Urteil des OLG Oldenburg vom 17.01.1996

OLG Oldenburg: munition, besitz, pistole, begriff, versicherungsschutz, öffentlich, waffengesetz, absicht, volljähriger, haftpflicht

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 240/95
Datum:
17.01.1996
Sachgebiet:
Normen:
BBR NR § 1.6, WAFFG § 29, WAFFG § 28, WAFFG § 3 ABS 2
Leitsatz:
Kein Leistungsausschluß in der Privathaftpflichtversicherung bei unge- nehmigter Vewendung
erwerbsscheinpflichtiger pyrotechnischer Munition, aber nicht mit einer Waffe im Sinn des WaffG.
Volltext:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Versicherungsschutz
für seinen Sohn aus einer bei der Beklagten unterhaltenen
Privathaftpflichtversicherung in Anspruch.
Nach den vereinbarten "Besonderen Bedingungen und Risikobeschrei-
bungen für die Privathaftpflichtversicherung" (BBR) umfaßt der
Versicherungsschutz die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungs-
nehmers als Privatperson "aus dem erlaubten privaten Besitz und
aus dem Gebrauch von ... Schußwaffen sowie Munition und
Geschossen, ...". Mitversichert ist u.a. die gesetzliche Haft-
pflicht unverheirateter volljähriger Kinder des Versicherungsneh-
mers, solange sie sich noch in einer Schul- oder sich
unmittelbar anschließenden Berufsausbildung befinden.
Der danach noch mitversicherte Sohn des Klägers
war am 1.1.1994 mit seinem Freund unterwegs.
Er führte eine Signal-Pistole (Fabrikat Röhm RG 3, Kaliber
6 mm) zum Verschießen von Kartuschenmunition für Knall- und
Gaspatronen mit aufgeschraubtem Abschußbecher für pyrotechnische
Munition (Kaliber 15 mm) mit sich. Beim Verschießen eines Pyro-
Knallgeschosses von 40 mm Länge, das der Sohn des Klägers
ohne waffenrechtliche Erlaubnis erworben hatte, wurde der
Freund im Gesicht am rechten Auge getroffen mit der Folge, daß
seine Sehkraft auf diesem Auge zu 90 % eingeschränkt ist.
Die Beklagte hat im ersten Rechtszug geltend gemacht:
Der Versicherungsschutz für den Vorfall vom 1.1.1994 sei aufgrund
der o.g. Waffenklausel in den BBR ausgeschlossen, da der Sohn
des Klägers eine Schußwaffe mit munitionserwerbsscheinpflichtiger
Munition benutzt habe, ohne dazu eine entsprechende
Erlaubnis gemäß §§ 28,29 WaffG zu besitzen. Bei dem benutzten
Abschußbecher für pyrotechnische Munition habe es sich um einen
Lauf im Sinn von § 3 Abs. 2 Ziff. 1 WaffG gehandelt, da das
Zusatzteil länger als die erforderliche Doppelkaliberlänge
gewesen sei. Deshalb sei die verwendete Pistole eine Schußwaffe
im Sinn von § 1 Abs.1 WaffG gewesen. Der Sohn des Klägers habe
zum Vorfallszeitpunkt nicht über eine Waffenbesitzkarte verfügt,
so daß es sich auch um einen unerlaubten Besitz einer Schußwaffe
gehandelt habe. Darüberhinaus habe er hinsichtlich des
verschossenen Pyro-Knallgeschosses nach § 29 WaffG
erwerbsscheinpflichtige Munition ohne Erwerbsschein besessen,
so daß auch der Besitz der Munition nicht erlaubt im Sinn
der Versicherungsbedingungen gewesen sei.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Es habe sich bei
der verwendeten Pistole nach dem Ergebnis des Sachverständigengut-
achtens nicht um eine Schußwaffe im Sinn des Waffengesetzes
gehandelt, weil bei einer solchen Pistole nicht ein Geschoß im
Sinn von § 1 Abs. 1 WaffG durch den Lauf getrieben werde; von
einem Lauf im Sinn dieses Gesetzes werde dann gesprochen,
wenn das Geschoß wenigstens 2 Kaliberlängen durch die "Führung"
der Waffe getrieben werde. Dieses sei hier nicht der Fall gewesen.
