Urteil des OLG Köln vom 09.07.2004
OLG Köln: firma, lege artis, vereinfachtes verfahren, verbraucherschutz, bundesamt, markt, auskunftserteilung, sicherheitsleistung, verpackung, abrede
Oberlandesgericht Köln, 6 U 48/04
Datum:
09.07.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 48/04
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 15. Januar 2004 verkündete
Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn - 14 O
120/03 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, soweit nicht der im Tenor der
angefochtenen Entscheidung unter Ziffer 3. titulierte
Schadenersatzfeststellungsanspruch in Rede steht.
Die Beklagte darf die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheitsleistung
beträgt hinsichtlich des in Ziffer 1. des angefochtenen Urteils titulierten
Unterlassungsanspruchs 50.000,00 EUR, hin-sichtlich des in Ziffer 2.
titulierten Auskunftsanspruchs 10.000,00 EUR und im übrigen 120% des
zu vollstreckenden Betrages.
Beiden Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch
schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft
eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts zu
erbringen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
B e g r ü n d u n g :
1
I.
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Die Klägerin, ein im Bereich des Handels mit Pflanzenschutzmitteln tätiges deutsches
Tochterunternehmen eines israelischen Generika-Herstellers, ist Inhaberin der das
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Pflanzenschutzmittel "H. WG" betreffenden Zulassung Nr. xxxxxx-xx für den Bereich der
Bundesrepublik Deutschland. Es wird hier durch die Firma Feinchemie T. GmbH mit
Firmensitz in F. veräußert. Beide Unternehmen gehören der N. B.-Gruppe an.
Ausweislich der Zulassungsunterlagen ist das Pflanzenschutzmittel den
Herstellerangaben entsprechend mit einem Wirkstoffgehalt von 710 g/kg Metamitron
zugelassen worden. Auf der Produktverpackung ist der Wirkstoffgehalt allerdings davon
abweichend mit "700 g/kg" angegeben. Die Formulierung ist "wasserdispergierbares
Granulat".
Die Beklagte vertreibt ebenfalls Pflanzenschutzmittel. Aus einem Land der
Europäischen Gemeinschaft hat sie ein Pflanzenschutzmittel importiert und hier unter
der Handelsbezeichnung "S. Metamitron 700 g/kg WG" (im folgenden auch kurz als
"Metamitron" bezeichnet) im Markt angeboten, und zwar unter Hinweis auf die amtliche
Zulassungsnummer xxxxxx-xx der Klägerin. Auf der Produktverpackung ist der
Wirkstoffgehalt ebenso wie bei dem Produkt der Klägerin mit "700 g/kg" angegeben. In
der Produktbeschreibung heißt es, dieses Pflanzenschutzmittel sei aus einem EU-
Mitgliedsstaat nach Deutschland eingeführt worden und stimme in seiner chemischen
Formulierung und in seiner Wirksamkeit mit dem in Deutschland zugelassenen
Pflanzenschutzmittel überein, das die vorgenannte Zulassungsnummer trage.
Metamitron sei chemisch identisch mit (Bayer) H. 700 WG.
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Die Klägerin hat die Beklagte mit der Begründung, der chemischen Zusammensetzung
nach seien "H. WG" einerseits und "Metamitron" andererseits keineswegs identisch, auf
Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadenersatzfeststellung in Anspruch
genommen. Sie hat hierzu behauptet, sie habe am 04.04.2003 einen Testkauf
durchgeführt, eine bestimmte Menge "Metamitron" erworben und dieses Mittel bei der
Firma T. T. Laboratorium für Auftragsanalytik GmbH in L. (in folgenden auch als "Firma
T." bezeichnet) untersuchen lassen. Nach dem als Anlage K 6 zur Klageschrift zu den
Akten gereichten Analysebericht der Firma T., auf den wegen der Einzelheiten
verwiesen wird, stehe fest, dass die in Rede stehenden Pflanzenschutzmittel nicht
identisch seien. Namentlich übersteige die Abweichung im Wirkstoffgehalt bei dem von
der Beklagten vertriebenen Produkt die zulässigen Toleranzgrenzen, zudem weise der
Wirkstoff zulassungsrelevante Verunreinigungen auf. Darüber hinaus seien bei dem
Pflanzenschutzmittel "S. Metamitron 700 g/kg WG" Formulierungsstoffe verwendet
worden, die von der zugelassenen Formulierung abwichen.
