Urteil des OLG Oldenburg vom 20.11.1990

OLG Oldenburg: operation, coxarthrose, endoprothese, anhörung, schmerzensgeld, osteochondrose, patient, daten, behandlungsfehler, scheidung

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 10/90
Datum:
20.11.1990
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 411
Leitsatz:
Zur Indikation einer Umstellungsostheotomie mit Teilsynovectomie bei an Bandscheibe und
Hüftgelenk stark vorgeschädigten 43jährigen Mann. Schmerzensgeld für mißlungene Korrektur der
Außenrotation eines Beines.
Volltext:
Der Beklagte ist gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB verpflichtet, dem Kläger Ersatz für die immateriellen Schäden
aufgrund der fehlerhaft durchgeführten Korrektur der Außenrotation zu leisten. Außerdem war die Verpflichtung des
Klägers zu Ersatzleistungen für zukünftige Schäden auszusprechen, da weitere von den zur Zeit der letzten
mündlichen Verhandlung erkennbaren unabhängige Schäden entstehen könen. Eine Ersatzpflicht für die darüber
hinaus beim Kläger bestehenden Körperschäden und die darauf beruhende Berufsunfähigkeit besteht nicht, da diese
Schädigungen nicht im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Behandlung durch den Beklagten zu bringen und
diesem im übrigen auch keine Aufklärungspflichtverletzungen vorzuwerfen sind.
Die Vorwürfe des Klägers gegenüber dem Sachverständigen, insbesondere er habe sich bis zur Unverständlichkeit
hinter seiner Fachsprache versteckt, das Gericht nicht beraten und sei den entscheidenden Fragen ausgewichen,
treffen nicht zu. Der Sachverständige hat vielmehr - was seine ureigenste Aufgabe ist - zunächst auf der Grundlage
der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse, für deren Erhebung und Darstellung er naturgemäß auch auf
fachspezifische Kenntnisse und Ausdrucksformen zurückgreifen muß, den prä- und postoperativen
Gesundheitszustand nachprüfbar und nachvollziehbar beschrieben und daraus seine Beurteilung des
Behandlungsverlaufs und der Operationsindikation abgeleistet und dann die ihm im Beweisbeschluß gestellten
Fragen beantwortet.
Ohne Erfolg versucht die Berufung, alle Beschwerden und das gesamte Krankheitsbild des Klägers - insbesondere
die schwere Coxarthrose und Osteochondrose - auf die Operation zurückzuführen. Der Sachverständige hat die
Angaben des Beklagten über den präoperativen Krankheitszustand, die sich daraus ergebende Indikation einer
Umstellungsoperation und deren fehlerfreie Durchführung - ausgenommen die Außenrotation - in vollem Umfang
überzeugend bestätigt. Die bei dem Kläger gegebene fortschreitende schwere Coxarthrose links mit u. a.
Femurkopfentrundung und verschmälertem Gelenkspalt indizierte die Umstellungsoperation, nachdem alle denkbaren
konservativen Methoden ohne merklichen Erfolg geblieben waren. Für eine Endoprothese, deren Haltbarkeitsgrenzen
zwischen 5 und 15 Jahren liegen, war der Kläger noch zu jung. Die Alternative einer Gelenkversteifung wird von den
Patienten - wie auch vom Kläger - abgelehnt. Daher verblieb nur die vorgeschlagene Umstellungsoperation, um den
Zeitpunkt einer Endoprothese herauszuschieben bei gleichzeitiger Hoffnung auf Linderung der Beschwerden.
Beschwerdefreiheit ist damit nicht zu erzielen. Die Hüftgelenkspalt-
vergrößerung ist ein guter Operationserfolg; eine Beiverkürzung von jetzt 3 cm wird bei dieser Operation bewußt in
Kauf genommen, sie kann sogar Entlastung für den Gelenkdruck bringen. Die aufgetretene Narbenbildung und
Verknöcherung sind eine nicht ungewöhnliche Komplikation und bedeuten keinen Behandlungs- fehler. Sie bilden
neben der Gelenkkopfform gleichzeitig die Ursache für Beschränkungen der Drehbeweglichkeit. Die Entwicklung des
rechten Hüftgelenks ist operationsunabhängig und stellt sich vielmehr als physiologischer Verlauf einer Coxarthrose
dar. Gegen eine infektionsbedingte Pseudarthrose sprechen die Röntgenaufnahmen und die
Blutsenkungsgeschwindigkeit. Coxarthrose, Gonarthrose mit Innenbandlockerung und die Degeneration an der
Lendenwirbelsäule und den Sprunggelenken weisen keinen Zusammenhang mit der Operation auf. Von ihnen rühren
die Schmerzen des Klägers her, wie der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung bestätigt hat und nicht
von der mißlungenen Außenrotationskorrektur, die derzeit noch keine Schmerzbeschwerden hervorruft.
