Urteil des OLG Köln vom 17.04.1996

OLG Köln (kläger, injektion, behandelnder arzt, lähmung, unfall, konzentration, praxis, unmöglichkeit, aufklärung, behandlungsfehler)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 175/95
Datum:
17.04.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 175/95
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 9 O 620/94
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Bonn vom 24.07.1995 - 9 O 620/94 - abgeändert. Der
Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.147,17 DM nebst 4 % Zinsen
seit dem 01.12.1994 zu zahlen. Der Beklagte hat die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg.
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Zwar geht der Senat davon aus, daß die Verabreichung des Lokalanästhetikums
Meaverin indiziert war und auch in der richtigen Dosierung und unter sachgerechter
Verabreichung durchgeführt worden ist. Gleichwohl ergibt sich eine Haftung des
Beklagten daraus, daß er den Kläger nicht in ausreichendem Maße auf die möglichen
Folgen dieser Injektion und die damit verbundenen weiteren Gefahren hingewiesen hat
und es wegen dieses mangelnden Hinweises letztlich zum Unfall des Klägers
gekommen ist.
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Wie der in erster Instanz beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Dr. Sch. in seinem
Gutachten vom 14.06.1995 ausgeführt hat, ist wirksamer Bestandteil des Mittels
Meaverin ein Lokalanästhetikum Mepivacain, welches zu u.a. auch motorischen
(bewegungshemmenden) Blockaden führt. Wie der Sachverständige weiter dargelegt
hat, führt u.a. auch dieses Mittel bei einer Konzentration von 0,5 % bis 1 % zu sensiblen
und bei einer Konzentration von 1 % bis 2 % auch zu motorischen Ausfällen. An
peripheren Nerven und Nervengeflechten tritt aber schon bei relativ niedrigen
Konzentrationen eine weitergehende Blockade auf. Angesichts der vorliegend
eingesetzten Menge von 15 ml bestehe auch bei streng intramuskulärer Injektion die
Möglichkeit, daß das Lokalanästhetikum über Diffusion benachbarter anatomischer
Strukturen z.B. auch die intervertebral austretenden Spinalnerven blockiere. Es sei bei
der vorliegend eingesetzten Menge durchaus denkbar, daß durch eine unvollständige
Lähmung die Unmöglichkeit der für einen Bremsvorgang erforderlichen Bewegung
bestehe.
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Nach diesen Ausführungen des Sachverständigen war, wie der Sachverständige auch
ausdrücklich bestätigt hat, für den Beklagten als behandelnden Orthopäden ersichtlich,
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daß das eingesetzte Lokalanästhetikum möglicherweise beim Kläger zu kurzfristigen
motorischen Ausfällen führen konnte, woraus zwangsläufig eine Beeinträchtigung der
Verkehrstüchtigkeit des Klägers, dies insbesondere in seiner Funktion als Autofahrer,
resultieren konnte.
In Anbetracht dieser aus der angewandten Therapie resultierenden Gefährdung des
Klägers war der Beklagte als behandelnder Arzt gehalten, den Kläger durch
entsprechende Maßnahmen und insbesondere auch durch eine entsprechende
Sicherheitsaufklärung ausreichend zu informieren und hiergegen abzusichern. Die
Sicherheitsaufklärung dient der Aufklärung und Information des Patienten hinsichtlich
eines therapiegerechten Verhaltens sowie auch hinsichtlich eines Schutzes vor Risiken
aus einer konkreten Behandlung (siehe u.a. Steffen: Neue Entwicklungslinien der BGH-
Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Seite 126).
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Zwar hat der Beklagte behauptet und haben in erster Instanz auch die von ihm
benannten Zeuginnen im wesentlichen bekundet, daß der Beklagte den Kläger nach
Setzen der Injektion aufgefordert hat, noch in der Praxis zu verbleiben, weil er,
Beklagter, ihn noch einmal untersuchen wolle. Ein solcher Hinweis war jedoch nicht
ausreichend, um den Kläger gegen eventuelle Risiken aus der durchgeführten
Behandlung in ausreichender Weise abzusichern. Vielmehr war vom Beklagten zu
verlangen, den Kläger auf die konkreten möglichen Folgewirkungen der stattgehabten
Injektion hinzuweisen und ihm insbesondere vor Augen zu führen, daß es kurzfristig
infolge der Injektion zu einer Beeinträchtigung seiner Verkehrstüchtigkeit kommen
könne. Nur vor dem Hintergrund einer solchen Erläuterung und sachlichen Information
wäre dem Kläger ausreichend nachdrücklich vor Augen geführt worden, daß ihm bei
einer sofortigen Entfernung aus der Praxis mit nachfolgender Teilnahme am öffentlichen
Straßenverkehr Gefahren drohen konnten. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger gemäß
eigener Außerung im Senatstermin sogar einer nicht begründeten Aufforderung, noch in
der Praxis zu verweilen, Folge geleistet hätte.
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Daß der Beklagte dem Kläger eine dahingehende Aufklärung hat zuteil werden lassen,
hat er selbst nicht behauptet und haben auch die von ihm benannten Zeuginnen nicht
bekundet. Es liegt deshalb ein Verstoß gegen die dem Beklagten als behandelndem
Arzt obliegende Sicherheitsaufklärung vor, wobei ein solches Versäumnis einen
medizinischen Behandlungsfehler darstellt.