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Die Klägerin hat beantragt,
6
die Beklagte zu verurteilen,
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1.
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es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise
Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft an
ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre
nicht übersteigen darf, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des
Wettbewerbs im Bereich der Bundesrepublik Deutschland das
Pflanzenschutzmittel mit der Handelsbezeichnung "S. Metamitron 700 g/kg WG"
unter Hinweis auf die amtliche Zulassungsnummer xxxxxx-xx in den Verkehr zu
bringen und wie nachstehend zu bewerben:
9
2.
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ihr - der Klägerin - Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die
vorstehend in Ziffer 1. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter
Angabe der Art, des Zeitraumes und der Anzahl der veräußerten
Pflanzenschutzmittel, und
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3.
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen, der
ihr durch die vorstehend zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und
künftig noch entstehen wird.
13
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat den Testkauf und die Untersuchung ihrer Ware durch die Firma T. mit
Nichtwissen bestritten und die Behauptung mangelnder Identität in Abrede gestellt.
Insoweit hat sie auf einen in ihrem Auftrag erstellten Prüfbericht der Firma J. GmbH &
Co. L. KG (im folgenden auch kurz als "Firma J." bezeichnet) Bezug genommen, der
sich auf Bl. 22 ff. d.A. befindet und auf den wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen
wird. Nach diesem Prüfbericht handele es sich um vergleichbare metamitronhaltige
wasserdispergierbare Granulate (WG), deshalb sei von der Identität der Produkte
auszugehen.
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Das Landgericht hat die Zeugen I., U. und C. zu den von der Beklagten mit Nichtwissen
bestrittenen Behauptungen der Klägerin vernommen und die Beklagte alsdann
antragsgemäß zur Unterlassung und Auskunftserteilung verurteilt. Außerdem hat es die
grundsätzliche Schadenersatzverpflichtung der Beklagten festgestellt. Zur Begründung
seiner Entscheidung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 128 ff. d.A.),
hat es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne von der Beklagten gem. § 1 UWG
in Verbindung mit § 11 Abs. 1 S. 1 des Pflanzenschutzgesetzes (im folgenden auch:
"PflSchG") den weiteren Vertrieb und die Bewerbung des Pflanzenschutzmittels
"Metamitron" verlangen, weil "H." und "Metamitron" nicht identisch seien und die
Beklagte daher gem. § 11 Abs. 1 S. 1 PflSchG für ihr Pflanzenschutzmittel "Metamitron"
einer Zulassung durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit bedürfe. Die mangelnde Identität ergebe sich aus beiden von
den Parteien zu den Akten gereichten Prüfberichten, und zwar deshalb, weil das
Pflanzenschutzmittel "H. WG" mit einem Wirkstoffgehalt von 710 g/kg Metamitron
zugelassen worden sei, die Firma T. aber bei dem Pflanzenschutzmittel der Beklagten
einen tatsächlichen Gehalt von lediglich 683,4 g/kg und die Firma J. einen solchen von
lediglich 675 g/kg festgestellt habe. Damit liege beim Wirkstoffgehalt eine Abweichung
vor, die die maßgebliche Toleranzgrenze in Anhang VI zur Richtlinie 91/414 EWG lit. C.
2.7.2. übersteige.
