Urteil des OLG Köln vom 19.03.1991

OLG Köln (bescheinigung, ausländer, stgb, gesetz, urkunde, duldung, aufenthaltserlaubnis, einreise, aufenthalt, verhalten)

Oberlandesgericht Köln, Ss 6/91
Datum:
19.03.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
Ss 6/91
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts Leverkusen zurückverwie-sen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten "wegen vorsätz-lichen Vergehens gegen § 47
Abs. 1 Nr. 6 AuslG" zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt und die
Vollstreckung der erkannten Strafe zur Be-währung ausgesetzt.
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Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getrof-fen:
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"Der Angeklagte ist Asylsuchender und bezeichnet sich als Student. Unter dem
Namen B. S. O., geboren 07.08.1966 in I./Nigeria, stellte er am 01.03.1989 einen
Asylantrag in H., den er später nach eigenen Angaben zurückzog.
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Im Juni d.J. stellte er in B. einen Asylfolgeantrag und gab dort den Namen A. O.,
geboren 02.08.1966 in I./Nigeria an. Ihm wurde bis einschließlich Septem-ber 1990
Sozialhilfe ausgezahlt.
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Am 11.09.1990 stellte er bei der Ausländerbehörde in L. unter den Personalien "D.
B., geboren 10.10.1960 in O./Nigera" einen weiteren Asylantrag. Zu der Auszahlung
von Sozialhilfe kam es nicht, da die Identität des Angeklagten mit der Person
festgestellt werden konnte, die im vergangenen Jahr und im Juni d.J. Asylanträge in
H. und B. gestellt hat."
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Zur rechtlichen Würdigung hat das Amtsgericht aus-geführt:
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"Durch sein Verhalten hat er sich jedoch eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 47
Abs. 1 Nr. 6 des Ausländergesetzes schuldig gemacht, weil er als Ausländer
gegenüber dem Ausländeramt L. unrichtige Angaben durch Nennung eines falschen
Namens und ei-nes falschen Geburtsdatums gemacht hat, um sich die Möglichkeit
des weiteren Aufenthalts im Geltungs-bereich des Ausländergesetzes zu beschaffen.
Dies räumt der Angeklagte selbst ein. Unerheblich ist, daß er zum Zeitpunkt der
Antragstellung eine befri-stete, noch gültige Aufenthaltsgenehmigung besaß. Diese
lief jedoch am 15.10. ab. Die Angaben fal-scher Personalien und Personaldaten
dienten gerade dazu, unter einer neuen Identität sich eine neue, zeitlich länger
gültige Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen."
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Gegen dieses Urteil richtet sich die (Sprung-)Revi-sion des Angeklagten mit der
Sachrüge.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.
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Die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Auslän-dergesetz kann keinen
Bestand haben.
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Nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist davon auszugehen, daß sich der
Angeklagte durch die unrichtigen Angaben gegenüber der Ausländerbehör-de in L.
eine Bescheinigung im Sinne des § 20 Abs. 4 AsylVfG beschaffen wollte. Das
Amtsgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten als Verstoß gegen § 47 Abs. 1 Nr.
6 AuslG (alte Fassung, AuslG 1965) gewertet. Nach dieser Vorschrift wird ein
Ausländer mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bestraft, wer
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen
anderen Urkunden für die Einreise oder den Aufenthalt im Geltungsbereich des
Ausländergesetzes zu beschaffen.
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Die Frage, ob die Bescheinigung nach § 20 Abs. 4 AsylVfG eine Urkunde im Sinne
vorgenannter Vorschrift ist, hat der Senat in einer früheren Entscheidung verneint
(Senatsentscheidung vom 20.11.1990 - Ss 537/90 -). Darin hat sich der Senat der
Auffassung des OLG Karlsruhe (NStZ 1986, 516 = MDR 1986, 959) angeschlossen,
durch § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG seien nur behördliche, eine Einreise oder
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Aufenthaltsberechtigung begründenden Bewilli-gungen erfaßt; das AsylVfG (§§ 19
Abs. 1, 20 Abs. 1) kopple indes mit dem Asylantrag als solchem ein gesetzliches
Aufenthaltsrecht, so daß die entspre-chende Bescheinigung nach § 20 Abs. 4
AsylVfG nur deklaratorische Bedeutung habe. Das OLG Karlsruhe hat die
Anwendbarkeit des § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG auf unrichtige Angaben im Asylverfahren
darüber hinaus unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte dieser Strafvorschrift
abgelehnt.