Die verwendete Pyro-Knallpatrone sei zwar nach § 29 WaffG
munitionserwerbsscheinpflichtig, aber keine für Schußwaffen
bestimmte Munition gewesen. Wegen aller Einzelheiten wird auf das
Urteil vom 4.9.1995 Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, das Landgericht habe
übersehen, daß anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall, auf
den es sich berufe, der Sohn des Klägers nach § 29 WaffG erlaub-
nispflichtige Munition verwendet habe, deren erlaubnisloser Erwerb
zudem nach § 53 Abs. 4 Nr. 1 WaffG strafbar gewesen sei. Darüber-
hinaus sei es in der Entscheidung des BGH nicht um die Auslegung
einer Waffenklausel gegangen, die mit der vorliegenden Klausel
"nahezu identisch" sei, wie das Landgericht fehlerhaft angenommen
habe.
Die Berufung ist unbegründet.
Die Waffenklausel im vorliegenden Versicherungsvertrag
stellt eine formularmäßige, für eine Vielzahl von Verträgen
geltende Vertragsbestimmung dar, die deshalb in ihrem Inhalt
frei auszulegen ist.
Mit dem angefochtenen Urteil, das sich insoweit zutreffend
auf die BGH-Rechtsprechung (VersR 1978,409) stützt, sind im
Interesse einer sicheren Rechtsanwendung die Begriffe Schußwaffe
und Munition in der Waffenklausel des vorliegenden Versicherungs-
vertrages anhand der öffentlich-rechtlichen Vorschriften des
Waffengesetzes auszulegen. Für die dementsprechende Auslegung des
im Berufungsrechtszug nur noch streitigen Begriffs der "Munition"
enthält das Waffengesetz in § 2 Abs. 1 eine zweifelsfreie
Definition. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 WaffG ist auch pyrotechnische
Munition nur solche, die zum Verschießen aus Schußwaffen bestimmt
ist. Die vom Sohn des Klägers verschossene Munition wurde jedoch
- wie jetzt unstreitig ist - gerade nicht aus einer Schußwaffe
verschossen und war dazu auch nicht bestimmt. Auf den von
der Berufung hervorgehobenen Gesichtspunkt der Erwerbsschein-
pflichtigkeit der Munition kommt es nach der Begriffsbestimmung
der Munition in § 2 Abs. 1 WaffG nicht an. Auch kommt es nach
diesem Munitionsbegriff nicht darauf an, ob der erlaubnislose
Erwerb und/oder Besitz nach den Bestimmungen des Waffengesetzes
strafbar war oder nicht.
Mit dem Landgericht ist dieser Munitionsbegriff des Waffengesetzes
der Auslegung auch der vorliegend vereinbarten Waffenklausel
zugrundezulegen; es geht nicht anders als in dem vom BGH
entschiedenen Fall nicht an, diese Bestimmung zum Nachteil des
Versicherten strenger auszulegen, als es der zum Zeitpunkt des
Schadensereignisses und der zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Versicherungsvertrages bestehenden Verwaltungspraxis und Gesetzes-
lage auf dem Gebiet des Waffenrechts entsprach. Der Begriff der
Munition ist danach an den Begriff der Schußwaffe geknüpft, auf
die Erwerbsscheinpflichtigkeit und Unerlaubtheit des Besitzes von
Geschossen, die keine Munition im Sinn des Waffengesetzes sind,
kommt es entgegen der Berufung für die Auslegung des Munitionsbe-
griffs in einer Waffenklausel nicht an.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus weiteren Formulierungen
in der hier vereinbarten Waffenklausel selbst, etwa daraus, daß
- wie die Berufungsklägerin geltend macht - die Begriffe
"Schußwaffe" und "Munition" durch ein "sowie" und nicht durch ein
"und" verbunden sind. Denn daß begrifflich Munition im Sinn dieser
Klausel nur solche im Sinn von § 2 Abs. 1 WaffG ist, die zum
Verschießen aus Schußwaffen bestimmt ist, wird durch das "sowie"
in der Klausel nicht aufgehoben. Wäre es Absicht der Berufungs-
klägerin gewesen, durch das Wort "sowie" zum Ausdruck zu bringen,
auch für den unerlaubten Besitz von Geschossen, die keine Munition
im Sinn des Waffengesetzes sind, keinen Versicherungsschutz
gewähren zu wollen, hätte sie den Begriff der "Munition" selbst
dahin definieren müssen, daß sie ihn nicht im Sinn des
Waffengesetzes verstehen wolle.