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Gegen diese Beurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, stellt allerdings
nicht mehr in Abrede, dass das von der Firma T. untersuchte Pflanzenschutzmittel von
ihr stammt. Sie vertritt die Auffassung, der Begriff "angegeben" im Sinne des
vorerwähnten Richtlinienanhangs VI beziehe sich nicht auf die Wirkstoffmenge, mit
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welcher das Mittel zugelassen sei (hier 710 g/kg), sondern auf die Wirkstoffmenge,
welche auf der Packung (hier: 700 g/kg) angegeben sei. Außerdem rügt sie den
Urteilstenor als zu weitgehend und meint, das ausgesprochene Verbot habe sich
allenfalls auf die streitgegenständliche Charge beziehen können. Im übrigen sei sie zum
Vertrieb des in Rede stehenden Pflanzenschutzmittels jedenfalls deshalb berechtigt,
weil die Landwirtschaftskammer Hannover - das ist zwischen den Parteien unstreitig -
zuvor beschlagnahmte "480 kg S.-Metamitron" mit Schreiben vom 11./12.05.2004 unter
Hinweis darauf freigegeben habe, aufgrund der ihr vorliegenden Identitätsberichte der
Firmen T. und J. sowie eines Untersuchungsergebnisses des Bundesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit seien H. und Metamitron als identisch
anzusehen. Insoweit wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Schriftsatz der
Klägerin vom 02.06.2004 (Bl. 189 f. d.A.) nebst Anlagen verwiesen.
Die Beklagte behauptet, die sichergestellten und dann freigegebenen 480 kg
Metamitron stammten aus derselben Charge Metamitron, die von den Firmen T. und J.
bereits untersucht worden ist. Sie beantragt,
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die angefochtene Entscheidung zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil als richtig. Ebenso wie die Beklagte wiederholt
und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die ebenso
wie die Akten des diesem Rechtsstreit vorauslaufenden einstweiligen
Verfügungsverfahrens 14 O 61/03 LG Bonn = 6 U 94/03 OLG Köln sämtlich Gegenstand
der mündlichen Verhandlung waren. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten
vom 28.06.2004 (Bl. 211 ff. d.A.) hat vorgelegen, ebenso derjenige der Klägerin vom
30.06.2004 (Bl. 230 f. d.A.).
24
II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Vielmehr hat das Landgericht
die titulierte Unterlassungsverpflichtung der Beklagten zu Recht der Vorschrift des § 1
UWG entnommen und die Beklagte darüber hinaus zur Auskunftserteilung verurteilt und
ihre grundsätzliche Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz festgestellt. Das
Berufungsvorbringen der Beklagten gibt dem Senat keine Veranlassung, diese im
Ergebnis und auch in weiten Teilen der Begründung zutreffende Entscheidung des
Landgerichts zu ändern.
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Nach dem unstreitigen Sachvorbringen der Parteien verfügt die Beklagte für das von ihr
in der Bundesrepublik Deutschland vertriebene Produkt "Metamitron" über keine eigene
Zulassung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 04.06.2004 hat die
Beklagte hierzu ausdrücklich vorgetragen, mit Rücksicht auf die dann entstehenden
hohen Kosten habe sie bewusst davon abgesehen, sich an das Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zu wenden und gemäß § 15b PflSchG,
der ein vereinfachtes Verfahren bei vorangegangener anderweitiger Zulassung in einem
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EG-Mitgliedsstaat vorsieht, den Antrag auf Zulassung des Pflanzenschutzmittels
Metamitron zu stellen. Da § 11 Abs. 1 S. 1 PflSchG ausdrücklich bestimmt, dass
Pflanzenschutzmittel in der Formulierung, in der die Abgabe an den Verwender
vorgesehen ist, nur in den Verkehr gebracht oder eingeführt werden dürfen, wenn sie
vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zugelassen sind,
steht außer Frage, dass die Beklagte rechtswidrig handelt, es sei denn, im Streitfall wäre
eine solche Zulassung aus anderem Grunde entbehrlich. Das ist jedoch nicht der Fall.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH WRP 2003, 268 ff.
