.
Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Nach der blindenden Feststellung des Landgerichts wollte der
Nebenkläger nämlich keine Operation seines Auges vornehmen lassen. Er hatte sich vielmehr, wie auch seine
Untätigkeit über 13 Jahre hinweg insoweit beweist, mit seinem faktischen Unvermögen, auf dem rechten Auge zu
sehen, trotz Kenntnis von der gefahrlosen teilweisen operativen Heilbarkeit abgefunden. Der Nebenkläger wäre
mithin auch ohne den Faustschlag des Angeklagten aufgrund seines fehlenden Willens, sich einer Operation zu
unterziehen, auf Dauer ohne beachtliches Sehvermögen auf dem rechten Auge verblieben.