Urteil des OLG Köln vom 09.11.2004
OLG Köln: schulausbildung, leistungsfähigkeit, unterhalt, verwirkung, schule, auflage, tierarzt, anhörung, prozess, arbeitslosenhilfe
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 4 UF 90/04
09.11.2004
Oberlandesgericht Köln
4. Zivilsenat
Urteil
4 UF 90/04
Amtsgericht Bonn, 42 F 107/03
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17. 2. 2004 verkündete Urteil
des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn - 42 F 107/03 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Beklagten hat
auch in der Sache Erfolg.
Im Ergebnis zu Recht wehrt sich die Beklagte gegen die Annahme des Familiengerichts,
dass ihr der Kläger seit August 2002 deswegen keinen Ausbildungsunterhalt mehr schulde,
weil sie nicht ernsthaft und beharrlich einer ordentlichen Schulausbildung nachgehe und
ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten massiv verletzt habe.
Der Beklagten steht derzeit gegen den Kläger noch Ausbildungsunterhalt gemäß §§ 1603
Abs. 2 Satz 2, 1610 BGB jedenfalls in der titulierten Höhe zu. Der Verwirkungseinwand des
Klägers ist zur Zeit noch unberechtigt. Zwar scheitert der Einwand jedenfalls bis November
2003 nicht allein schon daran, dass die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt noch zu den
privilegierten Volljährigen gehörte. Der Ausschluss von Einwendungen gegenüber
Minderjährigen wirkt nämlich nicht gegenüber gleichgestellten volljährigen Schülern, auch
wenn sie nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB noch privilegiert sind, so dass der
barunterhaltspflichtige Elternteil seine Zahlungen einstellen kann, wenn das Kind nicht
wirklich die Schulausbildung wahrnimmt (vgl. Palandt-Diedrichsen, BGB, 63. Auflage 2004,
§ 1611 BGB, Rn 9, 10). Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Nach Anhörung der
Beklagten in der mündlichen Verhandlung und Vorlage des letzten Abschlusszeugnisses
für die 11. Klasse, ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte zwar keine
sehr erfolgreiche Schülerin ist, dass sie aber dennoch in der Vergangenheit ernsthaft die
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Schule besucht hat, um den allgemeinen Schulabschluss zu erreichen. Zwar ist nicht zu
verkennen, dass die Zeugnisse der Beklagten fast durchweg darauf hinweisen, dass die
Beklagte sich intensiver um ihre Schulausbildung kümmern müsse. Andererseits ergeben
sich aus den Zeugnissen keine überdurchschnittlichen Fehlzeiten, die ein Indiz dafür sein
könnten, dass die Beklagte lediglich noch "pro forma" die Schule besucht, tatsächlich aber
einer anderen (Erwerbs)Tätigkeit nachgeht. Auch soweit der Kläger der Beklagten vorwirft,
sie habe ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten ganz massiv verletzt, führt dies nicht zu
einer Verwirkung des Ausbildungsunterhaltes nach §1611 BGB ( vgl. Palandt-
Diederichsen, a.a.O., § 1611 Rn 6 ).
Jedoch kann der Schüler den Ausbildungsunterhalt auch verwirken, ohne dass die
Voraussetzungen des § 1611 vorzuliegen brauchen. Der Unterhaltsberechtigte hat nämlich
gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten gemäß § 1610 BGB die Obliegenheit, mit
entsprechend disziplinierter Arbeit das Ausbildungsziel zu erreichen. Dazu gehört, dass er
die lehrplanmäßigen Studienveranstaltungen absolviert, was dem Unterhaltsverpflichteten
gegenüber durch Vorlage von Zeugnissen zu belegen ist. Entspricht das Leistungsbild dem
nicht oder bestehen zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten größere Lücken,
entfällt der Unterhaltsanspruch (vgl. hierzu Palandt-Diederichsen, a.a.O. § 1610 Rn. 23).
Grundsätzlich wird aber bis zum Abschluss der Regelschule Ausbildungsunterhalt
geschuldet. Bei Verzögerungen und Unterbrechungen dieser Ausbildung ist entscheidend,
in wessen Risikosphäre sie fallen. Bei Schulversagen ist auf den Einzelfall abzustellen.
Einmaliges Sitzenbleiben reicht z. B. nicht aus, um von einer Obliegenheitsverletzung des
Schülers auszugehen.
