Urteil des OLG Köln vom 09.12.1992
OLG Köln (kläger, höhe, wagen, fahrer, unfall, zpo, verschulden, fahrzeug, abstand, kaskoversicherung)
Oberlandesgericht Köln, 11 U 165/92
Datum:
09.12.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 165/92
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 8 O 601/91
Schlagworte:
Vorfahrtrecht
Normen:
STVO §§ 8 und 6
Leitsätze:
Die Vorfahrtregelungen gelten an Kreuzungen und Einmündungen,
wenn sich die Fahrwege der auf verschiedenen Straßen befindlichen
Fahrzeuge kreuzen oder zumindest berühren. Das Vorfahrtrecht
erstreckt sich grundsätzlich auf die volle Breite der bevorrechtigten
Straße, dagegen nicht über die linke Fluchtlinie hinaus bis in die
Querstraße hinein.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. Mai 1992 verkündete
Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 8 O 601/91 - unter
Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und
insgesamt wie folgt neu gefaßt: I. Die Beklagten werden verurteilt, als
Gesamtschuldner an den Kläger 1.869,82 DM nebst 4 % Zinsen auf
1.815,00 DM seit dem 3. November 1991 und auf 54,82 DM seit dem 13.
April 1992 zu zahlen. II. Es wird festgestellt, daß die Beklagten
gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger die Hälfte der ihm
aufgrund des Versicherungsfalles vom 3. Oktober 1991 ab 13. April 1992
entgehenden Prämienvorteile bei seiner Kaskoversicherung, der V., zu
erstatten, und zwar die durch den Versicherungsfall vom 3. Oktober 1991
bedingten Mehrbeträge auch dann, wenn vor Erreichen der
Schadensfreiheitsrabattsstufe 15 eine weitere Rückstufung erfolgt. III. Im
übrigen wird die Klage, soweit der Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt
worden ist, abgewiesen. Die Kosten beider Rechtszüge werden
gegeneinander aufgehoben. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet und im übrigen
zurückzuweisen.
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Nachdem die Parteien den Rechtsstreit nunmehr in Höhe der
Versicherungsleistungen des Kaskoversi-cherers des Klägers übereinstimmend in
der Haupt-sache für erledigt erklärt haben, ist in der Sache nur noch über die
Zahlungsansprüche des Klägers und über seinen Feststellungsantrag bezüglich der
Schadensfreiheitsrabatts zu entscheiden.
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Der Zahlungsanspruch ist auf 1.869,82 DM zu be-schränken, der Feststellungsantrag
auf die Hälfte der Prämiennachteile. Dem Kläger steht gemäß §§ 7, 17 StVG, 823,
254 BGB, 3 Pflichtversicherungsge-setz ein Schadensersatzanspruch in Höhe von
50 % seiner Schäden zu.
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Den Beklagten trifft ein Verschulden an dem Unfall.
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Allerdings ist ihm nicht eine Vorfahrtsverlet-zung gemäß § 8 StVO zum Vorwurf zu
machen. Die Vorfahrtregelungen gelten an Kreuzungen und Ein-mündungen, wenn
sich die Fahrwege der auf ver-schiedenen Straßen befindlichen Fahrzeuge kreuzen
oder zumindest berühren (vgl. Jagusch-Hentschel Straßenverkehrsrecht 31. Aufl. § 8
StVO Randzif-fer 27). Für diese Fälle ist festgelegt, wer den Schnittpunkt zu erst
passieren darf.
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Zu einer derartigen Verkehrslage war es bei dem Zusammenstoß am 3. Oktober 1991
noch gar nicht gekommen. Der Unfall hat sich mehrere Meter weit innerhalb der D.
Straße ereignet, ehe der Beklagte überhaupt die E. Straße erreicht hatte, an der er
die Vorfahrt von rechts kommender Kraftfahrer zu beachten hatte.
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Das Vorfahrtsrecht des Klägers erstreckte sich grundsätzlich auf die volle Breite der
E. Straße, dagegen nicht über die linke Fluchtlinie hinaus bis in die Querstraße
hinein (vgl. OLG Zweibrük-ken VRS 1972/222; KG DAR 1978/20; OLG Frankfurt NZV
1990/472). Das vom Landgericht zitierte Urteil des BGH in NJW 1971 843, 844 betrifft
nicht die Art und Weise der Ausdehnung des Vorfahrtsrechts in die Seitenstraße
hinein, sondern behandelt eine trichterförmige Erweiterung der Vorfahrtstraße.