= GRUR 2003, 243 ff. "Zulassungsnummer III"; BGH WRP 1996, 210 ff. = GRUR 1996,
372 f. = MDR 1996, 814 f. "Zulassungsnummer II" und BGH, BGHZ 126, 270 ff. = GRUR
1994, 832 ff. "Zulassungsnummer I") verstößt derjenige, der ein Pflanzenschutzmittel
entgegen § 11 PflSchG ohne Zulassung in der Bundesrepublik Deutschland vertreibt,
grundsätzlich zugleich auch gegen die Vorschrift des § 1 UWG und hat den weiteren
Vertrieb dieses Pflanzenschutzmittels deshalb zu unterlassen, es sei denn, zwischen
dem importierten, nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittel und einem im Inland
zugelassenen Stoff besteht Identität. Was unter einer solchen Identität zu verstehen ist,
wird allerdings in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Während zum
Beispiel der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urteil vom 19.08.2003 in dem
Rechtsstreit 4 S 1095/02, inzwischen geändert durch Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2004 - 3 C 38/03 -) unter Berufung auf die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 11.03.1999 in der
Rechtssache C - 100/96 "Agrochemicals", Slg. 1999 I, S. 1499) der Auffassung ist, ein in
einem Mitgliedsstaat zugelassenes Pflanzenschutzmittel sei mit einem im Inland
zugelassenen Pflanzenschutzmittel nur dann identisch, wenn neben der Produktidentität
auch, woran es im Streitfall allerdings fehlt, Herstelleridentität gegeben sei, reicht nach
Auffassung des Bundesgerichtshofs bereits die Produktidentität. Der Bundesgerichtshof
hat hierzu in seinen vorgenannten Entscheidungen "Zulassungsnummern I bis III"
ausgeführt, es fehle an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die den Importeur
eines in der Bundesrepublik Deutschland bereits zugelassenen Mittels zwingen könne,
ein eigenes (weiteres) Zulassungsverfahren nach § 12 PflSchG zu betreiben, eine
erneute Prüfung der Zulassung eines Stoffs könne nicht verlangt werden, wenn
Stoffidentität bestehe. Die Darlegungs- und Beweislast für die mangelnde Stoffidentität
treffe den jeweiligen Anspruchsteller und damit im Streitfall die Klägerin. Der
Anspruchsteller müsse gegebenenfalls auch vortragen, dass gegebene und
gegebenenfalls im Wege der Chromatographie nachzuweisende Unterschiede
hinsichtlich des Wirkstoffgehaltes relevant seien (so ausdrücklich der Bundesgerichtshof
in der vorgenannten Entscheidung "Zulassungsnummer III" unter Ziffer II. 2.).