Auch die mit der Berufung erstmalig gerügte Teilsynovectomie begründet keinen Behandlungsfehler, für die der
Beklagte Ersatz zu leisten hätte. Zwar hat der Sachverständige für diese Methode nach dem Operationsbericht
medizinisch keinen Grund gefunden; sie entspräche daher nicht der Norm. Er hat aber auch betont, daß man sie
"machen könne". Dazu hatte sich der Beklagte entschlossen und auch entschließen dürfen, als sich ihm
intraoperativ der Zustand der Gelenkkapsel darstellte. Wahl und Durchführung der Behandlungsmethode ist in erster
Linie Sache des Arztes, der davon ausgehen darf, der Patient vertraue insoweit seiner ärztlichen Entscheidung
(BGH VersR 1988, 190, 485, 495). Es handelt sich hier nicht etwa um eine alternative Behandlungsmethode, deren
Anwendung einer eigenen Eingriffsaufklärung bedurft hätte (vgl. dazu neuerdings BGH Beschluß vom 13.12.1988 -
VI ZR 179/88 - zur Ent-
scheidung über eine Vaginal- oder Kaiserschnittentbindung), sondern vielmehr um eine Behandlungsvariante , über
die der beklagte Arzt sofort, wenn er das Operationsfeld offengelegt hat, entscheiden muß. Wenn er sich in dieser
Situation zu etwas entscheidet, wofür er glaubt gute Gründe zu haben, und das er als Arzt auch nach den
Bekundungen des Sachverständigen machen durfte, dann kann daraus der Patient keine Ansprüche herleiten.
Der fehlerhaft zu stark ausgebildeten Außenrotation kommt jedoch nach dem Ergebnis der erneuten Anhörung des
Sachverständigen ein größeres Gewicht zu. Dabei legt der Senat die Angaben des Sachverständigen zugrunde, daß
die von ihm gut 5 1/2 Jahre nach der Operation gemessene Fehlstellung von 55 ° bereits unmittelbar nach der
Operation vorgelegen haben muß und die entgegenstehenden Daten in den Krankenunterlagen (20 ° bzw. 30 °) auf
Meßfehlern beruhen müssen. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, daß eine nachträgliche
Veränderung ausscheidet, weil der Hüftkopf in dieser Bewegungsrichtung unverrückbar festsaß.
Das Landgericht hat aufgrund der vorgenommen Beweisaufnahme folgerichtig davon ausgehen dürfen, daß der
Beklagte bei einer Abweichungstoleranz von 10 ° den geschuldeten Operationsstandard nur um 10 ° verfehlt habe.
Der Sachverständige hat demgegenüber jedoch jetzt überzeugend ausgeführt, daß bei der Operation anstelle einer
geplanten Korrektur nach innen eine nach außen vorgenommen worden ist. Der Beklagte hat also nicht nur eine
grundsätzlich mögliche Zielgenauigkeit nicht ganz erreicht, sondern er hat insoweit einen anderen Eingriff
vorgenommen, der den Zustand des Klägers bei der vorhandenen Fehlstellung noch verschlechterte, ohne allerdings
die Beschwerden infolge der Coxarthrose und Osteochondrose zu steigern. Diese sind vielmehr gelindert worden.
Angesichts dieser Fehlstellung mußte der Ausgleich für die zu ertragende Fehlstellung während der
Beschwerdeverringerung infolge der Umstellungsosteotomie von 5 bis 10 Jahren deutlich angehoben werden. Unter
Abwägung aller Umstände - wozu inbesondere die optischen und mechanischen Beeinträchtigungen des Klägers
einerseits und die operationsunabhängigen schweren körperlichen Beeinträchtigungen andererseits gehören - hält der
Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,-- DM für angemessen.