Urteil des OLG Köln vom 19.11.2010

OLG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, beschwerdeführer, stpo, anhörung, beschwerde, fax, widerruf, staatsanwaltschaft, frist, wiedereinsetzung)

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 743-744/10
Datum:
19.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 743-744/10
Leitsätze:
1. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei möglicher Fehlleitung
eines Fax-Schreibens
2. Hat die Strafvollstreckungskammer im Widerrufsverfahren gem. § 56 f
StGB dem Verurteilten im Anhörungstermin zur Erfüllung einer
Zahlungsauflage eine neue - später noch verlängerte - Frist gesetzt, ist
sie gehindert, nach Fristablauf ohne er-neute mündliche Anhörung über
den Widerruf zu entscheiden.
Tenor:
1. Dem Verurteilten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde
gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
B. gewährt.
2. Der vorbezeichnete Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur
erneuten Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts B. zurückverwiesen.
Gründe:
1
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
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I.
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Der Beschwerdeführer ist am 18.12.2001 durch das Landgericht K. wegen
schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.
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Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe hat das Landgericht B. durch
Beschluss vom 04.05.2004 die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung
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ausgesetzt und die Dauer der Bewährungszeit auf 4 Jahre festgelegt. Der
Beschwerdeführer ist der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt
und angewiesen worden, mit diesem Kontakt zu halten und ihn über seine
Lebensverhältnisse wahrheitsgemäß zu informieren.
Mit Beschluss vom 24.02.2009 hat die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts B. die Bewährungszeit um ein Jahr auf insgesamt 5 Jahre bis zum
09.05.2009 verlängert und dem Probanden auferlegt, binnen 2 Monaten ab Zugang
des Beschlusses einen Geldbetrag in Höhe von 500,00 Euro an eine
gemeinnützige Einrichtung zu zahlen. Die Zustellung des Beschlusses ist am
26.02.2009 erfolgt.
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Am 27.11.2008 ist der Beschwerdeführer darüber hinaus durch das Landgericht D.
wegen Betruges unter Einbeziehung der Strafen aus dem Strafbefehl des
Amtsgerichts D. vom 20.12.2007 nach Auflösung der dort gebildeten
Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten unter
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. In diesem Verfahren ist ihm
auferlegt worden, zur Schadenswiedergutmachung einen Betrag von 800,00 Euro
in monatlichen Raten von 80,00 Euro, beginnend ab dem 01.05.2009, an die Firma
W. zu zahlen. Der Verurteilte hat lediglich am 20.07.2009 160,00 Euro und am
18.08.2009 80,00 Euro auf diese Auflage gezahlt.
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Wegen der Nichterfüllung der Zahlungsauflagen hat die Strafvollstreckungskammer
am 16.06.2009 und am 27.04.2010 mündliche Anhörungen des Beschwerdeführers
durchgeführt und diesem dabei mitgeteilt, dass bei Nichterfüllung der Auflagen der
Widerruf der Strafaussetzungen, wie von den Staatsanwaltschaften beantragt,
drohe, ihm aber auch weitere Fristen zur Auflagenerfüllung gewährt.
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Der Bewährungshelfer hat mit Schreiben vom 19.04.2010 mitgeteilt, dass der
Beschwerdeführer sich auf die an ihn gerichteten Schreiben seit Juni 2009 nicht
bei ihm gemeldet habe. Die Gerichtshilfe, bei der der Beschwerdeführer auf
Anordnung des Gerichts zur Feststellung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse
vorstellig werden sollte, hat mitgeteilt, der Beschwerdeführer habe sich dort nicht
mehr gemeldet, nachdem er zuvor zwei Mal den vereinbarten Termin verschoben
hätte.
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Nachdem sich bezüglich der von dem Beschwerdeführer Anfang Mai 2010 zum
Nachweis seiner angeblichen Zahlung der Auflagen dem Gericht eingereichten
Umsatzabfrage über Online-Überweisungen durch Nachfrage bei den Empfängern
herausgestellt hatte, dass dort keine Gelder eingegangen sind, hat die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn den Beschwerdeführer mit
Schreiben vom 07.06.2010, abgesandt am 09.06.2010, darauf hingewiesen, dass
er, wenn er nicht innerhalb von zwei Wochen einen ausreichenden Beleg seiner
Bank oder eine entsprechende Bescheinigung seiner Bank vorlege, aus dem sich
ergebe, dass die Überweisungen an die Konten der Geschädigten erfolgt und
Rückbuchungen ausgeblieben seien, mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur
Bewährung zu rechnen habe.