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Im Streitfall kann indes dahinstehen, ob in Bezug auf das importierte Mittel Metamitron
ein selbstständiges Zulassungsverfahren bereits deshalb unumgänglich ist, weil es
unstreitig nicht aus derselben Produktionsstätte stammt und damit die zum Teil
geforderte Herstelleridentität nicht vorliegt. Diese Frage kann offen bleiben, weil
feststeht, dass es bereits an der Produktidentität der sich gegenüberstehenden
Pflanzenschutzmittel fehlt. Zwischen den Parteien ist nunmehr unstreitig, dass die Firma
T. ein Pflanzenschutzmittel untersucht hat, das bei der Beklagten im Wege eines
Testkaufes am 04.04.2003 erworben worden ist. Das untersuchte Pflanzenschutzmittel
Metamitron weist ausweislich des Analyseberichtes der Firma T. einen Wirkstoffgehalt
von 683,4 g/kg auf. Die von der Beklagten mit der Analyse ihres Pflanzenschutzmittels
beauftragte Firma J. hat den Wirkstoffgehalt mit 675 g/kg bestimmt. Unabhängig von der
zwischen den Parteien streitigen Frage, ob allein der Analysebericht der Firma T. lege
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artis erstellt worden ist, weicht der Wirkstoffgehalt von Metamitron gegenüber der von
der Klägerin im Zulassungsverfahren angegebenen Menge "710 g/kg" um 26,6 g/kg
(Analysebericht der Firma T.) bzw. um 35 g/kg (Analysebericht der Firma J.) ab. Diese
Abweichung bezüglich der Wirkstoffmenge zwingt zu der Annahme mangelnder Identität
im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dass es sich
nicht nur um eine irrelevante und damit hinsichtlich der Frage der Identität zu
vernachlässigende Größe handelt, folgt aus Anhang VI (Grundsätze für die Bewertung
und Zulassung) der EG-Richtlinie 91/414/EWG Pflanzenschutzmittelrichtlinie. Dort ist
nämlich unter lit. C. 2. a. "Chemische Eigenschaften" bestimmt, dass die angegebene
und die tatsächliche Wirkstoffmenge in Pflanzenschutzmitteln während der gesamten
Haltbarkeitsdauer bei einer angegebenen Menge von über 500 g/kg in die eine oder
andere Richtung nur in einer Toleranz von 25 g/kg abweichen dürfen. Diese Vorschrift
im Anhang VI zu der vorgenannten Richtlinie richtet sich zwar nicht unmittelbar an die
miteinander im Wettbewerb stehenden Parteien, dient vielmehr dazu, das
Zulassungsverfahren der einzelnen Zulassungsbehörden in den Ländern der
Europäischen Gemeinschaft zu harmonisieren. Wenn es dann in dieser Richtlinie im
Anhang VI heißt, über die gesamte Haltbarkeitsdauer dürfe die angegebene und die
tatsächliche Wirkstoffmenge höchstens um 25 g/kg abweichen, lässt dies aber auch im
Verletzerprozess die Wertung zu, dass bei einer diesen Grenzwert übersteigenden
Abweichung von einer Produktidentität im Rechtssinne nicht (mehr) gesprochen werden
kann. Das in diesem Zusammenhang von der Beklagten vorgetragene Argument, mit
dem Wort "angegebene" Wirkstoffmenge sei nicht die Angabe im Zulassungsverfahren,
sondern die Angabe des Herstellers auf der Produktverpackung gemeint, so dass
maßgebliche Bezugsgröße nicht ein Wirkstoffgehalt von 710, sondern 700 g/kg sei,
überzeugt den Senat aus den mit den Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung
bereits ausführlich erörterten Gründen nicht. Die "angegebene" Wirkstoffmenge, die von
der in dem Pflanzenschutzmittel enthaltenen tatsächlichen Wirkstoffmenge nur um einen
bestimmten Maximalwert abweichen darf, kann sich nur auf das Zulassungsverfahren
beziehen, gerade weil die Richtlinie des Rates vom 15.07.1991 über das
Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln einheitliche Regeln aufstellt, anhand derer
die nationalen Zulassungsbehörden nach Vereinheitlichung von Test- und
Kontrollmethoden und Erstellung einer gemeinschaftlichen Liste der zulässigen
Wirkstoffe die Verkehrsfähigkeit eines bestimmten Pflanzenschutzmittels sicher sollen
beurteilen können. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten führte im übrigen zu der
nicht hinnehmbaren Konsequenz, dass es in das Belieben des jeweiligen Antragstellers
gestellt würde, nach erfolgreichem Zulassungsverfahren die Angabe der Wirkstoffmenge
auf dem Produkt zu verändern und so faktisch die eigenen Angaben im
Zulassungsverfahren zu konterkarieren, wenn es ihm denn gestattet wäre, im
Zulassungsverfahren die Wirkstoffmenge zum Beispiel mit "800 g/kg" anzugeben und
diese Angabe durch die Angabe von "600 g/kg" auf der Verpackung des
Pflanzenschutzmittels zu unterlaufen.