Auch wenn die Schulkarriere der Beklagten bisher unbestreitbar nicht gerade sehr
erfolgreich verlaufen ist, kann man nach Auffassung des Senates die Beklagte noch nicht
als endgültige Schulversagerin betrachten. Die Beklagte hat nunmehr endlich die 11.
Klasse erfolgreich abgeschlossen. Sie hat sich damit die Gelegenheit bewahrt, ihren
allgemeinen Schulabschluss zu machen. Der Kläger bestreitet zwar, dass die von der
Beklagten gewählte Schulausbildung zur allgemeinen Schulausbildung zählt. Die Beklagte
hat jedoch bei ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung für den Senat überzeugend
dargelegt, wie sich die Schulausbildung in Portugal gestaltet. Danach endet die allgemeine
Schulausbildung mit dem erfolgreichen Abschluss der 12. Klasse. Hieran schließt sich
entweder die Berufsausbildung oder die Vorbereitung zu einem Hochschulstudium an. In
den letzten Schuljahren erfolgt eine Spezialisierung im Kurssystem. Die Beklagte hat hier
den künstlerischen Zweig gewählt, ohne dass dies den Charakter des Schulabschlusses
ändern würde. Allein spätere Studienmöglichkeiten werden beschränkt. In dieser Situation
erscheint es vorrangig, dass die Beklagte die Chance wahr nehmen kann, zunächst ihre
allgemeine Schulausbildung zu beenden. Die Erfolgsaussichten erscheinen dem Senat
nicht von Vorneherein aussichtslos. Auch wenn die Beklagte wiederholt in ihren
schulischen Leistungen versagt hat, darf nicht verkannt werden, dass die Beklagte sicher
nicht ideale Bedingungen während der Schulzeit vorgefunden hat. Berücksichtigt man u. a.
den Umstand, dass die Beklagte weit gehend im Ausland groß worden ist und in einer
fremden Sprache, die sie erst erlernen musste, unterrichtet wird, sind gewisse Defizite
erklärlich und eher hinnehmbar. Bezeichnenderweise ist gerade in den letzten Jahren mit
zunehmender Intensivierung und steigendem Schwierigkeitsgrad der Ausbildung der
Einbruch erfolgt. Bis zur 9. Klasse kann die schulische Entwicklung noch als normal
bezeichnet werden. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass die finanzielle Situation der
Beklagten und ihrer Mutter eher bescheiden ist und die Beklagte, wie sie in der mündlichen
Verhandlung erläutert hat, mit zunehmendem Alter gehalten war, zumindest in den Ferien
sich etwas hinzuzuverdienen. Nach Auffassung des Senates verdient die Beklagte eine
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letzte Chance, ihre Schulausbildung abzuschließen. Ob sie danach noch einen
Ausbildungsunterhaltsanspruch etwa zur Durchführung eines Kunststudiums gegenüber
dem Kläger hat, kann abschließend noch nicht beurteilt werden. Es wird abzuwarten sein,
wie die Beklagte ihren Schulabschluss macht und welche Qualifikationen sie für ein
eventuelles Studium aufweisen kann. Die bisherige Schulkarriere der Beklagten spricht
jedoch eher gegen eine weitere akademische Ausbildung der Beklagten.
Der Senat hält es unter den gegebenen Umständen auch nicht für gerechtfertigt, den
Unterhaltsanspruch der Beklagten deswegen als verwirkt anzusehen, weil sie den Kläger
nicht in der gehörigen Weise über ihren Ausbildungsgang und -stand ausreichend
informiert hat. Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist seit längerem gespannt, ohne
dass man hierfür einseitig allein die Beklagte verantwortlich machen könnte. Hinzu kommt
die große räumliche Trennung. Schließlich stritten sich die Kindesmutter und der Kläger
über Jahre hinweg über die Höhe der Unterhaltsschuld des Klägers. Berücksichtigt man
weiter, dass der Kläger die letzten Jahre lediglich knapp 50 % des untersten
Tabellensatzes der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle gezahlt hat, so erscheint es dem
Senat nicht angemessen, die Obliegenheitsverletzung der Beklagten als so schwer zu
betrachten, dass die vollständige Verwirkung des Unterhaltsanspruches gerechtfertigt
wäre. Jedenfalls schuldet der Kläger den durch die Jugendamtsurkunde tenorierten
Unterhalt.
Die Leistungsfähigkeit des Klägers ist nach Auffassung des Senates nicht zweifelhaft.
