Urteil des OLG Oldenburg vom 12.02.2007

OLG Oldenburg: vergütung, gerichtsakte, sperre, ausnahmefall, pauschal, beteiligter, mwst, datum

Gericht:
OLG Oldenburg, 06. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 6 W 165/06
Datum:
12.02.2007
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 119 Abs 1, RVG § 48 Abs 1
Leitsatz:
Die im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu erstattenden Kosten erfassen die Prozessgebühr eines
Rechtsanwalts auch dann, wenn er zunächst eine Verteidigungsanzeige eingereicht,
Prozesskostenhilfe aber erst mit der anschließenden Klageerwiderung beantragt hat.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
6 W 165/06
13 T 904/06 Landgericht Oldenburg
Beschluss
In der Beschwerdesache
M...,
Kläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
g e g e n
1. K… A...,
2. N… A...,
Beklagte,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt …
Beteiligter:
Bezirksrevisor bei dem Landgericht, RichardWagnerPlatz 1, 26135 Oldenburg,
Beschwerdeführer,
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht …,
den Richter am Oberlandesgericht … und den Richter am Oberlandesgericht … am 12. Februar 2007 beschlossen:
Die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors des Landgerichts Oldenburg gegen den Beschluss des Landgerichts
Oldenburg vom 18. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beklagten hatten in erster Instanz zunächst mit anwaltlichem Schriftsatz ihre Verteidigungsbereitschaft
angezeigt, ohne Prozesskostenhilfe zu beantragen. Mit weiterem Schriftsatz erwiderten sie auf die Klage und
beantragten Prozesskostenhilfe, die das Amtsgericht bewilligte. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat nach
Abschluss des Verfahrens u.a. die Festsetzung der Verfahrensgebühr von 410,17 € inkl. MwSt. beantragt. Dies hat
die zuständige Kostenbeamtin mit der Begründung abgelehnt, dass Prozesskostenhilfe erst auf den Zeitpunkt der
Antragstellung zurückwirke, so dass die zu diesem Zeitpunkt bereits entstandene Verfahrensgebühr hiervon nicht
erfasst sei. Auf die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat das Amtsgericht den
Festsetzungsbeschluss aufgehoben und die Kostenbeamtin angewiesen, die Verfahrensgebühr wie beantragt
festzusetzen. Dagegen hat der Bezirksrevisor des Landgerichts Oldenburg Beschwerde eingelegt, die das
Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen hat. Zur Begründung hat es im wesentlichen
ausgeführt, dass die Verfahrensgebühr die anwaltliche Tätigkeit während des gesamten Verfahrens pauschal
abgelte, so dass der Tatbestand der Verfahrensgebühr immer wieder neu verwirklicht werden könne. Entscheidend
sei daher, dass auch nach Beantragung der Prozesskostenhilfe noch die Verfahrensgebühr auslösende Tätigkeiten
vorgenommen würden. Das sei hier der Fall. Wegen der grundsätzlichem Bedeutung hat das Landgericht die weitere
Beschwerde zugelassen.
Gegen die Entscheidung des Landgerichts richtet sich die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors. Er hält an seiner
Auffassung fest, dass aus dem Umstand, dass Prozesskostenhilfe erst ab Antragstellung bewilligt werden könne,
folge, dass Gebühren, die zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden seien, nicht mehr von der Prozesskostenhilfe
erfasst werden könnten. Er verweist insoweit u.a. auf eine Entscheidung des OLG Oldenburg vom 17.02.2006 (4 WF
29/06). Das entspreche auch der Systematik des RVG. Nur in § 48 V RVG sei ein Fall aufgeführt, in dem der
Rechtsanwalt ausnahmsweise Gebühren aus der Landeskasse für eine Tätigkeit erhalte, die bereits vor
Antragstellung erfolgt sei. Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor. Es sei einer bedürftigen Partei auch
zuzumuten, den PKHAntrag bereits mit der Verteidigungsanzeige zu verbinden. Etwaige Versäumnisse des
Rechtsanwalts könnten nicht zu Lasten der Landeskasse gehen.
