Urteil des OLG Köln vom 17.06.2003
OLG Köln: versorgung, beweisverfahren, kunst, gefahr, zustand, abklärung, aufklärungspflicht, krankenkasse, berechtigung, beweissicherung
Oberlandesgericht Köln, 5 W 73/03
Datum:
17.06.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
5 W 73/03
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 OH 4/03
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin, die im übrigen zurückgewiesen
wird, wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen
vom 10.04.2003 - 11 OH 4/03 - teilweise abgeändert.
Es soll im Wege des selbständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 ff.
ZPO durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
Beweis erhoben werden über folgende Fragen:
1.
entspricht die prothetische Versorgung der Zähne 11, 12, 13, 14, 17, 21,
22, 23, 24, 28, 37, 45, 47 der Antragstellerin der zahnärztlichen Kunst?
2.
War die Extraktion der Zähne 16, 25, 26, 27 medizinisch notwendig?
3.
War die Röntgenaufnahme vom 17.9.2001 medizinisch notwendig?
4.
Entspricht die Vornahme der subgingivalen Zahnreinigung zu den
jeweiligen Zeitpunkten der zahnärztlichen Kunst?
im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die weiteren erforderlichen Anordnungen werden dem Landgericht
übertragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache teilweise Erfolg;
hinsichtlich der vorgenannten Beweisfragen wird das selbständige Beweisverfahren
durchzuführen sein. Im übrigen ist ihre Beschwerde hingegen zurückzuweisen, was die
in der Antragsschrift formulierten Beweisfragen Ziffern 2, 4, 5, 8 anbetrifft.
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Gemäß § 485 Abs. 1 ZPO kann während oder außerhalb eines Streitverfahrens auf
Antrag einer Partei die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet
werden, wenn der Gegner zustimmt oder aber zu besorgen ist, dass das Beweismittel
verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Außerhalb eines anhängigen
Rechtsstreits kann im übrigen gemäß Abs. 2 eine Partei die schriftliche Begutachtung
durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran
hat, dass der Zustand einer Person oder die Ursache eines Personenschadens oder der
Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens festgestellt wird. Dabei ist ein
rechtliches Interesse anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines
Rechtsstreits dienen kann.
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Zwar hat sich bisher der Senat auf den Standpunkt gestellt, dass diese Bestimmung in
Arzthaftungssachen normalerweise keine Geltung hat, wobei sich eine Wiederholung
der seitens des Senats hierfür früher gegebenen Gründe erübrigt. Der
Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsansicht des Senats und anderer nämlich durch
Beschluss vom 15.01.2003 - MDR 03/590 - entgegengetreten und hat hierzu ausgeführt,
Sinn und Zweck der vorprozessualen Beweissicherung sei es, die Gerichte von
Prozessen zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zu einer
raschen und kostensparenden Einigung zu bringen; dabei hat der Bundesgerichtshof
ausdrücklich darauf hingewiesen, zwar beschränke sich das selbständige
Beweisverfahren bei der Verletzung einer Person, um die es regelmäßig in
Arzthaftungssachen gehe, darauf, den Zustand dieser Person, die hierfür maßgeblichen
Gründe und die Wege zur Beseitigung des Schadens festzustellen, wobei sich mit den
möglichen tatsächlichen Feststellungen ein Arzthaftpflichtprozess zwar häufig noch
nicht entscheiden lassen werde, weil hiermit noch nicht die rechtlichen Fragen des
Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten
Schaden geklärt seien; in der Rechtspraxis werde sich jedoch bei Feststellung des
Gesundheitsschadens und der hierfür maßgeblichen Gründe nicht selten erkennen
lassen, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben sei, weshalb die
vorprozessuale Klärung eines Gesundheitsschadens und seiner Gründe durchaus
prozessökonomisch sein könne.
