Urteil des OLG Oldenburg vom 05.06.2008

OLG Oldenburg: strafzumessung, schuldfähigkeit, bewährung, diebstahl, rückgabe, vorleben, entwendung, medien, ermessensausübung, härte

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, Ss 187/08
Datum:
05.06.2008
Sachgebiet:
Normen:
StGB § 248a, STGB § 46
Leitsatz:
Die Bestrafung eines Diebstahls von Lebensmitteln im Wert von 5 € mit 4 Monaten Freiheitsstrafe ist
auch bei einem vielfachen Wiederholungstäter nicht mehr schuldangemessen, weil damit angesichts
des geringen Tatunrechts den täterbezogenen Strafzumessungserwägungen eine unvertretbar große
Bedeutung eingeräumt wird.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
1. Strafsenat
Ss 187/08 (I 96)
14 Ns 16/08 Landgericht Aurich
455 Js 15829/07 Staatsanwaltschaft Aurich
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen Frau M… E…, geb. D…, aus W…,
geboren am … in …,
wegen Diebstahls geringwertiger Sachen,
Verteidiger: Rechtsanwalt …,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …
und die Richter am Oberlandesgericht … und …
am 5. Juni 2008
zu 1. nach § 349 Abs. 4 StPO und zu 2. nach Anhörung des Beschwerdeführers auf Antrag der Staatsanwaltschaft
gemäß § 349 Abs. 2 StPO - einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 25. Februar 2008 abgeändert und
wie folgt neu gefasst:
Die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittmund vom 15. November 2007 wird mit der
Maßgabe verworfen, dass die verhängte Freiheitsstrafe auf einen Monat herabgesetzt wird.
2. Im Übrigen wird die Revision der Angeklagten verworfen.
3. Die Kosten ihrer Berufung und der Revision werden der Angeklagten auferlegt. jedoch werden die Gebühren für
ihre Berufung und für die Revision auf die Hälfte ermäßigt und die Hälfte der insoweit entstandenen notwendigen
Auslagen der Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Die 74 Jahre alte Angeklagte ist seit 1977 insgesamt 13mal wegen Diebstahls - überwiegend geringwertiger Sachen -
bestraft worden. Zwischen den Taten lagen teilweise 5 und mehr Jahre. Die Angeklagte wurde überwiegend mit
Geldstrafen, später auch mit Freiheitsstrafen zur Bewährung bestraft. In 3 Fällen, zuletzt 1994, kam es zu
Teilverbüßungen.
Durch Urteil des Amtsgerichts Wittmund vom 15. November 2007 ist sie wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu
einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten ohne Strafaussetzung verurteilt worden. Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte
in einem Einkaufsmarkt Lebensmittel im Gesamtwert von 5,08 € entwendet hatte.
Gegen das amtsgerichtliche Urteil haben die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft form und fristgerecht Berufung
eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht
Aurich hat mit Urteil vom 25. Februar 2008 beide Berufungen verworfen.
Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die
Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 als unbegründet zu verwerfen.
Die Revision ist zulässig und hat in der Sache in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
II.
Hinsichtlich des Schuldspruchs, weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf, so dass
ihre Revision insoweit nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen war.
III.
Der Rechtsfolgenausspruch hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe fehlerhaft, weil ohne Sachverständigenhilfe, die uneingeschränkte
Schuldfähigkeit der Angeklagten festgestellt, hat sie allerdings schon deshalb keinen Erfolg, weil keine
Anhaltspunkte für eine Aufhebung oder Minderung der Schuldfähigkeit vorliegen, wie dies im angefochtenen Urteil
zutreffend im einzelnen ausgeführt wird. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bestand deshalb
keine Veranlassung.
Das Landgericht hat auch rechtsfehlerfrei in Anwendung von § 47 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe unter sechs
Monaten verhängt. Diese Vorschrift ist auch bei der Ahndung von Bagatellstraftaten wie der hier vorliegenden
anwendbar. Da das Gesetz innerhalb der Fallgruppe der Geringwertigkeit keine weiteren Abstufungen oder
Differenzierungen vorsieht, können auch Bagatellcharakter aufweisende Straftaten die Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe nach sich ziehen, vgl. OLG Stuttgart NJW 2006, 1222 ff. m. w. Nachw.. Es verstößt auch nicht
gegen das verfassungsrechtliche Prinzip schuldangemessenen Strafens, dass das Gesetz die Begehung von
Straftaten, die sich auf eine geringwertige Sache oder Leistung beziehen, wahlweise mit Freiheitsstrafe oder
Geldstrafe bedroht, vgl. BVerfG NJW 1979, 1039, 1040. Aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens ergibt sich
auch nicht, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht käme,
vgl. BverfG bei juris, Beschluss vom 09.06.1994, Aktz. 2 BvR 710/94.
Die Begründung, mit der das Landgericht die von § 47 Abs. 1 StGB geforderten besonderen Umstände in der
Persönlichkeit der Angeklagten, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf sie unerlässlich
machen, bejaht hat, weist keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sind hierbei die zahlreichen einschlägigen
Vorstrafen der Angeklagten zu Recht berücksichtigt worden.
Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe ist mithin nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerhaft ist aber ihre
Festsetzung auf 4 Monate. Diese Strafzumessung wird den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich
nicht mehr gerecht, sondern steht zur Tat außer Verhältnis, überschreitet den Rahmen des Schuldangemessenen
und verletzt damit auch das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot. Insoweit ist die grundsätzlich dem
Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht auch zugänglich,
vgl. Fischer, StGB, 55. Auflage, § 46, Rd.Nr. 115 ff. m. w. N.).
