Urteil des OLG Köln vom 22.11.2000

OLG Köln: ärztliche behandlung, selbstbehalt, leistungsfähigkeit, unterhalt, erwerbsunfähigkeit, vollstreckbarkeit, rückfall, altersrente, rückforderung, betrug

Oberlandesgericht Köln, 27 UF 262/99
Datum:
22.11.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 UF 262/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Siegburg, 31 F 377/98
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 19. August 1999
verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Siegburg AZ: 31 F
377/98 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: Der Beklagte
wird unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, an die Kläger zu 1.
und 2. zu Händen derer Mutter, Frau G. D. , als gesetzliche Vertreterin,
folgende Unterhaltsrenten zu zahlen, und zwar die Rückstände sofort
und den laufenden Unterhalt monatlich im Voraus bis spätestens zum 3.
Werktage eines jeden Monats: Für den Zeitraum vom 1. April 1998 bis
einschließ-lich 30. September 1998 jeweils monatlich 502,00 DM
abzüglich des hälftigen Kindergeldes von 110,00 DM = monatlich 392,00
DM, für beide Kinder zusammen somit monatlich 784,00 DM für den
Monat Dezember 1999: 510,00 DM, abzüglich des hälftigen
Kindergeldes von 125,00 DM somit monatlich 385,00 DM für beide
Kläger zusammen somit monatlich 770,00 DM und für die Zeit ab 1.
Januar 2000: jeweils monatlich 510,00 DM, abzüglich des hälftigen
Kindergeldes von 135,00 DM somit monatlich 375,00 DM für beide
Kläger zusammen somit monatlich 750,00 DM. Im übrigen wird die
Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits
beider Instanzen tragen der Beklagte zu 80 % und die Kläger zu jeweils
10 %. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung führt zur teilweisen Abänderung des angefochtenen Urteils.
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Der Beklagte ist gemäß § 1601 f. BGB verpflichtet, an die Kläger zu Händen deren
gesetzlicher Vertreterin den zuerkannten Unterhalt zu zahlen; im übrigen ist die Klage
unbegründet.
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Soweit der Beklagte durch das Familiengericht zu Unterhaltszahlungen für den Zeitraum
vom 1. April 1998 bis einschließlich 30. September 1998 verurteilt worden ist, hält dies
den Angriffen der Berufung stand.
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An der Bedürftigkeit der beiden Kläger bestehen keine Zweifel, denn diese haben
unstreitig kein eigenes Einkommen und sind daher auf Barunterhaltsleistungen des
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Beklagten angewiesen.
Der Beklagte ist leistungsfähig im Sinne des § 1603 Abs. 2 BGB. Im hier maßgeblichen
Zeitraum von April 1998 bis einschließlich September 1998 erzielte der Beklagte noch
Erwerbseinkünfte, deren Höhe er in der Klageerwiderung mit monatlich 2.811,00 DM
angegeben hat. Auch nach Abzug aller von ihm angegebener Positionen, hierbei
handelt es sich um Aufwendungen für seinen Pkw in Höhe von monatlich 200,00 DM
sowie weiteren 112,50 DM, berufsbedingten Fahrtkosten von monatlich 100,00 DM und
Kammermitgliedsbeiträge in Höhe von monatlich 15,00 DM, verblieben dem Beklagten
monatlich noch 2.383,50 DM, mit denen er in der Lage war, den zuerkannten
Mindestunterhalt zu leisten; insoweit bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit
der Rechtsfrage, ob die angemeldeten Pkw-Kosten überhaupt abzugsfähig sind.
