Urteil des OLG Oldenburg vom 19.11.1993

OLG Oldenburg: unerlaubte handlung, grundstück, alter, mietvertrag, unterlassen, gefahr, beitrag, verschulden, teich, tod

Gericht:
OLG Oldenburg, 06. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 6 U 155/93
Datum:
19.11.1993
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1705, BGB § 1631 ABS 1, BGB § 254
Leitsatz:
Zur Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers, auf dessen Grundstück sich ein frei
zugänglicher ungesicherter Gartenteich be- findet.
Volltext:
Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, daß der Beklagte
verpflichtet war, wirksame Schutzmaßnahmen gegen die von dem unge-
sicherten Gartenteich ausgehenden Gefahren zu ergreifen. Der Be-
klagte wußte, daß der Gartenteich wegen seiner Tiefe insbesondere
für kleine Kinder eine große Gefahr für Leib und Leben darstellte.
Ihm war bekannt, daß der Kläger neben anderen Kindern in der Sand-
kiste bzw. auf dem hinter dem Wohnhaus befindlichen Sandberg
spielte und daß die Kinder mangels Absperrung unbegindert auf das
nicht als gesondertes Grundstück erkennbare Grundstück mit der
Teichanlage gelangen konnten. Da Wasser einen großen Reis auf
Kinder im Alter des Klägers ausübt und im Unglücksfall mit
schweren Schäden bis hin zum Tod zu rechnen ist, oblag es dem
Beklagten, den Teich als Gefahrenquelle in geeigneter Weise ab-
zusichern.
Das Unterlassen der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen stellte
eine schuldhafte Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungs-
pflicht (§ 823 BGB) und gleichzeitig eine Verletzung der ver-
traglichen Verpflichtungen aus dem Mietvertrag dar, die auch dem
Kläger zugute kommen.
Der Mutter des Klägers oblag gemäß §§ 1705, 1631 I BGB die Auf-
sicht über den Kläger, bei dessen Alter mit unüberlegtem Handeln
zu rechnen war. Sie mußte den Kläger ständig beaufsichtigen, weil
sie wußte, daß dieser sich in der Nähe des Gartenteichs aufhielt
und sie nicht davon ausgehen durfte, daß er in der Sandkiste bzw.
bei dem Sandberg bleiben würde. Diesen Anforderungen ist die
Mutter nicht gerecht geworden, denn sie hat, wie die Beweisauf-
nahme ergeben hat, den Kläger nicht ständig beobachtet, sondern
sich auf der Straße mit einer Nachbarin unterhalten, so daß sie
erst durch andere Kinder erfuhr, daß der Kläger in den Gartenteich
gefallen war. Da sich die Schutzwirkungen des Mietvertrages auch
auf den Kläger als Kind der Mieterin erstrecken, zwischen den
Beteiligten also bereits zur Zeit des Schadenseintritts schuld-
rechtliche Beziehungen bestanden, muß sich der Kläger das Mitver-
schulden seiner gesetzlichen Vertreterin zurechnen lassen, wobei
es nicht darauf ankommt, ob der geltend gemachte Schadensersatz-
anspruch auf Vertrag oder auf unerlaubte Handlung gestützt wird
(vgl. BGHZ 90, 86; BGH, VersR 1956, 500). Auch wenn feststeht, daß
die Mutter des Klägers in grober Weise gegen ihre Aufsichtspflicht
verstoßen hat und ihr Verursachungsbeitrag erheblich häher zu
bewerten ist als derjenige des Beklagten, ist es nicht gerecht-
fertigt, den Tatbeitrag des Beklagten ganz zurücktreten zu lassen.
Der Beklagte hat die Gefahrenquelle geschaffen, durch die der
Schaden verursacht worden ist. Ihn traf deshalb die Pflicht,
Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen. Es kann dahingestellt
bleiben, ob der Beklagte an der Südseite des unbebauten Grund-
stücks ein Schild aufgestellt hatte, durch welches das Betreten
des Grundstücks verboten wurde, und ob er den Kindern untersagt
hatt, auf dem Grundstück zu spielen. Wie die Beweisaufnahme er-
geben hat, hat der Beklagte gewußt, daß sowohl der Kläger als auch
andere Kinder aus der Nachbarschaft im Sandkasten bzw. auf dem
Sandberg spielten. Er konnte deshalb nicht darauf vertrauen, daß
das nicht abgegrenzte Gartengrundstück mit dem nicht abgesicherten
Teich nicht betreten werden würde. Hinzu kommt, daß der Beklagte
nach seinem eigenen Vorbringen am Unfalltag gesehen hat, daß der
Kläger zusammen mit einem anderen Kind unbeaufsichtigt im Sand-
kasten spielte. Angesichts der vorhandenen Örtlichkeiten und der
mit ihnen verbundenen Gefahrenmomente war für den Beklagten
erkennbar, daß die von ihm getroffenen Maßnahmen nicht aus-
reichten, um die vom Gartenteich ausgehenden Gefahren wirksam zu
beseitigen. Da der dargelegte Verstoß gegen die elterliche Auf-
sichtspflicht schwerer ins Gewicht fällt als der Verursachungs-
beitrag des Beklagten, bemiß der Senat das zu Lasten des Klägers
gehende Verschulden der gesetzlichen Vertreterin mit 2/3. Demgemäß
ist der Beklagte verpflichtet, dem Kläger 1/3 des gegenwärtigen
und zukünftigen materiellen Schadens zu ersetzen. Der Beklagte ist
gemäß § 847 BGB auch verpflichtet, dem Kläger ein Schmerzensgeld
i.H. von 125.000,00 DM zu zahlen. Der zuerkannte Betrag ist auch
unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich der Kläger ein
Mitverschulden von 2/3 anrechnen lassen muß, angemessen und er-
forderlich.