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Beim Abbiegen des Vorfahrtberechtigten gehört es zur Gewährung der Vorfahrt nur,
daß der warte-pflichtige Fahrer ihm das Verlassen der Kreuzung ermöglichen muß.
Ob der Vorfahrtberechtigte danach seine Fahrt fortsetzen darf und kann, richtet sich
nach sonstigen Verkehrsvorschriften. Das wird deutlich, wenn man sich zum Beispiel
vorstellt, der in der D. Straße geparkte Wagen hätte statt auf der Fahrbahnhälfte des
Beklagten auf der des Klägers gestanden.
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Beim Passieren des durch das abgestellte Fahrzeug gebildeten Engpasses hatte
jedoch der Beklagte dem Kläger nach § 6 StVO den Vorrang zu gewähren.
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Dabei kann nicht festgestellt werden, daß der Beklagte bereits deshalb schuldhaft
gehandelt hat, wie er überhaupt zum Vorbeifahren an dem haltenden Wagen
angesetzt hat. Es sprechen überwiegende Gründe dafür, daß der Kläger für ihn zu
dieser Zeit noch nicht zu sehen war. Wie aus den vorge-legten Fotografien
hervorgeht, war der Einblick in die jeweils andere Straße für die Fahrer zunächst
durch die Grundstücksbepflanzungen versperrt.
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Ferner hat es sich auf die Wahrnehmungsmöglichkei-ten des Beklagten ausgewirkt,
daß erwiesen ist, daß der Kläger die Kurve "geschnitten" hat und da-durch erst etwas
später sichtbar geworden ist als beim Ausfahren eines weiten Bogens. Daß er sich so
verhalten hat, ergibt sich aus der von der Polizei vermessenen und unstreitigen
Stellung der Fahrzeu-ge nach dem Unfall. An beiden befindet sich die Anstoßstelle
an der vorderen rechten Ecke. Der Wa-gen des Klägers hatte vorn einen Abstand von
2,6 m vom rechten Bordstein, hinten von 4,5 m. Eine der-artige Schrägstellung ist die
Folge der vorherigen Fahrtrichtung. Hätte der Kläger von einer zuvor geraden
Richtung in der Absicht, einen Unfall zu vermeiden, nach links gelenkt, wie er
behauptet, so wäre der Abstand rechts vorn größer als hinten gewesen und vielleicht
die Abweichung durch den Anprall noch verstärkt worden.
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Der Beklagte hat von der hinteren Stoßstange des abgestellten Wagens bis zum
Zusammenstoß etwa 11 m zurückgelegt, der Kläger befand sich beim Zusam-
menstoß etwa 5 m über die Bordsteinfluchtlinie der E. Straße hinaus. Da es
unwahrscheinlich ist, daß ein sehr beträchtlicher Geschwindigkeitsunter-schied
vorgelegen hat, besteht kein Grund für die Annahme, daß der Beklagte von
vornherein hinter dem haltenden Wagen hätte abwarten müssen.
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Der Beklagte mußte jedoch, als der Wagen des Klägers sichtbar wurde, das
Vorbeifahren zügig beenden und vor dem haltenden Fahrzeug einschwen-ken. Der
Abstand von der Frontseite dieses Wagens bis zur Bordsteinfluchtlinie der E. Straße
betrug 11,35 m, und beim Zusammenstoß war der Beklagte mit seinen Pkw Marke
Toyota-Camry, der etwa 4,5 m lang ist (vgl. Drees-Kuckuk-Werny Straßen-
verkehrsrecht 6. Aufl. Anl. XIX 6), 4,7 m von der Fluchtlinie entfernt. Damit war der
Raum zum Ein-schwenken zwar knapp, aber ausreichend.