Der Bezirksrevisor beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts auf (nur) 717,35 €
festzusetzen.
II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 56 II 1, 33 VI RVG). in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Der beigeordnete Rechtsanwalt erhält aus der Staatskasse alle Gebühren, die nach Eingang des PKHAntrags
abermals oder neu entstehen, ohne Rücksicht auf seine vorangegangene Tätigkeit. Es muss jedoch eine
gebührenauslösende Tätigkeit nach der Antragstellung feststellbar sein (vgl. Göttlich/Mümmler, RVG, 2. Aufl., S.
745 Anm. 5.2 zu „Prozesskostenhilfe“. von Eicken in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/MüllerRabe, RVG, 16. Aufl., §
48 Rdn. 106. ZöllerPhilippi, ZPO, 26. Aufl., § 119 Rdn. 50 m.w.N.). Nur Gebühren, die (ausschließlich) vor der
Antragstellung entstanden sind, erhält der Rechtsanwalt nicht aus der Staatskasse (vgl. OLG Zweibrücken, JurBüro
1994, 352. ZöllerPhilippi, a.a.O.). Da die Verfahrensgebühr bereits mit jeder Tätigkeit entsteht, die ein Rechtsanwalt
aufgrund des Prozessführungsauftrages vornimmt, also auch schon für die Einholung einer Erstinformation (vgl.
Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., § 48 RVG Rdn. 91), wäre es einer bedürftigen Partei, worauf auch das
Landgericht zu Recht hingewiesen hat, kaum möglich, für die Verfahrensgebühr Prozesskostenhilfe zu erhalten, da
die Beauftragung des Rechtsanwalts und die Erstinformation des Mandanten regelmäßig erfolgt, noch bevor sich der
Rechtsanwalt zur Gerichtsakte gemeldet hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht eine Tätigkeit
vor der Beiordnung in derjenigen nach der Beiordnung auf, so dass es nur auf die letztere Tätigkeit ankommt (vgl.
BGH, AnwBl. 1992, 191). Die Verfahrensgebühr ist deshalb aus der Staatskasse zu erstatten, wenn und soweit der
Anwalt auch nach Eingang des PKHAntrags insoweit noch gebührenauslösende Tätigkeiten entfaltet hat (vgl. auch
Mümmler, JurBüro 1990, 204, 205 m.w.N.). Aus diesem Grunde kann ein Rechtsanwalt von einer Partei gemäß §
122 I Nr. 3 ZPO beispielsweise keine Verhandlungsgebühr mehr fordern, wenn sowohl vor als auch nach seiner
Beiordnung mündlich verhandelt worden ist (vgl. MusielakFischer, ZPO, 5. Aufl., § 122 Rdn. 8). Wenn aber die
Sperre des § 122 I Nr. 3 ZPO auch Tätigkeiten erfasst, die vor der Beiordnung erfolgt waren, danach aber erneut
angefallen sind, kann dies nur bedeuten, dass sich die aus der Landeskasse zu erstattenden Gebühren auch auf
solche, also vor der Beiordnung liegende Tätigkeiten erstreckt. Der Umstand, dass auch schon vor Antragstellung
eine gebührenauslösende Tätigkeit erfolgt war, schließt deshalb nicht aus, dass die später erfolgte Beiordnung auch
diese Tätigkeiten erfasst. Entscheidend ist nur, dass – wie hier - auch nach Eingang des PKHAntrags noch
gebührenauslösende Tätigkeiten erfolgt sind. So ist beispielsweise die Verfahrensgebühr aus der Landeskasse zu
ersetzen, wenn eine Partei nach Eingang der Verteidigungsanzeige den Rechtsanwalt wechselt und erst der zweite
Rechtsanwalt mit der Klageerwiderung Prozesskostenhilfe beantragt und diese bewilligt wird. Dem steht entgegen
der Auffassung des Bezirksrevisors nicht entgegen, dass andere Gerichte – allerdings ganz überwiegend ohne
nähere Begründung - eine abweichende Auffassung vertreten haben.
… … …