Urteil des OLG Oldenburg vom 11.07.1995

OLG Oldenburg: elterliche sorge, jugend und sport, örtliche zuständigkeit, bezirk, stift, vormund, kindeswohl, umzug, internat, jugendamt

Gericht:
OLG Oldenburg, 12. Familiensenat
Typ, AZ:
Beschluß, 12 WF 97/95
Datum:
11.07.1995
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1969, BGB § 1666
Leitsatz:
Zur örtlichen uund funktionellen Zuständigkeit des Familiengerichts am Aufenthaltsort eines
Minderjährigen für einstweilige Anordnungen über elterliche Sorge
Volltext:
Das Amtsgericht-Familiengericht- hat mit Scheidungsverbundurteil vom 8. Februar 1994 der Antragsgegnerin die
elterliche Sorge für ihren am 30.8.1988 geborenen Sohn M. übertragen. Der Vater des Kindes ist im Juni 1994
verstorben. Das Kind befindet sich seit September 1994 in Jungen-Internat im St.G.-Stift. Das Amtsgericht -
Familiengericht- Lingen hat mit dem angefochtenen Beschluß auf Antrag des Bezirksamtes von Berlin, Abteilung
Jugend und Sport, vom 20.6.1995 zunächst im
Wege einstweiliger Anordnung wegen Dringlichkeit ohne mündliche
Verhandlung die elterliche Sorge für das Kind vorläufig dem Ju-
gendamt des Landkreises Emsland in Lingen als Vormund übertragen.
Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie
rügt Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Beschlusses. Das antrag-
stellende Jugendamt sei zudem nicht mehr zuständig gewesen, weil
sie mit ihren Kindern nunmehr im Bezirk lebe. Sie tritt den gegen sie erhobenen Vorwürfen entgegen.
Sie beantragt,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Die gemäß §§ 621 a ZPO, 19, 20 FGG zulässige Beschwerde
(Bumiller/Winkler, 6. Aufl., § 64 FGG Anm.3 f.) gegen die
im isolierten Sorgerechtsänderungsverfahren ergangene einstweilige
Anordnung ist in der Sache gerechtfertigt.
Der angefochtene Beschluß ist schon deswegen aufzuheben, weil das
erstinstanzliche Gericht weder örtlich noch funktionell zuständig
ist.
Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts-Familiengerichts- Lingen ist nicht gegeben, weil das Kind M. nicht
seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk hat (§§ 621 Abs. 2 ZPO, 64 Abs.3 Satz 2, 43 Abs.1, 36 FGG). Denn das
minderjährige Kind teilt gemäß § 11 BGB den Wohnsitz der Mutter. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß die Mutter für
ihren Sohn M. einen Wohnsitz am Sitz des Jungen-Internats im St.G.-Stift begründet hat (vgl. dazu BayObLG, NJW-
RR 1989, 262 f.). Daß das Kind sich im Bezirk des Amtsgerichts Lingen aufhält, vermag eine Zuständigkeit nicht zu
begründen.
Das Familiengericht ist auch funktionell nicht zuständig.
Aus den Akten geht eindeutig hervor, daß der Richter als Familien-
richter und nicht als Vormundschaftsrichter tätig geworden ist.
Das ergibt sich zum einen aus dem Text des verwendeten Beschluß-
formulars, ferner daraus, daß der Richter selbst handschriftlich
das familiengerichtliche Aktenzeichen eingefügt hat und die Vorla-
ge an das Vormundschaftsgericht verfügt worden ist. Es ist aller-
dings nach dem Akteninhalt nicht davon auszugehen, daß das Fami-
liengericht trotz der Nichtanhängigkeit eines Scheidungsverfahrens
eine Entscheidung gemäß § 620 ZPO treffen wollte; die Bezugnahme
auf § 620 g ZPO hinsichtlich der Kostenentscheidung rechtfertigt
allein eine solche Annahme nicht.
Das Familiengericht kann jedoch nach dem Tode des nicht sorgebe-
rechtigten Vaters des Kindes nicht mehr gemäß § 1696 BGB in die der
Beschwerdeführerin gemäß § 1671 BGB übertragene elterliche Sorge
eingreifen. Nur wenn noch beide Elternteile des ehelichen Kindes
leben, ist eine familiengerichtsspezifische Abwägung der
Verhältnisse beider Seiten im Hinblick auf das Kindeswohl möglich.
Wenn dagegen nur noch ein Elternteil lebt, kommen bei einer Ge-
fährdung des Kindeswohls nurmehr Maßnahmen nach §§ 1666 f. BGB in
Betracht, für die das Vormundschaftsgericht zuständig ist. Das ist
aus der Regelung des § 1681 Abs.1 Satz 2 BGB zu folgern, in der sich
der Gesetzgeber für die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts
auch für solche Fälle entschieden hat, in denen familiengericht-
liche Regelungen nach § 1671 BGB bestehen. Damit wird deutlich,
daß die Nachwirkungen der Ehe auf die elterliche Sorge durch den
Tod eines Elternteils beendet werden (so überzeugend OLG Hamm,
FamRZ 1986, 479 f.; vgl. auch Münchener Kommentar/Hinz, 3. Aufl.,
§ 1696 BGB Anm. Rn.14). Auf den Antrag des Bezirksamts von Berlin, Abteilung Jugend und Sport vom 20.6.1995
könnten daher allenfalls Maßnahmen nach §§ 1666 BGB getroffen werden, für welche jedoch nicht das
Familiengericht, sondern das gemäß § 36 FGG örtlich zuständige Vormundschaftsgericht zuständig ist.
Selbst im Sorgerechtsänderungsverfahren gemäß § 1696 BGB wäre das
Familiengericht zudem nicht für die Auswahl eines Vormundes zu-
ständig, sondern könnte gemäß § 1671 Abs.5 BGB nur eine Vormund-
schaft oder Pflegschaft anordnen.
Welche Folgen sich für das Verfahren aus einer nach dem Umzug der
Antragsgegnerin in einen anderen Berliner Bezirk etwa fehlenden
örtlichen Zuständigkeit des Bezirksamts, Abteilung für
Jugend und Sport nach §§ 85, 86, 50 Abs.3 des achten Buches
des SGB ergeben, kann als nicht entscheidungserheblich offenblei-
ben. Es braucht auch nicht geprüft zu werden, ob die tatsächlichen
Voraussetzungen für die einstweilige Anordnung vorgelegen haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 131 Abs. 1 KostO, 13 a Abs.1
FGG.