Grundlage für die Zumessung der Strafe ist nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB die in Schuld des Täters. Diese bezieht
sich hier auf den Diebstahl von Lebensmitteln im Wert von rund 5 € in einem Einkaufsmarkt. Das Landgericht hat bei
seiner Strafbemessung die der Schuldbewertung durch den Umfang des Tatunrechts gesetzten Grenzen aus dem
Blick verloren und demgegenüber den Gesichtspunkt des Handlungsunwerts – nämlich die täterbezogenen
Umstände der Vorstrafen – überbewertet. Zwar müssen diese berücksichtigt werden, so nach § 46 Abs. 2 StGB
namentlich auch die aus der Tat sprechende Gesinnung und das Vorleben der Angeklagten. Diese fallen hier deutlich
straferschwerend ins Gewicht, vor allem die Unbelehrbarkeit der Angeklagten, die trotz zahlreicher früherer
Bestrafungen im Laufe der Jahre immer wieder Diebstähle begangen hat. Allerdings darf eine Strafzumessung nicht
in der Weise von den die Täterpersönlichkeit betreffenden Umständen geprägt sein, dass dabei die objektiven
Umstände der Tat, vor allem das Ausmaß der begangenen Rechtsgutsverletzung, übergangen werden.
Der hier abzuurteilende Diebstahl geringwertiger Sachen - Lebensmitteln im Wert von rund 5 € - ist objektiv dem
untersten Bereich der Bagatellkriminalität zuzuordnen. Die Verhängung einer viermonatigen Freiheitsstrafe zur Sühne
für Tatschuld und Tatunrecht ist bei dem hier eingetretenen Wert der gestohlenen Waren unverhältnismäßig und
nicht mehr vertretbar, zumal wegen der unmittelbar nach der Tat erfolgten Rückgabe der Waren an das Kaufhaus
kein wirtschaftlicher Schaden verblieb. Von einem gerechten Schuldausgleich kann unter diesen Umständen bei dem
Strafausspruch des Landgerichts nicht mehr gesprochen werden, und zwar auch dann nicht, wenn die zahlreichen
Vorstrafen der Angeklagten und die in ihrer Person begründeten straferschwerenden Umstände berücksichtigt
werden. Der Senat sieht es als schlechthin unangemessen an, die Entwendung von Waren im Wert von ca. 5 € aus
einem Ladengeschäft mit einer Freiheitsstrafe von vier Monaten zu ahnden.
Dabei war auch ein Wandel in der Strafpraxis der Gerichte zu bedenken, der in den letzten Jahren vermehrt auftritt
und über den in den Medien ausführlich berichtet wird. Immer häufiger werden Straftäter, die - insbesondere als
Wirtschaftskriminelle - hohe und höchste Schäden bis hin zu solchen in Millionenhöhe verursacht haben, aufgrund
von Absprachen („deals“) zu Bewährungsstrafen verurteilt. Wenn die Strafjustiz gleichzeitig Bagatellstraftäter, die
verglichen damit nur einen fast unermesslich kleinen Schaden angerichtet haben, mit mehrmonatigen zu
verbüßenden Freiheitsstrafen belegt, tangiert dies - unbeschadet aller noch so großer Unterschiede der Sachverhalte
und der Täterpersönlichkeiten - die Frage einer gleichen und gerechten Strafrechtsanwendung. Jedenfalls kann in der
Bevölkerung der Eindruck einer willfährigen Nachgiebigkeit der Strafjustiz gegenüber „großen“ und einer gnadenlosen
Härte gegenüber „kleinen“ Straftätern entstehen. Die dem zugrunde liegende Diskrepanz der gerichtlichen
Ahndungspraxis kann hier nicht weiter thematisiert werden. Sie ist aber eine Tatsache der Rechtswirklichkeit und
war als solche bei der Frage, ob die hier ausgeurteilte Strafe noch einen gerechten Schuld¬aus¬gleich und kein
Übermaß darstellt, mit in den Blick zu nehmen.
Aus den dargelegten Erwägungen wird hier allein die Verhängung der Mindestfreiheitsstrafe von 1 Monat (§ 38 Abs. 2
StGB) dem Gebot schuldangemessenen Strafens gerecht.
Der Senat ist befugt, diese Strafe selbst festzusetzen. Nach Lage des Falles kann allein auf diese und damit auf
eine absolut bestimmte Strafe im Sinne von § 354 Abs. 1 StPO erkannt werden. Zum einen ist durch die vom
Landgericht rechtsfehlerfrei bejahten Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB die Strafart Freiheitsstrafe festgelegt,
zum anderen scheidet wegen des zu beachtenden Übermaßverbotes eine tatrichterliche Ermessensausübung in
Richtung auf eine darüber hinausgehende Strafhöhe aus, vgl. OLG Stuttgart, NJW 2006, 1222 m. w. Nachweisen.
Das Landgericht hat der Angeklagten mit zutreffenden Erwägungen rechtsfehlerfrei eine Strafaussetzung zur
Bewährung versagt. In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO konnte der Senat deshalb auch
entscheiden, dass es hierbei auch hinsichtlich der von ihm festgesetzten Freiheitsstrafe von 1 Monat verbleibt. Nach
Lage des Falles ist auszuschließen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung gegenüber dem angefochtenen
Urteil insoweit der Angeklagten günstigere Feststellungen treffen ließen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
… … …