Urteil des OLG Köln vom 10.02.2000
OLG Köln: einspruch, örtliche zuständigkeit, wahlrecht, vorverfahren, hauptschuld, geschäftsführer, säumnis, vorfrage, abhängigkeit, vermieter
Oberlandesgericht Köln, 1 W 114/99
Datum:
10.02.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 W 114/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 15 O 399/99
Schlagworte:
Meistbegünstigung fehlerhaft Bezeichnung Urteil Versäumnisurteil
Normen:
ZPO §§ 331 Abs. 2, 3, 341 Abs. 2, 511
Leitsätze:
1. Wird ein trotz Säumnis des Beklagten ergangenes Prozessurteil
gegen den Kläger - fälschlich - als Versäumnisurteil bezeichnet, kann
der Kläger nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz entweder Berufung
oder Einspruch einlegen. Dieses Wahlrecht gilt nur dann nicht, wenn die
richtigerweise zu erlassende Entscheidung nicht rechtsmittelfähig ist. 2.
Wird ein danach zulässiger Einspruch in Verkennung des
Meistbegünstigungsprinzips als unstatthaft verworfen, muss das mit der
sofortigen Beschwerde (§ 341 Abs. 2 S. 2 ZPO) angerufene
Rechtsmittelgericht nicht in jedem Fall ein - gegen das Prozessurteil an
sich gebotene - Berufungsverfahren durchführen. Vielmehr kann es den
Verwerfungsbeschluss jedenfalls dann aufheben und die Sache zur
Verhandlung über den Einspruch an das erstinstanzliche Gericht
zurückverweisen, wenn aus seiner Sicht auch eine
Berufungsverhandlung zur Aufhebung und Zurückverweisung führen
müsste.
Rechtskraft:
unanfechtbar
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 15.
Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 22. November 1999 - 15 O
399/99 - aufgehoben. Die Sache wird zur Verhandlung über den
Einspruch der Klägerin gegen das als Versäumnisurteil bezeichnete
Urteil des Landgerichts vom 15. Oktober 1999 an das Landgericht
zurück verwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.
G r ü n d e :
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I. Die Klägerin hat nach ihrem Vorbringen rechtskräftig titulierte Mietzinsforderungen in
Höhe von mehr als 60.000,-- DM gegen eine Fa. A. Backwaren GmbH ##blob##amp;
Co. KG, deren Geschäftsführer und Kommanditist der Beklagte ist. Sie nimmt den
Beklagten im vorliegenden Verfahren vor dem Landgericht Köln aus einer
selbstschuldnerischen Höchstbetragsbürgschaft über 21.400,-- DM, die der Beklagte zur
Sicherung etwaiger Mietzinsansprüche der Klägerin übernommen hatte, sowie in Höhe
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von weiteren 15.000,-- DM wegen Nichterbringung seiner Kommanditisteneinlage in
Anspruch. Der Kammervorsitzende ordnete das schriftliche Vorverfahren an, ohne dass
eine Verteidigungsanzeige gem. § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO einging. Darüber hinaus erteilte
er der Klägerin den Hinweis, dass es sich bei der Klageforderung um Ansprüche aus
einem Mietverhältnis und damit um einen Fall des § 29 a ZPO handeln dürfte. Nachdem
die Klägerin eingewandt hatte, § 29 a ZPO sei im Hinblick auf die geltend gemachte
Bürgen- und Kommanditistenhaftung nicht einschlägig, hat das Landgericht die Klage
ohne mündliche Verhandlung durch Versäumnisurteil als unzulässig abgewiesen. Den
daraufhin eingelegten Einspruch der Klägerin hat es durch Beschluss als unzulässig mit
der Begründung verworfen, der Einspruch sei unstatthaft, weil das Versäumnisurteil
nicht aufgrund einer Säumnis der Klägerin, sondern aufgrund der Unzuständigkeit des
angerufenen Gerichts ergangen sei. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der
Klägerin.
II. Das Rechtsmittel ist gem. § 341 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässig. In der Sache führt es zur
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht.