Noch in der Berufungserwiderung hat der Kläger eingeräumt, der Beklagten "allenfalls den
Mindestunterhalt" zu schulden. Konkrete Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen
macht er nicht. Allerdings ist der Kläger seit 2002 arbeitslos und bezog 2002 ein
monatliches Arbeitslosengeld von rund 1.508,00 EUR ( vgl. Blatt 274 GA ), 2003 ein
solches von rund 1.494,00 EUR ( vgl. Blatt 5 GA ) und 2004 monatliche Arbeitslosenhilfe
von 1.278,00 EUR ( Blatt 277 GA ). Der Kläger hat keine Bewilligung von
Prozesskostenhilfe beantragt, muss also über genügend Mittel verfügen, um den Prozess
finanzieren zu können.
Der Kläger macht auch keine konkreten Aussagen dazu, welche Bemühungen er
unternommen hat, um wieder eine Arbeit als Tierarzt zu finden. Der Hinweis auf seine
Krankheiten erscheint dem Senat nicht ausreichend, um damit plausibel erklären zu
können, dass er mehr als drei Jahre gehindert war, eine Arbeit als Tierarzt wieder
aufzunehmen. Die recht pauschalen Ausführungen des Klägers in seinen nicht
nachgelassenen Schriftsätzen vom 6.10.2004 ( Blatt 287 f GA ) und vom 11.10.2004 ( Blatt
291 ff GA ) rechtfertigen nicht den Schluss, der Kläger sei über Jahre hinweg durchgängig
arbeitsunfähig krank gewesen. Aufgrund der Höhe der bisherigen Arbeitslosengeld- bzw.
Arbeitslosenhilfebezüge braucht der Senat aber nicht zu entscheiden, ob dem Kläger ein
seine Leistungsfähigkeit rechtfertigendes Erwerbseinkommen fiktiv zuzurechnen ist. Denn
der Kläger ist schon aufgrund der im hier fraglichen Zeitraum erhaltenen
Arbeitslosenunterstützung in der Lage, den titulierten Unterhalt in Höhe von 154,41 EUR
monatlich zu zahlen, der weniger als 50 % des untersten Tabellenbetrages der
Düsseldorfer Tabelle in der jeweils gültigen Fassung beträgt. Damit verbleibt dem Kläger in
jedem Fall ein Betrag, der über dem ihm ab November 2003 zu belassenden
angemessenen Selbstbehalt liegt. Für die Zeit davor - die Beklagte ist am 24.11.2003 21
Jahre alt geworden - ist der Kläger auf den Mindestselbstbehalt zu verweisen. Einen
Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sieht der Senat nicht.
Soweit der Kläger nunmehr in seinen nicht nachgelassenen Schriftsätzen darauf hinweist,
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dass er einer weiteren, jetzt 17 Jahre alten Tochter unterhaltspflichtig ist, gibt auch dieser
Vortrag dem Senat keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.
Zwar wäre die Tochter M gegenüber der Beklagten ab November 2003 vorrangig
unterhaltsberechtigt. Die Leistungsfähigkeit des Klägers würde dies aber nur betreffen,
wenn der Kläger seiner Tochter auch tatsächlich Unterhalt zahlt bzw. diese eine titulierte
Unterhaltsforderung gegenüber ihrem Vater, dem Kläger, hätte. Hierüber schweigt aber der
Vortrag des Klägers, so dass seine Einlassung gegenüber dem schlüssig vorgetragenen
Unterhaltsanspruch der Beklagten unerheblich ist.
Die Beklagte hat dargetan, dass ihre Mutter nicht leistungsfähig ist. Sie hat deren
Einkommens- und Vermögensverhältnisse dargelegt. Soweit der Kläger diese Angaben
bestreitet, kann dies nicht zu Lasten der Beklagten gehen, die alles ihr Zumutbare getan
hat, um die finanziellen Verhältnisse ihrer Mutter zu erforschen. Der Beklagten ist nicht
zuzumuten, gegen ihre Mutter vor Inanspruchnahme des Klägers einen Unterhaltsprozess
zu führen. Soweit der Kläger die gegenüber der Beklagten gemachten Angaben der
Kindesmutter zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen bezweifelt, kann er seinen
vermeintlichen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch gegen die Kindesmutter geltend
machen ( Vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des
Unterhalts, 9. Auflage 2004, Rn 925 ) .
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist begründet aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.