Urteil des OLG Oldenburg vom 02.12.2011

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Gericht:
OLG Oldenburg, 11. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 11 UF 168/11
Datum:
02.12.2011
Sachgebiet:
Normen:
FamFG § 137 Abs. 2
Leitsatz:
Zur Wahrung der 2- Wochen Frist des § 137 Abs. 2 FamFG reicht das rechtzeige Einreichen eines
formal ordnungsgemäßen Verfahrenskostenhilfeantrages für eine Folgesache.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
11 UF 168/11
5 F 761/10 S Amtsgericht Bad Iburg
Verkündet am 16.12.2011,
…, JAe.
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts
Beschluss
In der Familiensache
betreffend Ehescheidung, Unterhalt und Versorgungsausgleich
Beteiligte:
1. M… M…, . G…,
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin R…K…, . O…,
2. T… M…, geb. H…, B…,
Antragsteller und Beschwerdegegner,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B… . B…,
3. L…,D…
4. D…, B
hat der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche
Verhandlung vom 2.12.2011 am 16.12.2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …, den Richter
am Amtsgericht … und die Richterin am Oberlandesgericht …beschlossen:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der am 1.8.2011 verkündete Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Bad Iburg aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung sowie Herstellung des Verbundes an das
Amtsgericht - Familiengericht Bad Iburg, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden hat,
zurückverwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.)
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Scheidung ihrer Ehe, da das Amtsgericht den von ihr eingereichten
Antrag zum nachehelichen Unterhalt nicht als Folgesache im Rahmen des Verbundes behandelt habe.
Nachdem das Amtsgericht am 1.7.2011 Termin zur mündlichen Verhandlung in der Ehesache auf den 1.8.2011
bestimmt hatte, ist die Ladung der Vertreterin der Antragsgegnerin am 11.7.2011 zugegangen. Mit am 15.7.2011
beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragsgegnerin beantragt, ihr Verfahrenskostenhilfe für die
Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistung von nachehelichem Unterhalt zu bewilligen. Im Termin vom 1.8.2011
hat das Amtsgericht auf seine Rechtsansicht zur Frage der Anhängigkeit von Folgesachen hingewiesen und mit dem
noch am selben Tag verkündeten Beschluss die Ehe der Beteiligten geschieden sowie den Versorgungsausgleich
durchgeführt. Eine Befassung mit dem den Unterhalt betreffenden Antrag hat es abgelehnt, weil es hierfür an der
erforderlichen Anhängigkeit der Folgesache fehle.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie die Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung erstrebt. Sie meint, es sei ausreichend innerhalb der Frist des § 137 Abs. 2 FamFG
Verfahrenskostenhilfe für eine Folgesache zu beantragen.
II.)
Die zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht. Denn der von der Antragsgegnerin geltend gemachte
Unterhaltsanspruch gehört als Folgesache in den Verbund (§ 137 Abs. 2 Ziffer 2 FamF), so dass über ihn und das
Scheidungsbegehren einheitlich zu entscheiden gewesen wäre (§ 142 Abs. 1 FamFG), weshalb die angefochtene
Entscheidung eine unzulässige Teilentscheidung darstellt, die gemäß §§ 117 Abs. 2 FamFG, 538 Abs. 2 Ziffer 7
ZPO ihre Aufhebung rechtfertigt.
Ob die rechtzeitige Einreichung eines Verfahrenskostenhilfeantrages zur Wahrung der Frist des § 137 Abs. 2 FamFG
ausreichend ist, ist in der Literatur umstritten (ablehnend z.B. Keidel/Weber, FamFG, 17. Aufl., § 137 Rn. 16.
zustimmend z.B. Prütting/Helms. FamFG, 2. Aufl., § 137 Rn. 50, jeweils mit weiteren Nachweisen). In der
Rechtsprechung scheint sich dagegen die Auffassung durchzusetzen, dass die genannte Frist durch fristgerechte
Einreichung eines formal ordnungsgemäßen Verfahrenskostenhilfeantrages gewahrt ist (vgl. OLG Bamberg FamFR
2011, 164. OLG Hamm vom 17.10.2011 zum AZ 6 UF 144/11).
Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der isolierte
Verfahrenskostenhilfeantrag schon zur Anhängigkeit der Folgesache im Sinne des § 137 Abs. 2 FamFG führt. Die
Anhängigkeit tritt im Verfahren betreffend eine Ehe oder Familienstreitsache im Allgemeinen erst ein, wenn ein
anwaltlicher Schriftsatz, mit dem der Anspruch verfolgt wird, beim Gericht eingegangen ist. Das ist bei einem
isolierten Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen solchen Antrag noch nicht der Fall (so z.B.:
Keuter NJW 2009, 276). Die Vorschrift des § 137 FamFG ist jedoch auslegungsbedürftig. Insbesondere ist sie an
höherrangigem Recht zu messen.
Die Norm dient ausweislich des in der Gesetzesbegründung erkennbar gewordenen Willens des Gesetzgebers
einerseits dazu, Verzögerungen durch missbräuchliches Anhängigmachen von Scheidungsfolgesachen erst im
Termin zur mündlichen Verhandlung zu verhindern (BTDrs 16/6308 S. 374). Da eine Vorbereitung des Gerichts auf
den Termin dann nicht mehr möglich war, wenn Folgeanträge erst sehr kurzfristig gestellt wurden, führte dies
zumeist zu Verzögerungen, denen entgegen gewirkt werden sollte.
Andererseits gilt das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung bedürftiger und nicht bedürftiger Beteiligter.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die verfahrensmäßige Situation von bedürftigen
Beteiligten derjenigen, die in der Lage sind, die Verfahrenskosten selbst zu tragen, weitgehend anzupassen
(BVerfGE 78, 104).
Würde die Einreichung eines Verfahrenskostenhilfeantrages vor Ablauf der Frist des § 137 Abs. 2 FamFG nicht
ausreichen, um das Begehren im Verbund mit der Ehesache geltend machen zu können, würde die bedürftige Partei
jedoch erheblich schlechter gestellt, als die nicht bedürftige. Denn sie wäre gehalten, ihren Antrag weit vorher zu
stellen, um eine Entscheidung des Gerichts über den Verfahrenskostenhilfeantrag zu bewirken, wobei dieses
seinerseits in der Lage wäre, die Herstellung des Verbundes durch schnellere oder weniger zügige Erledigung zu
steuern.
Da es aber keinen sachlichen Grund für einer derartige Benachteiligung bedürftiger Beteiligter gibt und der genannte
Zweck der Norm eine derartig unterschiedliche Behandlung gleichfalls nicht gebietet, weil das Gericht den
Verfahrenskostenhilfeantrag in seine Vorbereitung auf den Termin ebenso einbeziehen kann wie den Antrag in der
Hauptsache selbst, ist die Norm in verfassungskonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass das
Anhängigmachen eines formal ordnungsgemäßen Verfahrenskostenhilfeantrages zur Wahrung der Frist des § 137
Abs. 2 FamFG ausreichend ist.
Weil die Frist somit unter Berücksichtigung des Eingangs des Antrages am 15.7.2011 gewahrt ist, und weil der
Verfahrenskostenhilfeantrag auch formal ordnungsgemäß ist, hätte das Amtsgericht gegebenenfalls nach Vertagung
(vgl. Prütting/Helms, FamFG, 2. Aufl., § 137 Rn. 50) auch über den nachehelichen Unterhalt entscheiden müssen,
weshalb die angefochtene Entscheidung aufzuheben und zur Wiederherstellung des Verbundes an das Amtsgericht
zurückzuverweisen war.
Eine Kostenentscheidung für die Beschwerdeinstanz konnte noch nicht getroffen werden, so dass diese durch das
Amtsgericht nachzuholen sein wird.
Da die angesprochene Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt ist und die Rechtsfrage grundsätzliche
Bedeutung hat, war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
… … …