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1. Das Landgericht hat den Einspruch der Klägerin gegen das im schriftlichen
Vorverfahren ergangene Versäumnisurteil vom 15.10.1999 zu Unrecht als unzulässig
verworfen. Es trifft zwar zu, dass nach § 338 ZPO Einspruch nur gegen ein echtes
Versäumnisurteil eingelegt werden kann. Bei dem vom Landgericht erlassenen
Prozessurteil handelt es sich dagegen - ungeachtet seiner anderslautenden
Bezeichnung - um ein sog. unechtes Versäumnisurteil und damit in Wahrheit um ein
kontradiktorisches Endurteil, welches grundsätzlich nur mit der Berufung anfechtbar ist
(vgl. Zöller/Herget, ZPO, 21. Aufl. Vor § 330 Rdnr. 11; Stein-Jonas/Grunsky, ZPO, 21.
Aufl. vor § 330 Rdnr. 30).
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2. Gleichwohl ist der Einspruch hier zulässig, denn das Landgericht hat die
angefochtene Entscheidung - fälschlich (vgl. Zöller/Herget a.a.O.) - als Versäumnisurteil
bezeichnet, obwohl sie nicht aufgrund, sondern trotz der unterbliebenen
Verteidigungsanzeige des Beklagten (§§ 276 Abs. 1 S. 1, 331 Abs. 2 ZPO) ergangen ist.
In derartigen Fällen einer inkorrekten Entscheidung steht der Partei nach dem
Grundsatz der Meistbegünstigung nicht nur der bei richtiger Entscheidung gegebene
Rechtsbehelf zu. Sie kann auch den Rechtsbehelf einlegen, der gegen die verlautbarte
Entscheidung statthaft ist (h.M., vgl. BGHZ 98, 362, 364 f.; OLG Köln NJW-RR 97, 955,
956; Stein-Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. § 338 Rdnr. 2 u. Einl. III vor § 511 Rdnr. 37 ff.;
MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher Vorb. § 511 Rdnr. 49 - jew. m.w.N.). Dieses
Wahlrecht gilt nur dann nicht, wenn die korrekter Weise zu erlassende Entscheidung
nicht rechtsmittelfähig ist, denn die formal fehlerhafte Verfahrensweise darf nicht zu
einer Erweiterung des Instanzenzuges führen (vgl. BGH NJW 97, 1448; BGHZ 95, 182,
187/188; Stein-Jonas/Grunsky a.a.O. Einl. III vor § 511 Rdnr. 52; MünchKomm-
ZPO/Rimmelspacher a.a.O. Rdnr. 51). Da im vorliegenden Fall die für eine Berufung
erforderliche Beschwer erreicht ist, durfte das Landgericht den Einspruch der Klägerin
nicht als unzulässig behandeln.
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3. Dieser Verfahrensfehler hat die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Folge.
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a) Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Rechtsmittelverfahren im Falle inkorrekter
Entscheidungen nach überwiegender Meinung so durchzuführen ist, als habe das
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Untergericht die Entscheidung in der richtigen Form erlassen und sei dagegen das
statthafte Rechtsmittel eingelegt worden (vgl. etwa BGHZ 95, 191; OLG Köln NJW-RR
99, 1084; OLG Zweibrücken NJW-RR 98, 508; VGH Mannheim NJW 82, 2460;
Baumbach/Albers, ZPO, 58. Aufl., Grundz § 511 Rdnr. 29; Stein-Jonas/Grunsky a.a.O.
Rdnr. 49; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher a.a.O. Rdnr. 50; a.A. OLG Köln NJW-97,
955, 956; OVG Münster NJW 74, 1102 - Wahlrecht des Rechtsmittelgerichts). Als Grund
hierfür wird angeführt, dass der dem Meistbegünstigungsprinzip zugrunde liegende
Gedanke des Vertrauensschutzes lediglich den Zweck habe, der betroffenen Partei die
wirksame Anfechtung mit dem durch die fehlerhafte Entscheidung vorgezeichneten
Rechtsmittel zu ermöglichen, nicht aber, den Formfehler zu perpetuieren (BGHZ a.a.O.