Der Hinweis der Beklagten auf die in Bezug auf die Identität von der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs zum Teil abweichende Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs verhilft ihrem Verteidigungsvorbringen zu dem hiernach aus § 1 UWG
folgenden Unterlassungsanspruch schon deshalb nicht, weil der Europäische
Gerichtshof (Urteil vom 11.09.1999 in der Rechtssache C 100/96, dort insbesondere
Erwägungsgrund 40) im Rahmen der Prüfung des in Art. 30 des EG-Vertrages
verankerten Grundsatzes des freien Warenverkehrs einen Verstoß hiergegen nur für den
Fall in Betracht zieht, dass neben weiteren zu erfüllenden Kriterien Herstelleridentität
besteht, die im Streitfall unstreitig nicht vorliegt.
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Auch die Auffassung der Beklagten, sie handele jedenfalls nicht wettbewerbswidrig im
Sinne des § 1 UWG, weil die Landwirtschaftskammer Hannover ihr mit den aus Bl. 191
und Bl. 193 d.A. ersichtlichen Schreiben vom 11. und 12.05.2004 die Identität der in
Rede stehenden Pflanzenschutzmittel - wie sie meint - "bescheinigt" habe, trifft nicht zu.
Im Grundsatz ist es zwischen den Parteien nicht streitig, dass die
Zulassungsvorschriften des Pflanzenschutzgesetzes Wettbewerbsbezug im Sinne der
neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 02.10.2003, MD
2003, 299, 302 "Krankenkassenzulassung"; BGHZ 150, 343, 347 f. "Elektroarbeiten";
BGH GRUR 2003, 164, 165 = WRP 2003, 262 "Altautoverwertung"; BGH GRUR 2003,
969, 970 = WRP 2003, 1350 "Ausschreibung von Vermessungsleistungen" und BGH
GRUR 2003, 971, 972 = WRP 2003, 1347 "Telefonischer Auskunftsdienst") haben und
dass ein Verstoß gegen sie zugleich eine entsprechende Unterlassungsverpflichtung
aus § 1 UWG zur Folge hat. Danach kommt ein Anspruch aus § 1 UWG in den Fällen, in
denen ein Verhalten gegen ein Gesetz verstößt, nämlich nur, aber auch immer dann in
Betracht, wenn von dem Gesetzesverstoß zugleich eine unlautere Störung des
Wettbewerbs auf dem Markt ausgeht. Deshalb muss anhand einer am Schutzzweck des
§ 1 UWG auszurichtenden Würdigung des Gesamtcharakters des Verhaltens geprüft
werden, ob diesem durch den Gesetzesverstoß das Gepräge eines
wettbewerbsrechtlich unlauteren Verhaltens zukommt. Der Gesetzesverstoß kann dazu
allein dann nicht genügen, wenn die verletzte Norm nicht zumindest auch eine -
entsprechend dem Normzweck des § 1 UWG - auf die Lauterkeit des Wettbewerbs
bezogene Schutzfunktion hat (vgl. nur BGH a.a.O. "Krankenkassenzulassung" m.w.N.).
An dem Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzung kann im Streitfall indes kein
Zweifel bestehen, weil nämlich die Beklagte bei rechtmäßigem Verhalten nach ihrem
eigenen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein kostenträchtiges
und zeitaufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen müsste und deshalb in
unlauterer Weise die Absatzchancen desjenigen Unternehmens beeinträchtigt, das
diese Zulassungshürden genommen hat. Die unlautere Störung des Wettbewerbs auf
dem Markt ist damit offensichtlich.
