Urteil des OLG Köln vom 20.04.2000
OLG Köln: wohl des kindes, anhörung des kindes, anfechtungsfrist, gesetzlicher vertreter, sorgerecht, eltern, scheidung, rechtskraft, kindeswohl, auflösung
Oberlandesgericht Köln, 14 UF 275/99
Datum:
20.04.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
14. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 UF 275/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 304 F 281/98
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts -
Familiengericht - Köln vom 9.9.1999 (304 F 281/98) abgeändert und die
Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits
beider Instanzen zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D
1
Der Kläger wurde am 27.12.1986 als eheliches Kind des Beklagten und seiner Mutter
geboren. Unstreitig wußten Vater und Mutter von Anfang an, daß der Kläger nicht vom
Beklagten abstammte. Durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 27.5.1991 wurde die
Ehe der Eltern geschieden. Das Sorgerecht für den Kläger und seinen älteren Bruder
Kim wurde den Eltern gemeinsam übertragen. Die Kinder wuchsen im Haushalt der
Mutter auf, die wiederverheiratet ist und aus der zweiten Ehe zwei weitere Kinder hat.
Auch der Beklagte ist wiederverheiratet und hat ein Kind aus zweiter Ehe.
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Durch Beschluß des Amtsgerichts Köln vom 28.12.1998 wurde für den Kläger
Ergänzungspflegschaft durch das Jugendamt Köln für die Vertretung im
Vaterschaftsanfechtungsverfahren angeordnet, die am 15.3.2000 wieder aufgehoben
worden ist, da das Kind nunmehr anwaltlich vertreten sei.
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Am 13.10.1998 war der PKH-Antrag für eine Klage auf Vaterschaftsanfechtung
eingegangen. Mit der Klage ist vorgetragen worden, daß der Kläger den Umgang mit
dem Beklagten nicht mehr fortsetzen möchte, der aber darauf bestehe. Der Kläger habe
den Wunsch, vom zweiten Ehemann der Mutter adoptiert zu werden.Die Frist für die
Anfechtung durch das Kind sei wegen § 206 BGB nicht abgelaufen, da die Mutter bei
gemeinsamem Sorgerecht auch nach der Scheidung an der Vertretung des Kindes
gehindert gewesen sei.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht festgestellt, daß der Beklagte nicht
der Vater des Klägers ist. Es hat die Auffassung vertreten, die Anfechtungsfrist sei
gewahrt und die Feststellung entspreche dem Kindeswohl.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, der sich
insbesondere auf den Ablauf der Anfechtungsfrist und darauf beruft, daß es in erster
Linie der Wunsch der Mutter des Klägers sei, die Vaterschaft anzufechten. Es bestehe
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ein jahrelanges Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten und es
entspreche nicht dem Wohl des Kindes, die Vaterschaft anzufechten.
Im Termin vom 20.3.2000 hat der Senat den Kläger, den Vertreter des Jugendamts, den
Beklagten, die Mutter des Klägers und die jeweiligen Ehepartner persönlich angehört.
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Wegen aller weiterer Einzelheiten wird auf den gesamten vorgetragenen Akteninhalt
Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
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Die zulässige Berufung ist auch in der Sache begründet. Zwar ist auch nach Auffassung
des Senats die Anfechtungsfrist gewahrt, es läßt sich aber nicht feststellen, daß die
Anfechtung dem Wohl des Kindes dient.
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1)
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Die Anfechtungsfrist für die Vaterschaftsanfechtungsklage des minderjährigen Kindes
beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem sein gesetzlicher Vertreter von den Umständen
erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen (§ 1600 b I, II BGB; dazu OLG Frankfurt
DAVorm 1996, 901). Das Kind kann nach Eintritt der Volljährigkeit dann unabhängig
davon gem. § 1600b III BGB (mit neuem Fristlauf) selbst anfechten.
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Für die Anfechtungsfrist bei der Klage des minderjährigen Kindes kommt es auf die
Kenntnis desjenigen gesetzlichen Vertreters an, der befugt ist, das Kind im
Vaterschaftsanfechtungsprozeß rechtswirksam zu vertreten. Die Frist beginnt daher erst
zu dem Zeitpunkt, in dem die Vertretungsbefugnis hergestellt wird
(Palandt/Diederichsen, BGB, 59. Aufl. (2000), § 1600b Rn. 5). Solange die Eltern bei
bestehender Ehe noch das gemeinsame Sorgerecht haben, kann nicht ein Elternteil
allein das Kind rechtswirksam vertreten, sondern erst mit der Rechtskraft einer
Regelung, die einem Elternteil das alleinige Sorgerecht überträgt, beginnt die der Lauf
der Frist für die Vaterschaftsanfechtung (OLG Frankfurt DAVorm 1996, 901; OLG
Dresden ZfJ 1997, 387; OLG Bamberg FamRZ 1992, 220).
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In allen Fällen, in denen die Eltern nach der Rechtskraft der Scheidung das
gemeinsame Sorgerecht behalten, beginnt die Frist daher erst mit der Bestellung eines
Ergänzungspflegers für die Anfechtungsklage. Im Streitfall haben die Eltern auch nach
der Rechtskraft der Scheidung das gemeinsame Sorgerecht behalten, so daß die Frist
für die Vaterschaftsanfechtung gewahrt ist, denn erst am 28.12.1998 wurde eine
Ergänzungspflegschaft angeordnet. Insoweit kommt es nicht darauf an, daß diese am
15.3.2000 wieder aufgehoben worden ist.