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Hierauf hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23.06.2010 dem Landgericht
B. mitgeteilt, dass die von ihm veranlassten Zahlungen von der Bank
bedauerlicherweise zurückgebucht worden seien, und zugesagt, die Zahlungen bis
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spätestens 29.06.2010 durchzuführen.
Die Kindernothilfe hat mit Schreiben vom 12.07.2010 mitgeteilt, dass bislang
weiterhin keine Zahlung erfolgt sei.
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Daraufhin hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. ohne erneute
Anhörung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 27.07.2010 die
Reststrafenaussetzung zur Bewährung aus dem Beschluss der Kammer vom
24.02.2009 und die Aussetzung zur Bewährung bezüglich der
Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts D. vom 27.11.2008
widerrufen.
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Nach Zustellung des Beschlusses an ihn am 30.07.2010 hat der Verurteilte mit an
das Landgericht B. adressierten Faxschreiben vom 06.08.2010 sofortige
Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 27.07.2010
eingelegt. Das Faxschreiben trägt einen Eingangsstempel der Staatsanwaltschaft
B. vom 09.08.2010 und ist am Folgetag per Fax an das Landgericht B.
weitergeleitet worden. Das Original des Beschwerdeschreibens ist ausweislich des
Eingangstempels auf der dem Schreiben beigefügten Kontoumsatzabfrage am
09.08.2010 bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen.
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Zur Begründung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, er habe die ihm auferlegten
Auflagen, Zahlung einer Spende an die Kindernothilfe in Höhe von 500,00 Euro
und Restzahlung an das Immobilien Büro W. in Höhe von 480,00 Euro, am
13.07.2010 in vollem Umfang erfüllt und entsprechende Umsatzabfragen über
Online-Überweisungen beigefügt.
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Das Oberlandesgericht Köln hat auf den entsprechenden Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft Köln die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom
23.09.2010 – 2 Ws 607-608/10 – als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt, das Rechtsmittel sei nicht innerhalb der nach § 311
Abs. 2 S 1.Hs. StPO bestimmten Wochenfrist bei dem Gericht, dessen
Entscheidung angefochten werde (§ 306 Abs. 1 StPO), eingegangen. Vielmehr sei
das Schriftstück bei der Staatsanwaltschaft Bonn eingegangen. Für den Fall der
Einreichung eines Schriftstücks bei einem unzuständigen Gericht oder hier bei der
Staatsanwaltschaft komme es für die Frage der Fristwahrung darauf an, dass es
dem zuständigen Gericht noch innerhalb der Frist zugehe, was hier nicht erfolgt sei.
Eine Weiterleitung durch die Staatsanwaltschaft Bonn noch an demselben Tag
habe wegen des Eingangszeitpunktes von 16:45 Uhr, der weit nach Dienstschluss
liege, nicht mehr erwartet werden können. Eine Wiedereinsetzung in den
vorherigen Stand von Amts wegen käme daher nicht in Betracht.
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Gegen diesen Beschluss, der am 29.09.2010 an den Beschwerdeführer auf den
Postweg gebracht worden ist, hat der Beschwerdeführer durch anwaltliches
Schreiben vom 08.10.2010, per Faxschreiben am selben Tage dort eingegangen,
beim Landgericht Bonn bezüglich der Frist zur Einlegung der sofortigen
Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt sowie zugleich
sofortige Beschwerde gegen den landgerichtlichen Beschluss vom 27.07.2010
eingelegt und die Beiordnung seiner Rechtsanwältin als Pflichtverteidigerin
beantragt.
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Den Wiedereinsetzungsantrag hat er im Wesentlichen damit begründet, er habe
aus seiner Sicht alles getan, um die Frist zu wahren, so dass deren Versäumung
unverschuldet gewesen sei. Er habe die sofortige Beschwerde an die auf dem
Anschreiben des Landgerichts B. genannte Telefax-Nummer übermittelt und diese
auch angewählt. Zur Glaubhaftmachung hat der Beschwerdeführer einen Ausdruck
des Fax-Journals seines Fax-Gerätes beigefügt, aus dem sich die mit "OK"
bestätigte Übertragung eines Faxes von 3 Seiten an die Nummer des Landgerichts
B. am 06.08.2010 um 16.44 Uhr ergibt. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der
richtigen Fax-Nummer sowie des bestätigten Sendevorgangs nicht bemerken
können, dass das Fax möglicherweise nicht korrekt übermittelt worden sei. Wie das
Fax bei der Staatsanwaltschaft habe eingehen können, sei für ihn nicht
nachvollziehbar. Dies müsse an einer technischen Fehlleitung liegen, die nicht in
seinem Verantwortungsbereich gelegen habe.