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Das Familiengericht hat für den hier maßgeblichen Zeitraum zutreffend den
Mindestunterhalt anhand der Gruppe 1. der im Zeitraum vom April bis einschließlich
September 1998 geltenden Kindesunterhaltstabellen bestimmt. Hiernach ergibt sich in
der Altersstufe 3 für die beiden Kläger ein Unterhaltsbetrag von jeweils monatlich
502,00 DM. Abzüglich des hälftigen gesetzlichen Kindergeldes von 110,00 DM hat der
Beklagte demnach monatlich einen Unterhalt für jeden Kläger in Höhe von 392,00 DM
zu zahlen. Die monatliche Barunterhaltsbelastung des Beklagten beläuft sich
zusammen auf 784,00 DM. Der notwendige Selbstbehalt des Beklagten nach § 1603
Abs. 2 BGB in Höhe von 1.500,00 DM ist unter Berücksichtigung des
Kindergeldausgleichs nach § 1612 b Abs. 5 BGB mit einem verbleibenden Betrag von
1.599,50 DM (2.383,50 DM abzüglich 784,00 DM) gewahrt. Der Beklagte hat nicht
vorgetragen, an weitere Personen Barunterhalt zu leisten.
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Hinsichtlich des Unterhaltszeitraums von Oktober 1998 bis einschließlich November
1999 kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. In diesem Zeitraum kann
von einer Leistungsfähigkeit des Beklagten nach § 1603 Abs. 2 BGB nicht ausgegangen
werden.
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Erwerbseinkünfte hat der Beklagte während dieser Zeit nur im Monat Oktober 1998
erzielt; diese haben ausweislich der Bescheinigung der Firma J. B. Bauausführungen
GmbH & Co.KG vom 19. Oktober 1998 allenfalls 540,00 DM betragen und lagen somit
unter dem notwendigen Selbstbehalt von 1.500,00 DM. Anschließend bis einschließlich
November 1999 hat der Beklagte Leistungen nach den Bundessozialhilfegesetz
bezogen, sodass auch insoweit eine Leistungsfähigkeit ausscheidet.
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Der Beklagte muss sich für die Zeit von Oktober 1998 bis einschließlich November 1999
auch keine erzielbaren Einkünfte anrechnen lassen.
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Ausweislich der von dem Gericht eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. med.
E. W. vom 18. April 2000 und Dr. J.T. M. vom 8. Mai 2000 ist der Beklagte aufgrund einer
Persönlichkeitsstörung als Folge eines langjährigen Medikamenten- und Drogenabusus
seit Oktober 1998 nicht erwerbsfähig. Er leidet unter einer depressiven psychischen
Störung, die auch medikamentös nicht eingestellt werden konnte. Die anamnestischen
Angaben und das klinische Bild bei der ambulanten Untersuchung entsprechen der
affektiven Erkrankung Dysthymia (ICD 10 F 34.1).
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Der von den Klägern vertretenen Rechtsauffassung, der Beklagte habe nicht rechtzeitig
Maßnahmen gegen seine Drogenabhängigkeit ergriffen und könne sich daher auf deren
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Auswirkungen nun nicht mehr berufen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der
Beklagte begab sich schon frühzeitig in die ärztliche Behandlung der als Neurologin
und Psychiaterin tätigen Frau Dr. med. M.-T. K. , was durch deren ärztliches Attest vom
27. März 1999 bestätigt wird und zwischen den Parteien unstreitig ist. Dies gilt ebenso
hinsichtlich der 1995 erfolgten Entgiftungsbehandlung, der eine halbjährige Abstinenz
folgte. Der anschließende Rückfall des Beklagten ist nachvollziehbar mit dessen
beruflicher Überforderung begründet worden. Letztlich führte dies trotz weiterer ärztlicher
Betreuung durch Frau Dr. med. M.-T. K. zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit spätestens
ab Oktober 1998. Wie der Sachverständige Dr. J.T. M. festgestellt hat, verlor der
Beklagte sein Selbstvertrauen und seine Konzentrationsfähigkeit. Er wurde
antriebsschwach und hoffnungslos. Hierbei handelt es sich in Anbetracht der Art der
Erkrankung nicht um ein plötzlich eintretendes Ereignis, sondern um das Ergebnis eines
langwierigen Prozesses. Anhaltspunkte, dass der Beklagte über die gezeigten
Initiativen hinaus in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig gegenzusteuern, bestehen
nicht.
