Urteil des OLG Köln vom 26.04.2010

OLG Köln (zpo, operation, umfang, arbeitslosigkeit, zustellung, höhe, verdienstausfall, beschwerde, antrag, schaden)

Oberlandesgericht Köln, 5 W 8/10
Datum:
26.04.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 W 8/10
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 113/07
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 16.2.2010 wird der
Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 29.1.2010
- 11 O 113/07 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels
teilweise abgeän-dert.
Der Klägerin wird über den mit den Beschlüssen des Landgerichts vom
19.6.2007 und 20.7.2007 bewilligten Umfang hinaus ratenfreie
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin C aus B.
bewilligt, soweit sie mit dem Antrag zu 1 b) die Zahlung von 45.052,29 €
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 18.805,51 € seit Zustellung der Klage und aus 26.246,78 € seit
Zustellung der Klageerweiterung beantragt.
Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für
eine Erweiterung der Klage vom 28.10.2009 zurückgewiesen.
Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte
ermäßigt; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
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Die sofortige Beschwerde ist teilweise begründet.
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1. Ein höherer Schmerzensgeldbetrag als insgesamt 25.000 €, für den das Landgericht
unter Berücksichtigung der vorgerichtlich gezahlten 10.000 € bereits Prozesskostenhilfe
bewilligt hat, ergibt sich weder aus den Ausführungen der Sachverständigen Dr. M. noch
aus dem Vorbringen der Klägerin.
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Die Sachverständige ist in ihrem Gutachten vom 4.8.2009 zu dem Ergebnis gelangt,
dass bei der Klägerin als Folge der durch die Lagerung während der
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Schilddrüsenoperation vom 27.10.2003 bedingten Nervenschädigung, für die die
Beklagten ihre Verantwortung anerkennen, eine chronische Schmerzstörung des
rechten Arms eingetreten ist, die die Klägerin im Haushalt, bei beruflicher Tätigkeit und
bei sozialen Aktivitäten beeinträchtigt und die zu einer leichten depressiven
Verstimmung sowie einem Reizdarmsyndrom geführt hat. Hierin liegt jedenfalls kein
schwereres Krankheitsbild als dasjenige, das die Klägerin in der Antragsschrift vom
22.3.2007 beschrieben und für das sie selbst ein Schmerzensgeld von 25.000 € für
angemessen gehalten hat. Die Klägerin hat bei Beginn des vorliegenden Verfahrens
dargelegt, dass sie an einer irreversiblen chronischen Schmerzerkrankung des rechten
Arms mit stärksten Dauerschmerzen leide, die Ein- und Durchschlafstörungen bedinge
und wegen der sie ständig Schmerzmittel einnehme. Während des Hausbesuchs am
18.6.2009 hat die Klägerin gegenüber der Sachverständigen Dr. M. alsdann angegeben,
dass die Schmerzen vor zwei Jahren noch deutlich heftiger gewesen seien und unter
anderem die Krankengymnastik zwischenzeitlich eine gewisse Besserung erbracht
habe.
2. Hinsichtlich des begehrten materiellen Schadensersatzes war der Klägerin
Prozesskostenhilfe für einen Klageantrag in Höhe von 45.052,29 € (Verdienstausfall:
36.762,64 €; Haushaltsführungsschaden: 7.488,00 €; sonstiger materieller Schaden:
801,65 €) nebst Zinsen zu bewilligen.
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a) Soweit die Klägerin behauptet und unter Beweis stellt, dass sie infolge des
Behandlungsfehlers der Beklagten und des hierauf beruhenden Schmerzssyndroms des
rechten Arms erwerbsunfähig sei, ist der maßgebliche Verdienstausfall für den Zeitraum
vom 1.1.2004 bis 30.9.2009 mit 36.762,64 € (14.728,56 € + 22.034,08 €) anzusetzen.