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Erst durch den ihm am 02.10.2010 zugegangenen Beschluss des
Oberlandesgerichts Köln habe er erfahren, dass er sein, die sofortige Beschwerde
enthaltendes Schreiben fehlerhaft an die Staatsanwaltschaft übermittelt haben soll.
Zur Glaubhaftmachung des Zugangsdatum hat er die Ablichtung des an ihn
gerichteten Briefes beigefügt, wonach der Poststempel auf den 30.09.2010 datiert.
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Im Hinblick auf die sofortige Beschwerde hat der Beschwerdeführer auf seine
Ausführungen des Schreibens vom 06.08.2010 Bezug genommen und - erstmalig -
ergänzend ausgeführt, dem Landgericht B. mit Schreiben vom 15.07.2010 die
Erfüllung der Auflagen unter Beifügung eines Kontoauszuges der Kreissparkasse
D. angezeigt zu haben. Dieses Schreiben, welches er in Kopie beigefügt hat, habe
der Strafvollstreckungskammer bei ihrer Widerrufsentscheidung offensichtlich nicht
vorgelegen. Er ist der Auffassung, die Voraussetzungen für den Widerruf hätten mit
der erfolgten Auflagenerfüllung zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses nicht
mehr vorgelegen.
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Die beantragte Pflichtverteidigerbeiordnung schließlich hat er mit der Höhe der zu
verbüßenden Reststrafe von insgesamt über einem Jahr begründet.
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Die Kindernothilfe hatte zwischenzeitlich mit Schreiben vom 02.08.2010 mitgeteilt,
die Auflage in Höhe von 500,00 Euro sei am 14.07.2010 gezahlt worden. Eine
Mitteilung der Firma Walther über den vollständigen Zahlungseingang ist den
Vorgängen nicht zu entnehmen.
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In dem Fax-Journal der Geschäftsstelle des Landgerichts B. ist der Eingang eines
3-seitigen Faxes von der Fax-Nummer des Beschwerdeführers am 06.08.2010 um
16:49 Uhr mit "OK" verzeichnet.
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II.
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1. Dem Betroffenen ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff. StPO)
gegen
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die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren.
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Dabei kann offen bleiben, ob die sofortige Beschwerde am 06.08.2010 beim
Landgericht B. und damit rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist nach § 311 Abs. 2
StPO bei dem zutreffenden Gericht nach § 306 Abs. 1 StPO eingegangen ist - wie
es sowohl das Fax-Journal der Geschäftsstelle des Landgerichts B. als auch das
Fax-Protokoll des Beschwerdeführers nahelegen - und das Faxschreiben offenbar
aufgrund eines Büroversehens nicht zum Bewährungsheft genommen sondern an
die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde, wo es dann den Eingangsstempel
vom 09.08.2010 erhielt. Denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen für die
Wiedereinsetzung auch für den Fall des Faxeingangs bei der Staatsanwaltschaft
vor. Der den Wiedereinsetzungsantrag begründende Schriftsatz der Verteidigerin
vom 08.10.2010 enthält genügend glaubhaft gemachte Angaben über die – aus der
Sicht der Verteidigung nicht – versäumte Frist, das fehlende Verschulden sowie die
(erneute) Erklärung, dass sofortige Beschwerde eingelegt werde.
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Zum Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthält der Schriftsatz die Angabe,
der Beschwerdeführer habe erst mit dem Zugang des Beschlusses des
Oberlandesgerichts Köln bei ihm am 02.10.2010 erfahren, dass er sein, die
sofortige Beschwerde enthaltendes Schreiben fehlerhaft an die Staatsanwaltschaft
übermittelt haben soll. Zur Glaubhaftmachung hat er den mit Poststempel vom
30.09.2010 versehenen Briefumschlag, mit dem der Beschluss des
Oberlandesgerichts übersendet wurde, beigefügt. Unter Zugrundelegung der
Maßstäbe der Post-Universal-Dienstverordnung und des § 270 Satz 2 ZPO, die
von einer Postlaufzeit von höchstens zwei Tagen ausgehen, ist der Wegfall des
Hindernisses binnen einer Woche vor dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand vom 08.10.2010 ersichtlich. Darüber hinaus wäre dem Betroffenen
gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren.
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2. Die damit im Sinne von § 306 Abs. 1 StPO und § 311 Abs. 2 StPO form- und fristge
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recht eingelegte sowie gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthafte sofortige Be
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schwerde hat auch in der Sache – zumindest vorläufig - Erfolg.