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Zum gleichen Ergebnis kommt man, wenn man gemäß § 1600b VI S.2 BGB
angeordneten Anwendung des § 206 BGB eine Ablaufhemmung der Anfechtungsfrist
annimmt, solange das Kind keinen gesetzlichen Vertreter hat, der es im
Anfechtungsprozeß vertreten kann, denn dann läuft die Anfechtungsfrist nicht vor Ablauf
von sechs Monaten ab, nachdem der Mangel der Vertretung aufhört. Dies war im
Streitfall mit der Bestellung des Ergänzungspflegers am 28.12.1998 der Fall.
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Für den Fall der gemeinsamen elterlichen Sorge auch nach Rechtskraft der Scheidung
ist eine andere Beurteilung des Fristablaufs nicht gerechtfertigt, da sich die Eltern bei
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der gemeinsamen Sorge zur gemeinsame Verantwortung für das Kind bekennen, so
daß wie bei gemeinsamem Sorgerecht bei bestehender Ehe eine
Vaterschaftsanfechtung durch Vertretung des Kindes bei der Vaterschaftsanfechtung
durch einen Elternteil allein nicht möglich ist (anders wohl Gernhuber/Coester-Waltjen,
Familienrecht, 4. Aufl. (1994) § 51 V 5). Eine Sonderregelung hat der Gesetzgeber gem.
§ 1629 II S.2 BGB nur für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen bei
gemeinsamer elterlicher Sorge vorgesehen.
Die Frist für die Anfechtungsklage des minderjährigen Kindes kann daher nicht
abgelaufen sein, obwohl die Frist für die Anfechtungsklage der Mutter oder des Vaters
bereits abgelaufen ist (dazu OLG Stuttgart FamRZ 1999, 1003 (1004). Diesen
Unterschied gleicht das Gesetz durch das zusätzliche Erfordernis der
Kindeswohlprüfung gem. § 1600a IV BGB aus (MünchKomm/Seidel, Ergänzung zur 3.
Aufl. (1999), § 1600a Rn.6 bezweifelt dagegen den Sinn der zusätzlichen
Kindeswohlprüfung).
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2)
18
Es läßt sich nicht feststellen, daß die Anfechtung dem Wohl des Kindes
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i.S. des § 1600a IV BGB dient.
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Für den Fall, daß das minderjährige Kind durch den gesetzlichen Vertreter die
Vaterschaftsfestellungsklage erhebt, ist die Anfechtung nur "zulässig", wenn sie dem
Wohl des Kindes dient. Diese Vorschrift gilt auch, wenn das Kind bei gemeinsamem
Sorgerecht der Eltern durch einen Ergänzungspfleger vertreten wird. Aus dem klaren
Gesetzeswortlaut ergibt sich, daß positiv festgestellt werden muß, daß die Anfechtung
dem Wohl des Kindes dient, daß also die Darlegungs- und Beweislast insoweit beim
Anfechtenden liegt. Bleibt offen, ob die Anfechtung dem Wohl des Kindes dient, ist die
Anfechtung daher nicht "zulässig" (anders wohl MünchKomm/Seidel, a.a.O., der meint,
das Familiengericht werde die Klage abweisen, wenn das Kindeswohl gegen die
Anfechtung spreche; in der Tendenz wie hier dagegen Gaul FamRZ 1997, 1441 (1460).
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Der Senat hat nach Anhörung des anfechtenden Kindes sowie der übrigen Beteiligten
nicht die Überzeugung gewinnen können, daß die Anfechtung im Streitfall dem Wohl
des Kindes dient. Insbesondere aus der Anhörung des Kindes ergab sich klar, daß
dieses ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zum Beklagten hat. Die Darstellung
der Klage, das Kind gehe nur unter Zwang und ungern zum Beklagten, war eindeutig
unrichtig. Wenn das Kind bei dieser Sachlage gleichwohl erklärt hat, die Anfechtung
ohne Beeinträchtigung des Verhältnisses zum Beklagten zu wünschen, so entspricht
dies dem Loyalitätskonflikt, in dem das Kind sich befindet. Dieser Loyalitätskonflikt
ergibt sich aus der ablehnenden Haltung der Mutter gegenüber dem Vater. Angesichts
des jahrelang vertrauensvollen Verhältnisses und angesichts des Umstandes, daß der
Kläger noch einen älteren Bruder hat, der der leibliche Sohn des Beklagten ist, könnte
die Auflösung des Vaterschaftsbandes negative Folgen für das Kindewohl (auch für die
Geschwisterbindung) haben, denn die Hoffnung, daß der Beklagte auch nach
erfolgreicher Anfechtung sein Verhalten nicht ändern werde, insbesondere das Kind
möglicherweise dann als testamentarischen Erben einsetzen, wie das Amtsgericht
meint, muß sich keinesfalls erfüllen. Nach dem Ergebnis der Anhörung aller Beteiligten
vermag der Senat daher nicht festzustellen, daß die Anfechtung dem Wohl des Kindes
dient.
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Für die Entscheidung kommt es bei dieser Sachlage nicht darauf an, ob die
Ergänzungspflegschaft mit Rücksicht auf die anwaltliche Vertretung aufgehoben werden
durfte.
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3)
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Der Senat hat geprüft, ob die Revision gem. § 546 I ZPO zuzulassen ist. Im Ergebnis hat
er dies verneint. Für die Frage der Wahrung der Anfechtungsfrist gilt das, weil die
Berufung auch bei einer anderen Beurteilung Erfolg haben müßte. Die Beurteilung des
Kindeswohls im Sinne des § 1600a IV BGB beruht letztlich auf tatsächlichen
Feststellungen im Einzelfall.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 4.000,-- DM.
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