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Allerdings trifft es im Ansatz zu, dass der Verstoß der Beklagten gegen die
Wettbewerbsbezug aufweisenden Bestimmungen des Pflanzenschutzgesetzes noch
nicht gleichsam automatisch das Unwerturteil des § 1 UWG zur Folge hat. Denn je nach
den Umständen des Einzelfalles (vgl. etwa die unterschiedlichen Fallkonstellationen,
die den Entscheidungen "Sportwetten-Genehmigung [BGH WRP 2002, 323 ff. = GRUR
2002, 269 ff.] und "Progona" [WRP 2003, 72 f. = GRUR 2003, 162 f.] zugrunde lagen),
handelt ein Gewerbetreibender gleichwohl nicht unlauter im Sinne des § 1 UWG, wenn
die zuständigen Behörden und Gerichte sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich
zulässig bewerten. Denn es wäre grundsätzlich eine Überspannung der Pflicht zu
lauterem Wettbewerbshandeln und ein unzulässiger Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit,
von einem Gewerbetreibenden zu verlangen, sich vorsichtshalber auch dann nach der
strengsten Gesetzesauslegung und Einzelfallbeurteilung zu richten, wenn die
zuständigen Behörden und Gerichte sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig
bewerten, wenn nicht der Gewerbetreibende die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens
kennt, sich dieser Einsicht bewusst verschließt oder auf die Haltung der
Verwaltungsbehörden in unlauterer Weise eingewirkt hat (BGH, a.a.O. "Sportwetten-
Genehmigung"). Von einer solchen Fallkonstellation, die im Einzelfall den
Gesetzesverstoß dennoch nicht als gleichzeitig wettbewerbswidrig und unlauter im
Sinne von § 1 UWG erscheinen lässt, kann im Streitfall indes trotz des Inhalts der
vorerwähnten Schreiben der Landwirtschaftskammer Hannover aus Mai 2004 nicht
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ausgegangen werden. Die Landwirtschaftskammer hat der Beklagten unter dem
12.05.2004 mitgeteilt, zuvor beschlagnahmte und bereits wieder abgeholte 480 kg S.
Metamitron seien aufgrund der der Kammer vorliegenden Identitätsberichte der T. T.
Laboratorium GmbH, L., bzw. der J. GmbH, Wiesbaden, sowie eines
Untersuchungsergebnisses des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit für das I. RC Metamitron als identisch anzusehen mit den
entsprechenden zugelassenen I. Mistral bzw. H. WG. Diese der Beklagten Mitte Mai
2004 mitgeteilten Ausführungen der Landwirtschaftskammer berechtigten die Beklagte
nicht zur Fortsetzung ihres nach dem Vorgesagten rechtswidrigen Tuns. Deshalb kommt
es im übrigen nicht darauf an, dass die Klägerin die im Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Senat erhobene Behauptung der Beklagten, das beschlagnahmte
Pflanzenschutzmittel Metamitron stamme aus der gleichen Charge, die von den Firmen
T. und J. untersucht worden seien, ausdrücklich als unrichtig bestritten hat. Die Beklagte
weiß nämlich spätestens infolge der Zustellung der mit ihrer Berufung angefochtenen
Entscheidung des Landgerichts, dass und aus welchen Gründen eine Identität der in
Rede stehenden Pflanzenschutzmittel im Rechtssinne nicht besteht. Es ist völlig offen,
welche Erkenntnisse der Mitteilung der Landwirtschaftskammer Hannover zugrunde
lagen. Die Mitteilung ist nicht das Ergebnis eines förmlichen Zulassungsverfahrens nach
§§ 12 ff. PflSchG, sondern ist in einem Eilverfahren (Beschlagnahmeverfahren)
ergangen, an dem die Klägerin nicht beteiligt war und die Beklagte nicht in dem Sinne
mitgewirkt hat, dass sie erklären könnte, warum die Landwirtschaftskammer Hannover
zu dem Ergebnis gekommen ist, H. WG einerseits und Metamitron andererseits seien
als identisch anzusehen. Die Identitätsberichte der Firmen T. und J. GmbH, auf die sich