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Die angefochtene Entscheidung leidet an einem im Beschwerderechtszug nicht
behebbaren Verfahrensmangel. Die Strafvollstreckungskammer hat die Vorschrift
des § 453 Abs. 1 StPO teilweise nicht beachtet
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Der Widerrufsbeschluss der Strafvollstreckungskammer stützt sich auf die
Vorschrift des § 56f Abs. 1 Nr. 3 StGB. Danach widerruft das Gericht die
Strafaussetzung, wenn der Verurteilte gegen Auflagen gröblich und beharrlich
verstößt. Zwar dürften die Voraussetzungen für einen Widerruf nach dieser
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Vorschrift vorliegend schon seit längerer Zeit vorgelegen haben.
Jedoch soll nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO das Gericht, wenn es über einen
Widerruf der Strafaussetzung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen oder
Weisungen zu entscheiden hat, dem Verurteilten zuvor Gelegenheit zur
mündlichen Anhörung geben. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen
werden, dass der Verurteilte beachtenswerte Gründe für die Nichterfüllung haben
kann, aber nicht in der Lage ist, diese Gründe in einer das Gericht überzeugenden
Weise schriftlich darzustellen. Das Gesetz will damit von vornherein der Gefahr
begegnen, dass schwerwiegende Widerrufsentscheidungen ohne zureichende
Tatsachengrundlage ergehen. Die Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet dem
Gericht lediglich die Möglichkeit, von der grundsätzlich zwingend gebotenen
mündlichen Anhörung aus schwerwiegenden Gründen abzusehen (OLG
Düsseldorf, NStE Nr. 13 zu § 453 StPO; Thüringer OLG vom 18.04.2005, 1 Ws
128/05, zitiert nach juris).
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Hier hat das Landgericht den Verurteilten zwar am 27.04.2010 zu dem ihm
angelasteten Auflagenverstoß mündlich angehört. In diesem Termin hat das
Landgericht jedoch eine neue Frist zur Erfüllung der Zahlungsauflagen festgesetzt.
Ein Widerruf nach § 56f Abs. 1 Nr. 3 StGB setzte damit voraus, dass der Verurteilte
jedenfalls auch im neu festgesetzten Zeitraum zur Erfüllung der
Bewährungsauflage gegen diese gröblich oder beharrlich verstößt (Thüringer OLG
vom 15.02.2008, 1 Ws 49/08, zitiert nach juris).
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Zwar hat die Strafvollstreckungskammer durch Anfragen bei den
Zahlungsempfängern festgestellt, dass diesen entgegen der vom
Beschwerdeführer zur Akte gereichten Umsatzübersichten seines Kontos die
Zahlungen nicht gutgeschrieben wurden, weil seine Bank – wie der
Beschwerdeführer später erklärt hat – Rückbuchungen veranlasst hatte. Die
Strafvollstreckungskammer hat allerdings daraufhin dem Beschwerdeführer mit
Schreiben vom 07.06.2010 eine erneute weitere Frist von zwei Wochen zur
Zahlung und zum Nachweis darüber gewährt.
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Unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze war deshalb der von der
Strafvollstreckungskammer geübte Verzicht auf eine Anhörung vor dem Widerruf
rechtsfehlerhaft, weil ein solcher Verzicht der gesetzlichen Regelung des § 453
Abs. 1 Satz 3 StPO widersprach. Die Strafvollstreckungskammer war von Gesetzes
wegen gehindert, ausschließlich nach Aktenlage zu entscheiden. Dies galt
vorliegend umso mehr, als der Verurteilte mit Schreiben vom 23.06.2010
angekündigt hatte, die Zahlungen nunmehr bis zum 29.06.2010 vorzunehmen.