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aa) Für den Zeitraum vom 1.1.2004 bis 31.12.2006 hat das Landgericht der Klägerin für
einen auf der Basis eines entgangenen Nettoverdienstes von 1.500 € monatlich geltend
gemachten Verdienstausfallschaden von 25.434,60 € mit Beschluss vom 20.7.2007 in
vollem Umfang Prozesskostenhilfe bewilligt. Soweit die Klägerin nach der
Neuberechnung des Verdienstausfalls auf Basis eines entgangenen Nettoverdienstes
von 1.200 € monatlich an einem auf den Zeitraum vom 1.1.2004 bis 31.12.2006
entfallenden Verdienstausfallschaden festhält, ist die genannte Entscheidung, da die
Voraussetzungen für eine Aufhebung von Prozesskostenhilfe nicht vorliegen (§ 124
ZPO), für das weitere Verfahren bindend. Auf den Zeitraum vom 1.1.2004 bis
31.12.2006 entfallen nach der Neuberechnung des Verdienstausfallschadens auf S. 5 ff.
des Schriftsatzes vom 28.10.2009 (Bl. 240 ff. d.A.) 14.728,56 €.
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bb) Für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 30.9.2009 hat die Klägerin Tatsachen dargelegt
und unter Beweis gestellt, die eine Schätzung des hierauf entfallenden
Verdienstausfallschadens gemäß §§ 252 BGB, 287 Abs. 1 ZPO auf 22.034,08 €
rechtfertigen.
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Anders als das Landgericht geht der Senat davon aus, dass die Klägerin, die vor der
haftungsbegründenden Operation im Oktober 2003 im Wechsel als ungelernte
Arbeiterin beschäftigt oder aber arbeitslos war, ohne das chronische Schmerzsyndrom
des rechten Arms nicht nur zu 50 %, sondern zu 80 % beruflich hätte tätig sein können.
Der von der Klägerin dargestellte berufliche Werdegang rechtfertigt diesen Schluss. Auf
eine nahezu ununterbrochene Arbeitstätigkeit vom Jahr 1971 bis zum Jahr 1991 hin war
die Klägerin zwar in den Jahren 1992 bis 2003 zu etwa 50 % arbeitslos. In den letzten
fünf Jahren vor der Operation betrug die Erwerbstätigkeit bei 9 ½ Monaten
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Arbeitslosigkeit (1.1.1999 bis 1.5.1999, 1.5.2001 bis 13.5.2001, 1.5.2003 bis
27.10.2003) aber mehr als 80 %. Der dem Eingriff unmittelbar vorausgegangene
Zeitraum von fünf Jahren lässt nach Auffassung des Senats einen genaueren und
sichereren Schluss darauf zu, in welchem Umfang es der Klägerin nach der Operation
ohne das Schmerzsyndrom gelungen wäre, Arbeit als ungelernte Arbeiterin zu finden.
Ausgehend von einem schlüssig dargelegten monatlichen Nettoeinkommen von 1.200 €
einschließlich eines 13. Monatsgehaltes hätte die Klägerin pro Kalendertag 42,74 €
netto (1.200 € netto x 13 / 365) verdient, das heißt in der Zeit vom 1.1.2007 bis 30.9.2009
während der zu schätzenden Beschäftigungszeit von 80 % 34.294,58 € (1003 Tage x
0,8 x 42,74 €). Von den im Zeitraum vom 1.1.2007 bis 30.9.2009 tatsächlich bezogenen
Lohnersatzleistungen, die nach der Aufstellung auf S. 5 ff. des Schriftsatzes vom
28.10.2009 insgesamt 15.325,62 € betragen haben, muss sich die Klägerin auf den
während 80 % des Zeitraums entgangenen Arbeitsverdienst 80 %, das heißt 12.260,50
€, anrechnen lassen. Es verbleibt ein entgangener Verdienst von 22.034,08 €
(34.294,58 € - 22.304,08 €). Die restlichen 20 % der tatsächlich bezogenen
Lohnersatzleistungen entfallen auf den Zeitraum von geschätzt 20 %, in dem die
Klägerin auch ohne das Schmerzsyndrom arbeitsmarktbedingt beschäftigungslos
gewesen wäre. Während dieser Arbeitslosigkeit hätte sie jedenfalls
Lohnersatzleistungen bezogen, die den tatsächlich vereinnahmten Sozialleistungen
entsprochen hätten.
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b) Den Haushaltsführungsschaden hat die Klägerin ausgehend von den Vorgaben des
insoweit Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschlusses des Landgerichts vom
20.7.2007 für den Zeitraum vom 1.1.2004 bis zum 31.12.2009 schlüssig auf 7.488,00 €
berechnet. Die von der Klägerin auf 801,65 € errechneten sonstigen materiellen
Schäden haben die Beklagten nicht bestritten.
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3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf Nr. 1811 des
Kostenverzeichnisses zum GKG sowie auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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