die Landwirtschaftskammer Hannover bezieht, führen gerade nicht zur Annahme der
Identität der Pflanzenschutzmittel, sondern belegen mit Rücksicht auf den Inhalt der
Anlage VI der Pflanzenschutzmittelrichtlinie das Gegenteil. Das zitierte
"Untersuchungsergebnis" des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit liegt nicht vor, es ist offen, was das Amt gegebenenfalls unter
Anwendung welcher Untersuchungsmethode untersucht hat. Es ist auch nicht belegt
oder von der Beklagten auch nur vorgetragen, dass das Bundesamt selbst die in Rede
stehenden Pflanzenschutzmittel so analysiert haben könnte, dass als Ergebnis dieser
Untersuchungen das Nichtüberschreiten der nach Anhang VI zur
Pflanzenschutzmittelrichtlinie maßgeblichen Toleranzwerte als gesichert erscheinen
könnte. Die beiden Analyseberichte der Firmen T. und J. gehen nämlich im Ansatzpunkt
offensichtlich irrig davon aus, dass die Herstellerangabe auf der Verpackung der
Pflanzenschutzmittel (700 g/kg) mit den von der Klägerin im Zulassungsverfahren
gemachten Angaben übereinstimmt. Es ist naheliegend, dass die Mitteilung der
Landwirtschaftskammer Hannover, nach den Identitätsberichten der Firmen T. und J.
seien die Pflanzenschutzmittel als identisch anzusehen, auf demselben Irrtum beruht.
Allein die in einem Beschlagnahmeverfahren getroffene Entscheidung der
Landwirtschaftskammer Hannover, eine im Vergleich zu den von der Klägerin im Termin
zur mündlichen Verhandlung vorgetragenen Absatzzahlen ihres Pflanzenschutzmittels
verschwindend geringe Menge von 480 kg Pflanzenschutzmittel nach Beschlagnahme
mit der (inhaltlich unzutreffenden) Begründung freizugeben, aufgrund des Inhalts zweier
durch das Untersuchungsergebnis des BVL ergänzten Analyseberichte seien die
Pflanzenschutzmittel als identisch anzusehen, gibt der Beklagten keinen berechtigten
Anlass zur Fortsetzung ihres nach dem Vorgesagten rechtswidrigen Verhaltens.
Letztlich kann der Beklagten auch nicht in ihrer Auffassung beigepflichtet werden, die
Klägerin habe allenfalls Anspruch auf ein Verbot des Vertriebs von Metamitron, das
einer bestimmten und hier von den Firmen T. und J. geprüften Charge entstammt. Denn
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es war lediglich Sache der Klägerin, die mangelnde Identität des von der Beklagten
vertriebenen Metamitron einerseits und H. WG andererseits wie geschehen
nachzuweisen. Demgegenüber hat die Beklagte weder behauptet noch nachgewiesen,
dass es sich - was die Toleranzwerte angeht - um einen "Ausreißer" handeln könnte
und die Wirkstoffmenge von Metamitron sich im übrigen innerhalb der vorgegebenen
Toleranzgrenzen bewegt.
Erweist sich das Verteidigungsvorbringen der Beklagten gegenüber der erhobenen
Unterlassungsklage demgemäß als unbeachtlich, und folgt aus den vom Landgericht
genannten, vom Senat hiermit in Bezug genommenen Gründen zugleich, dass auch die
geltend gemachten Annexansprüche in Form des Auskunfts- und
Schadenersatzfeststellungsbegehrens wegen des schuldhaften, weil fahrlässigen
Verstoßes der Beklagten gegen die genannten Bestimmungen des
Pflanzenschutzgesetzes und auch § 1 UWG begründet sind, war ihre Berufung mit der
Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
ZPO liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu
noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof. Es handelt sich
vielmehr um eine tatrichterliche Entscheidung im Einzelfall, die der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs Rechnung trägt, ohne von ihr abzuweichen.
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