Eine andere Wertung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass einer der
Auflagenempfänger, die Kindernothilfe, zu den Akten mitgeteilt hat, bis zum
12.07.2010 – mithin deutlich nach dem vom Beschwerdeführer als Zahlungstermin
angegebenen Zeitpunkt – keine Zahlung erhalten zu haben. Dem Verurteilten
selbst wurde von der Strafvollstreckungskammer vor der Widerrufsentscheidung
nicht nochmals Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
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Zwar handelt es sich bei der Vorschrift des § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO um eine
Sollvorschrift, jedoch führt dies regelmäßig zu einer Ermessensreduzierung auf
Null, wenn und soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine mündliche
Anhörung des Verurteilten zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen wird (LR-
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Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 453, Rdn. 16). Da dies regelmäßig der Fall
sein dürfte, ist die mündliche Anhörung zwingend, es sei denn, dem stünden
schwer wiegende Gründe im Einzelfall entgegen oder sie verspräche keine weitere
Aufklärung (zu vgl. OLG München vom 05.12.2007 – 3 Ws 672/07, zitiert nach Beck
Online; LR-Graalmann-Scheerer, a.a.O., Rdn. 16; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl.,
§ 453, Rdn. 7). Die Strafkammer konnte jedoch insbesondere nicht davon
ausgehen, eine Anhörung verspreche keine weitere Aufklärung mehr. Wäre die
Anhörung erfolgt, so hätte der Beschwerdeführer berichtet, dass er die Zahlungen
bereits am 13.07.2010, mithin zwei Wochen vor dem Zeitpunkt der
Widerrufsentscheidung, veranlasst hatte. Die fehlende – erneute mündliche –
Anhörung kann auch nicht etwa deshalb unterbleiben, weil bereits eine Anhörung
stattgefunden hat, wenn diese länger zurück lag (zu vgl. LR-Graalmann-Scheerer,
a.a.O., Rdn. 20). Vorliegend lag bei der Entscheidung über den Widerruf die
mündliche Anhörung schon drei Monate zurück. In diese Zeit fiel der aufgrund der
Rückbuchung gescheiterte Zahlungsversuch des freiberuflich tätigen
Beschwerdeführers, dessen Zahlungsfähigkeit vor diesem Hintergrund zu erörtern
gewesen wäre. Auch war die mündliche Anhörung nicht etwa deswegen
entbehrlich, weil der Beschwerdeführer zuvor gemachte Zusagen über die
Auflagenerfüllung mehrfach nicht eingehalten hatte. Diese hätten zwar
möglicherweise einen Widerruf der Strafaussetzung zu den jeweiligen Zeitpunkten
begründen können, was indes nicht erfolgt ist. Mit der Gewährung einer erneuten
Frist hat das Gericht jedenfalls – wie oben ausgeführt - dem Verurteilten eine
erneute Gelegenheit zur Auflagenerfüllung gegeben, die wiederum das
Widerrufsverfahren mit all seinen Voraussetzungen neu in Gang gesetzt hat.
Die Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Anhörung stellt einen
schwerwiegenden Verfahrensmangel dar, der zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer führt
(OLG Düsseldorf, StV 1987, 257; OLG München, a.a.O.; LR-Graalmann-Scheerer,
a.a.O., Rdn. 44; Meyer-Goßner, a.a.O., § 453, Rdn. 15).
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Bei dieser Entscheidung wird nicht nur die inzwischen erfolgte Auflagenerfüllung zu
berücksichtigen sein, sondern auch der Umstand, dass die Bewährungszeit in der
Sache xy LG B. bei einer Verlängerungsmöglichkeit von lediglich einem Jahr bereits
seit eineinhalb Jahren abgelaufen ist.
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Im Übrigen erfordert die Feststellung eines Verstoßes gegen eine Zahlungsauflage
stets
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die Prüfung der Zahlungsfähigkeit des Verurteilten; eine Prüfung, die die
Strafvollstre
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ckungskammer mit einem entsprechenden Auftrag an die Gerichtshilfe auch zunächst
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eingeleitet, dann aber nicht weiter verfolgt hat. Erforderlich sind dabei ausreichende
Fest
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stellungen, dass der Verurteilte überhaupt zur Erfüllung der Auflage in der Lage war
(vgl.
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OLG Hamm, StV 1993, 259; OLG Düsseldorf, StV 1995, 595; Fischer, StGB, 57.
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Auflage,
§ 56 f Rdn. 12)."
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Dem stimmt der Senat zu. Er merkt allerdings an, dass aus seiner Sicht aufgrund der
korrespondierenden Fax-Journale des Beschwerdeführers einerseits sowie des
Landgerichts Bonn andererseits (Bl.333, 343) feststeht, dass das Rechtsmittel des
Beschwerdeführers bei dem nach § 306 Abs. 1 StPO zuständigen Gericht eingelegt
worden ist. Der Umstand, dass das Rechtsmittel nach dem Sendebericht Bl. 296 am
6.8.2010 etwa zur gleichen Tageszeit auch bei der Staatsanwaltschaft B. eingegangen
ist, deutet auf einen möglicherweise auch technisch bedingten Übermittlungsfehler hin,
dessen Ursache nachzugehen sein wird.
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Über den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers hat der Senat durch seine
Vorsitzende mit Beschluss vom 18.11.2010 entschieden.
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