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Das Verschulden des Beklagten wird aber erheblich dadurch verringert, daß er zum
Einschwenken auf das rechts vor ihm auftauchende Fahrzeug des Klägers hätte
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zusteuern müssen. Bei einer mehr spontanen Reaktion versucht ein Fahrer eher, von
dem anderen Wagen wegzulenken, auch wenn sich dann beide zu derselben Stelle
hinbewegen.
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Wie schon ausgeführt worden ist, kam dem Kläger beim Einbiegen im engen Bogen
innerhalb der D. Straße nicht das Vorfahrtrecht zugute. Er befuhr gerade diejenige
Fläche, auf der ein wartepflich-tiger Fahrer zur Beachtung der Vorfahrt hätte anhalten
müssen. Außerdem verkürzte er den Zeit-raum für das wechselseitige Erkennen. Der
Kläger ist auch nicht etwa nur wegen der Fahrweise des Beklagten im engen Bogen
gefahren. Hierzu muß er sich schon entschlossen haben, als er den Beklag-ten noch
gar nicht sehen konnte.
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Das Verschulden keiner Partei überwiegt in einer ins Gewicht fallenden Weise.
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Von den noch streitigen Zahlungsansprüchen in Höhe von insgesamt 2.735,63 DM
ist dem Kläger der Selbstbehalt von 1.000,00 DM aus Kaskoversicherung wegen des
Quotenvorrechts nach § 67 VVG ungekürzt zuzuerkennen. Auf die Reparatur- und
Sachverstän-digenkosten in Höhe von 7.423,98 DM hat der Kläger eine
Versicherungssumme von 6.423,98 DM erhalten. Sein Ersatzanspruch belief sich auf
3.711,99 DM, wovon ein Teilbetrag von 2.711,99 DM auf den Ver-sicherer
übergegangen ist, während die restliche Forderung von 1.000,00 DM weiterhin dem
Kläger zu-steht.
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Die sonstigen Schäden in Höhe von zusammen 1.739,63 DM führen zu einer
Forderung von 869,82 DM.
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Insgesamt ergibt sich dann ein Betrag von 1.869,82 DM.
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Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 284, 288, 291 BGB.
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Der Feststellungsantrag wegen des Schadensfrei-heitsrabatts ist zulässig und zur
Hälfte begrün-det. Für den Fall des Fortbestehens der Kaskover-sicherung haben die
Beklagten 50 % der Prämien-nachteile zu erstatten, die infolge der Rückstu-fung
aufgrund des Versicherungsfalles von 3. Okto-ber 1991 eintreten. Das gilt für den auf
diesen Schaden entfallenden Anteil auch dann, wenn eine weitere Rückstufung
hinzukommen sollte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 91 a, 97 Abs. 1 ZPO.
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Der im ersten Rechtszug gestellte Antrag auf Feststellung der teilweisen Erledigung
des Rechts-streits war in Höhe von 2.711,99 DM begründet und in Höhe von
3.711,99 DM unbegründet. Soweit zunächst ein Anspruch des Klägers bestanden
hatte, war die Hauptsache allerdings nicht ohne weiteres durch die
Versicherungsleistung des Kaskoversi-cherers erledigt. Nach § 265 ZPO wäre der
Rechts-streit in Höhe des tatsächlichen oder vermeintli-chen Forderungsübergangs
mit einem Antrag auf Zah-lung an den Versicherer fortzusetzen gewesen. Im
vorliegenden Fall kommt jedoch hinzu, daß zwischen der Beklagten zu 2.) und dem
Kaskoversicherer ein Teilungsabkommen besteht. Dieses ist eine selb-ständige
Anspruchsgrundlage für den Kaskoversiche-rer und schließt eine Weiterführung des
ursprüng-lichen Ersatzanspruchs aus.
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Bezüglich der bis zur Erledigungserklärung gelten-den Streitwerte sind die Parteien
je zur Hälfte unterlegen. Daß sich der Streitwert danach zum Teil nur noch nach den
Kosten richtet, führt nicht zu einer ausschlaggebenden Verschiebung.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreck-barkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10,
713 ZPO.
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Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens bis zum 13.11.1992: ca. 10.660,00 DM
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Gebührenstreitwert ab 13.11.1992: ca. 6.500,00 DM
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Beschwer des Klägers: 1.619,82 DM
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Beschwer der Beklagten: 2.619,82 DM.
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