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Der Auffassung des OLG Karlsruhe sind Kloesel-Christ (Deutsches Ausländerrecht,
2. Aufl., Stand Juni 1990, § 47 AuslG Anm. 10) entgegengetreten. Eine Urkunde im
Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG sei - neben anderen - auch die Aufenthaltsgestat-
tung nach § 20 Abs. 4 AsylVfG. Mit dieser Aufent-haltsgestattungs-Bescheinigung
genüge der Asylsu-chende seiner Ausweispflicht (§ 27 Abs. 1 AsylVfG). Die
Bescheinigung diene dem Asylbewerber als Aus-weis gegenüber den Behörden
über seine Befugnis, sich im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen und habe insofern
Beweiseigenschaft. Das OLG Karlsruhe gebe bereits die Gesetzgebungsgeschichte
unvollständig wieder. In diesem Zusammenhang verweisen Kloesel-Christ (a.a.O.)
auf die Begründung des Bundesrates vom 28.05.1982 zu § 31 des damaligen
Entwurfs eines Ausländergesetzes (BR-Dr 172/82).
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Gegen die Auffassung, der Bescheinigung nach § 20 Abs. 4 AsylVfG sei lediglich
deklaratorische Bedeu-tung beizumessen, könnte darüberhinaus sprechen, daß - so
BVerWG E 79, 291 - die Ausländerbehörde nicht nur eine Rechtspflicht zur
Bescheinigung nach § 20 Abs. 4 AsylVfG hat, sofern der Ausländer nicht im Besitz
einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechtigung ist (§ 20 Abs. 4 Satz 1
AsylVfG a.F.), sondern daß sie diese nur mit den räumlichen, inhaltlichen und
zeitlichen Konkre-tisierungen erteilt, mit denen der Aufenthalt des Asylbewerbers im
Einzelfall in Betracht kommt.
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Die Rechtsfrage, ob der Bescheinigung nach § 20 Abs. 4 AsylVfG
Urkundeneigenschaft im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 beizumessen ist,
braucht der Senat indes nicht weiter nachzugehen, weil sich die Gesetzeslage
geändert hat.
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Die Strafvorschrift des § 47 Abs. 1 AuslG 1965 ist durch das Gesetz zur Neuregelung
des Ausländer-rechts vom 09.07.1990 (BGBl. I, 1354 f.) geändert worden. Die
Strafvorschriften des zum 01.01.1991 in Kraft getretenen neuen Ausländergesetzes
sind in § 92 zusammengefaßt. § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG n.F. lautet wie folgt (BGBl. I,
1376, 1377):
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"Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unrichtige
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oder un-vollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen
eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen, oder eine so beschaffte
Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht..."
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Die Begriffe "Aufenthaltsgenehmigung" und "Duldung" sind durch das neue
Ausländergesetz definiert. In § 5 AuslG n.F. sind die Arten der Aufenthaltsgeneh-
migung beschrieben. Danach wird die Aufenthaltsgen-ehmigung erteilt als 1.
Aufenthaltserlaubnis (§§ 15, 17), 2. Aufenthaltsberechtigung (§ 27), 3.
Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29), 4. Aufent-haltsbefugnis (§ 30).
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§ 55 AuslG n.F. enthält eine Aufzählung der "Dul-dungsgründe". Abs. 1 dieser
Vorschrift lautet: "Die Abschiebung eines Ausländers kann nur nach Maßgabe der
Absätze 2 bis 4 zeitweise ausgesetzt werden (Duldung)."
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In den vorgenannten Absätzen 2 bis 4 des § 55 er-scheint der Begriff
"Aufenthaltsgestattung"
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nicht.
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§ 20 Abs. 4 AsylVfG ist durch das Gesetz zur Neure-gelung des Ausländerrechts
ebenfalls geändert wor-den, allerdings lediglich dahin, daß die Worte
"Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung" durch das Wort
"Aufenthaltsgenehmigung" ersetzt worden sind (BGBl I, 1382). § 20 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG n.F. lautet danach wie folgt:
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"Einem Ausländer, der nicht im Besitz einer Aufent-haltsgenehmigung ist, wird über
die Aufenthaltsge-stattung eine Bescheinigung erteilt."