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Auf der Grundlage dieser höchstrichterlichen Feststellungen ist vorliegend ein Interesse
der Klägerin an der Durchführung der angestrebten Beweisaufnahme mit den
vorgenannten Einschränkungen zu bejahen. Die Klägerin hat wiederholt vorgetragen -
und so ergibt es sich auch aus den von ihr vorgelegten ärztlichen Unterlagen -, dass sie
angesichts der nur provisorischen Versorgung durch den Antragsgegner, dringend auf
eine alsbaldige prothetische Neuversorgung angewiesen ist, die auch von der
Krankenkasse befürwortet und bezuschusst wird. Es liegt auf der Hand, dass durch eine
solche prothetische Neuversorgung eventuelle Mängel der Arbeit des Beklagten
abschließend behoben bzw. jedenfalls überlagert werden, so dass im Rahmen eines
nachfolgenden Rechtsstreites die dahingehende Abklärung der Frage, ob dem
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Beklagten bei seiner prothetischen Versorgung Fehler unterlaufen sind, im Ergebnis
unmöglich würde. Andererseits ist es der Klägerin nicht zuzumuten, mit der dringend
notwendigen prothetischen Neuversorgung bis zum Abschluss eines entsprechenden
Rechtsstreites zur Klärung der Frage von Behandlungsfehlern des Beklagten
zuzuwarten und damit Gefahr zu laufen, über einen längeren Zeitraum mit einer
unzulänglichen Gebisssituation zu leben und im übrigen Gefahr zu laufen, durch eine
Verzögerung einer adäquaten Neuversorgung diese im Ergebnis unter Umständen
nennenswert zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen. Die Klägerin hat
demzufolge ein berechtigtes Interesse an der Vorab-Klärung der Beweisfragen Ziffern 1,
3, 6 und 7, die alle darauf hinauslaufen, festzustellen, ob bei der Klägerin die Folgen
einer fehlerhaften prothetischen Behandlung vorliegen. Deshalb bestehen gegen die
Durchführung des angestrebten selbständigen Beweisverfahrens keine Bedenken,
vielmehr ist das dahingehende Begehren der Antragstellerin gerechtfertigt. Insoweit war
deshalb ihrer Beschwerde stattzugeben.
Keinen Erfolg hat sie jedoch hinsichtlich der Beweisfragen 2, 4, 5 und 8. Zum einen
kann nicht festgestellt werden, dass und weshalb die Klärung dieser Fragen, die sich
auf die Notwendigkeit einer Risikoaufklärung bzw. die Ordnungsgemäßheit der
Rechnungen des Beklagten beziehen ein Beweismittelverlust zu befürchten sein
könnte. Die Rechnungen des Beklagten liegen vor, und können ohne weiteres auf ihre
materielle Berechtigung hin im Rahmen eines Rechtsstreites überprüft werden.
Entsprechendes gilt hinsichtlich der allgemeinen Frage zum Umfang einer eventuellen
Aufklärungspflicht des Beklagten, für deren Beantwortung es nicht auf die vorab
klärende Gebisssituation der Antragstellerin ankommt. Insoweit steht auch nicht zu
erwarten, dass eine diesbezügliche Klärung der im Vorfeld eines Prozesses zu dessen
letztlicher Vermeidung soll führen könne. Anders sieht dies hingegen hinsichtlich der
Vorab-Klärung der Frage nach möglichen Behandlungsfehlern aus, bei deren Bejahung
jedenfalls theoretisch die prozessökonomische Möglichkeit besteht, dass sich ein
Rechtsstreit möglicherweise wird vermeiden lassen.
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Eine Kostenentscheidung durch den Senat ist nicht veranlasst. Die Kostenerstattung für
das nunmehr vom Senat angeordnete selbständige Beweisverfahren hat entweder in
einem sich anschließenden Hauptverfahren oder ggf. nach § 494 a Abs. 2 Satz 1 ZPO
zu erfolgen. Dies schließt die Kosten des Beschwerdeverfahrens ein.
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Die weiteren erforderlichen Anordnungen überträgt der Senat gemäß § 572 Abs. 3 ZPO
auf das Landgericht.
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Soweit der Antrag zurückgewiesen wurde, liegen die Voraussetzungen für die
Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 ZPO nicht vor.
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Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 10.000.- €
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Streitwert hinsichtlich des abgewiesenen Teils: 5.000.- €.
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