S. 190; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher a.a.O. Rdnr. 50).
Diese Sichtweise macht insbesondere dann einen vernünftigen Sinn, wenn der
verfahrensmäßige Fortgang auf dem "falschen Gleis" des Untergerichts darauf hinaus
liefe, die angefochtene Entscheidung im Ergebnis formrichtig zu fassen, nur um der
beschwerten Partei Gelegenheit zur Einlegung des zutreffenden Rechtsmittels zu geben
(vgl. MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher a.a.O.). Darum geht es hier jedoch nicht.
Vielmehr würde eine Durchführung des Rechtsmittelverfahrens als Berufungsverfahren
zu einem unter prozesswirtschaftlichen Gesichtspunkten misslichen Ergebnis führen,
denn die Klägerin müsste sich dann durch einen beim Oberlandesgericht zugelassenen
Rechtsanwalt vertreten lassen. Mit den ihr hierdurch entstehenden zusätzlichen Kosten
würde sie - jedenfalls zunächst - nicht nur belastet, obwohl sie gerade keine Berufung,
sondern den Rechtsbehelf des Einspruchs gewählt hat. Vielmehr müsste - wie bereits
jetzt feststeht - auch ein Berufungsverfahren vor dem Senat zur Aufhebung des
"Versäumnisurteils" und zur Zurückverweisung an das Landgericht nach § 538 Abs. 1
Nr. 2 ZPO führen, ohne dass der Senat in der Sache entscheiden kann:
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b) Die Auffassung des Landgerichts, die Entscheidung über die Klageforderung falle
gem. § 29 a ZPO in die ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts, ist unhaltbar.
Es entspricht einhelliger Ansicht, dass isolierte Forderungsstreitigkeiten dritter Personen
mit dem Vermieter oder Mieter, in denen das Bestehen eines Mietvertrages lediglich
Vorfrage ist, vom Zweck des § 29 a ZPO nicht erfasst werden (vgl. OLG München ZMR
73, 84; Stein-Jonas/Schumann a.a.O. § 29 a Rdnr. 18; Zöller/Vollkommer a.a.O. § 29 a
Rdnr. 6). Die Vorschrift ist daher für und gegen einen - wie hier - selbstschuldnerischen
Bürgen oder Geschäftsführer des Mieters nicht anwendbar, weil diese Personen nicht
Partei des Miet- oder Pachtvertrages sind (vgl. Zöller/Vollkommer a.a.O.). Nichts
anderes gilt für die hier geltend gemachte Kommanditistenhaftung aus § 171 Abs. 1
HGB, denn auch der Kommanditist haftet unter der dort genannten Voraussetzung nicht
aufgrund des Miet- oder Pachtverhältnisses, sondern allein aufgrund seiner
Gesellschafterstellung. Dem vom Landgericht hervorgehobenen Gesichtspunkt der
Abhängigkeit der Bürgenhaftung von Bestand und Umfang der Hauptschuld kommt in
diesem Zusammenhang schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil
die Hauptschuld rechtskräftig zugunsten der Klägerin tituliert ist.
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Auch die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln ist ersichtlich gegeben, denn der
Beklagte unterhält in Köln einen - zur Begründung des allgemeinen Gerichtsstandes
gem. § 13 ZPO ausreichenden - zweiten Wohnsitz, an dem bisher auch sämtliche
Zustellungen erfolgt sind.
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Da das Landgericht die Klage somit zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat und eine
eigene Sachentscheidung des Senats gem. § 540 ZPO wegen des Verlustes einer
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Tatsacheninstanz nicht sachdienlich wäre, käme bei Durchführung eines
Berufungsverfahrens nur eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht in
Betracht. Es macht aber keinen Sinn, die zusätzlichen Kosten eines
Berufungsverfahrens auszulösen, obwohl dieses zu keinem anderen Ergebnis führen
könnte als eine Aufhebung des angefochtenen Verwerfungsbeschlusses und
Zurückverweisung an das Landgericht im Rahmen des Einspruchsverfahrens.
Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht Gelegenheit, die gebotene mündliche
Verhandlung nachzuholen und sich materiell-rechtlich mit der Klageforderung zu
befassen.
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Wert des Beschwerdeverfahrens: 36.400,-- DM
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