Dem Beklagten können für den Zeitraum von Oktober 1998 bis einschließlich November
1999 auch keine fiktiven Renteneinkünfte mit der Begründung zugerechnet werden, er
habe einen Rentenantrag bereits im Oktober 1998 stellen können und hätte demzufolge
die ab 1. Dezember 1999 festgesetzte Rente zu einem früheren Zeitpunkt durchsetzen
können. Selbst wenn ein früherer Rentenantrag Erfolg gehabt hätte, so ist nach
Überzeugung des Senats dem Beklagten aus der verspäteten Antragstellung kein
verantwortungsloses, zumindest leichtfertiges unterhaltsbezogenes Fehlverhalten
(Kalthoener-Büttner-Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl.,
Rdnr. 633 m.w.N.) anzulasten. Grund für die späte Antragstellung war die von den
beiden Sachverständigen festgestellte Antriebsschwäche des Beklagten. Indiz hierfür
ist, dass er mit der verspäteten Antragstellung, ihre Erfolgsaussicht unterstellt, nicht nur
den Unterhaltsberechtigten sondern in jedem Falle auch sich selbst schadete, da er für
die verbleibende Zeit bis zur Bewilligung der Rente auf Leistungen nach dem
Bundessozialhilfegesetz angewiesen war.
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Für den Unterhaltszeitraum ab Dezember 1999 ist das angefochtene Urteil im
wesentlichen zu bestätigen; eine Abänderung erfolgt lediglich hinsichtlich der ab 1.
Januar 2000 vorzunehmenden höheren Kindergeldanrechnung, denn ab diesem
Zeitpunkt hat sich das gesetzliche Kindergeld von 250,00 DM auf 270,00 DM erhöht.
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Der Beklagte ist gemäß § 1603 Abs. 2 BGB leistungsfähig. Er erhält seit dem 1.
Dezember 1999 Altersrente. Diese betrug zunächst bis 30. Juni 2000 monatlich
2.141,51 DM und seither 2.144,36 DM. Auch wenn der Beklagte die Rente bisher nicht
im vollem Umfange ausgezahlt erhalten haben mag, weil das Sozialamt für die Zeit der
Sozialhilfegewährung in der Vergangenheit Zugriff auf die Nachzahlung gegenüber der
Bundesknappschaft genommen hat, so hindert dies nicht, die Rente in voller Höhe für
die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Beklagten in Ansatz zu bringen. Die der
Rückforderung zugrundeliegende Sozialhilfegewährung ist nicht den Klägern zugute
gekommen.
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Zutreffend ist das Familiengericht anhand der ab 1. Juli 1999 geltenden
Kindesunterhaltstabelle in Stufe 3 für beide Kinder von einem Mindestunterhalt von
monatlich jeweils 510,00 DM ausgegangen. Das gesetzliche Kindergeld ist gemäß §
1612 b Abs. 1 BGB für Dezember 1999 in Höhe von 125,00 DM und ab Januar 2000 in
Höhe von monatlich 135,00 DM in Abzug zu bringen. Für beide Kläger zusammen ergibt
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sich für Dezember 1999 ein Zahlungsbetrag von 770,00 DM und ab Januar 2000 ein
Zahlungsbetrag von monatlich 750,00 DM.
Der Beklagte ist zur Zahlung der im angefochtenen Urteil festgesetzten
Mindestunterhaltsbeträge auch bei Wahrung seines notwendigen Selbstbehaltes nach §
1603 Abs. 2 BGB in der Lage. Der notwendige Selbstbehalt nach der aktuellen
Kindesunterhaltstabelle in Höhe von monatlich 1.300,00 DM ist unter Berücksichtigung
des Kindergeldausgleichs nach § 1612 b Abs. 5 BGB in jedem Falle gewahrt. Für
Dezember 1999 verbleiben dem Beklagten 1.371,51 DM (2.141,51 DM abzüglich
770,00 DM), im Nachfolgezeitraum bis einschließlich Juni 2000 verbleiben ihm
monatlich 1.391,50 DM (2.141,51 DM abzüglich 750,00 DM) und anschließend aufgrund
der höheren Rentenbezüge 1.404,36 DM (2.154,36 DM abzüglich 750,00 DM).
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziffer 8, 711, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 13.944,00 DM.
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