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Der Kläger hat auch in ausreichender Weise einen Kausalzusammenhang zwischen der
Injektionswirkung im vorbenannten Sinn und dem nachfolgend stattgehabten Unfall
dargetan.
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Wie bereits erwähnt, hat der erstinstanzliche Sachverständige ausdrücklich dargelegt,
daß bei Injektionen der fraglichen Art die intervertebral austretenden Spinalnerven
blockiert werden können und es durchaus denkbar ist, daß durch eine unvollständige
Lähmung die Unmöglichkeit der für einen Bremsvorgang erforderlichen Bewegung
besteht. Auch die zeitliche Verzögerung d.h. den zeitlichen Zwischenraum zwischen der
Injektion und dem Bemerken der Lähmung hat er als erklärlich und nachvollziehbar
gewertet und mit der Verzögerung durch Diffusion und der geringen eingesetzten
Konzentration erklärt. Vor diesem Hintergrund hat er die vom Landgericht gestellte
Frage, ob die stattgehabte Injektion von Meaverin in einem zeitlichen Abstand von ca.
30 Minuten zu einer kurzfristigen Lähmung des rechten Beins beim Kläger geführt
haben kann, vorbehaltlos bejaht.
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Zwar ist nicht zu verkennen, daß der vom Kläger verursachte Auffahrunfall theoretisch
auch auf anderen Gründen beruhen kann; vor dem Hintergrund der vorbenannten
Ausführungen des Sachverständigen und dem Umstand, daß der Kläger sofort nach
dem Unfall, wie sich aus der Verkehrsunfallanzeige vom 14.12.1993 in der Akte 83 Js
125/94 StA Bonn ergibt, eine Lähmungserscheinung im Bein erwähnt hat, die ihm ein
Bewegen des Beines unmöglich gemacht habe, spricht jedoch alles dafür, daß
vorliegend der Auffahrunfall des Klägers in der Tat auf einer plötzlich eintretenden
Bewegungsblockade beruhte, die nur auf die Injektion zurückzuführen gewesen sein
kann. In Anbetracht dessen und angesichts des eindeutig vorliegenden Verstoßes
gegen die bereits erwähnte Pflicht zur Sicherungsaufklärung, die als Behandlungsfehler
zu werten ist, hätte es dem Beklagten oblegen, konkrete Anhaltspunkte dafür
vorzutragen, daß gleichwohl vorliegend die sofortigen Angaben des Klägers zu der
plötzlichen Lähmungserscheinung unzutreffend waren und tatsächlich der Auffahrunfall
aus anderen Gründen erfolgt ist. Ein dahingehender Vortrag seitens des Beklagten ist
jedoch nicht erfolgt. Vielmehr hat der Beklagte lediglich Beweis durch weiteres
Sachverständigengutachten angetreten. Hierzu besteht jedoch keine Veranlassung, da
keine plausiblen Einwände gegen die Richtigkeit der Ausführungen des
erstinstanzlichen Sachverständigen vorgetragen worden sind und im übrigen ein
nunmehr tätiger Sachverständiger keine weitergehenden Erkenntnisse über den
damaligen Zustand des Klägers zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles treffen könnte. Den
ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis vermag deshalb der Beklagte nicht zu führen.
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Der Beklagte haftet demzufolge für die anläßlich des Unfalles vom 14.12.1993
verursachten Schäden. Diese belaufen sich ausweislich des erstinstanzlichen
Sachverständigengutachtens des Sachverständigen K. N. auf den zuerkannten Betrag.
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Insoweit erachtet der Senat es nicht für angängig, zwischen den Schäden, die aufgrund
des ersten Aufpralles und denen, die aufgrund des unmittelbar nachfolgenden zweiten
Aufpralles verursacht worden sind, zu differenzieren. Zwar mag der zweite Aufprall
durch eine falsche Schreckreaktion des Klägers nach dem ersten Aufprall verursacht
worden sein; auch diese Fehlreaktion beruhte jedoch nach Überzeugung des
erkennenden Gerichts noch in adäquat kausaler Weise auf den vorbenannten
Injektionsfolgen. Angesichts des Alters des Klägers und der Brisanz der Situation war es
nämlich durchaus naheliegend, daß eine kurzfristige Lähmungserscheinung im rechten
Bein mit hierauf beruhendem Auffahrunfall geeignet war, den hiervon gänzlich
überraschten und geschockten Kläger so in Panik zu versetzen, daß er nicht mehr in der
Lage war, vernünftig und besonnen zu reagieren. Die Kausalität der Injektionsfolgen für
diese Fehlreaktion ist deshalb noch zu bejahen.
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Auch die Annahme eines anspruchsmindernden Mitverschuldens zu Lasten des Klägers
erscheint angesichts der konkreten Situation nicht angängig. Eine unkontrollierte
Panikreaktion angesichts einer gänzlich unerwarteten plötzlichen
Lähmungserscheinung in einer Extremität ist nämlich jedenfalls nicht so fernliegend und
unvernünftig und im übrigen auch, insbesondere bei einem Patienten vom Alter des
Klägers, so wenig steuerbar, daß sie diesem nicht als Mitverschulden anzulasten ist.
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Nach allem ist der Beklagte zum Ersatz des vollen Schadens verpflichtet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713
ZPO.
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Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer des Beklagten: 11.147,17 DM
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