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Aus alldem folgt, daß die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung (§ 20 Abs. 4
Satz 1 AsylVfG n.F.) keine Urkunde im Sinne des § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG n.F. ist.
Denn die asylrechtliche "Auf-enthaltsgestattung" ist weder "Aufenthaltsgenehmi-
gung" noch "Duldung" im Sinne des neuen Ausländer-gesetzes.
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Die unrichtigen Angaben des Angeklagten gegenüber der Ausländerbehörde in L.
zur Beschaffung einer Aufenthaltsgestattungs-Bescheinigung sind mithin jedenfalls
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nach jetziger Gesetzeslage über die Vor-schriften des Ausländergesetzes nicht
strafrecht-lich erfaßt. Dieser Rechtszustand ist für die Be-wertung des Verhaltens des
Angeklagten auch für den Fall maßgebend, daß sein Verhalten zur Tatzeit nach § 47
Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 strafbewehrt gewesen sein sollte. Nach § 2 Abs. 3 StGB ist
das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das Gesetz, das bei Been-digung der Tat
gilt, vor der Entscheidung geändert wird. Am mildesten ist das Gesetz, das für das
Ver-halten des Angeklagten keine Strafandrohung (mehr) vorsieht (vgl. OLG
Düsseldorf NJW 1991, 710 = NStZ 1991, 133 Dreher/Tröndle, StGB, 45. Aufl., § 2 Rn.
10). Die nach § 2 Abs. 3 StGB bedeutsame Gesetzes-änderung ist in jeder Lage des
Verfahrens, vom Re-visionsgericht jedenfalls auf die - hier erhobene - Sachrüge zu
berücksichtigen (BGH NJW 1975, 1038; OLG Düsseldorf, a.a.O.).
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Der neu entscheidende Tatrichter wird den Sachver-halt - über den Anklagevorwurf
des versuchten Be-truges hinaus - auch unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren
Falschbeurkundung (§ 271 StGB) bzw. des Versuchs einer solchen zu prüfen haben.
Die Be-scheinigung nach § 20 Abs. 4 AsylVfG ist eine öf-fentliche Urkunde (OLG
Hamm JMBl. NW 1989, 248 = NStE Nr. 3 zu § 271; Senatsentscheidung vom
20.11.1990 - Ss 537/90 -; Dreher/Tröndle, a.a.O., § 271 Rn. 14 m.w.N.; vgl. auch
Kloesel/Christ, a.a.O., § 47 AuslG Anm. 10).
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§ 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG a.F. hätte - seine Anwend-barkeit auf den vorliegenden Fall
unterstellt - § 271 StGB nicht verdrängt. Zwischen beiden Vor-schriften besteht keine
Gesetzeskonkurrenz, weil sie unterschiedliche Rechtsgüter schützen. § 47 Abs. 1 Nr.
6 AuslG a.F. soll einer mißbräuchlichen Erschleichung von Dokumenten im
Zusammenhang mit der Einreise und dem Aufenthalt von Ausländern ent-
gegenwirken (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.), also die Einhaltung ausländerrechtlicher
Bestimmungen ge-währleisten (vgl. die Begründung zum Gesetzesent-wurf der
Bundesregierung, BT-Dr 11/6321 Seite 84). § 271 StGB dient dem Schutz der
besonderen Beweis-kraft öffentlicher Urkunden (Dreher/Tröndle, a.a.O., § 271 Rn. 2).
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Die in der Antragsschrift der Generalstaatsanwalt-schaft zu einer etwaigen
Ordnungswidrigkeit des An-geklagten nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG geäußerte
Rechtsauffassung gibt dem Senat Anlaß, folgendes zu bemerken:
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Der Vorgang des Verlassens des Bezirks der Auslän-derbehörde in B. ist nicht
Verfahrensgegenstand. Dieser Vorgang und der Vorgang der Asylantragsstel-lung
bilden keine einheitliche Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO).
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Eine davon abweichende Betrachtungsweise müßte im übrigen § 21 Abs. 1 OWiG
beachten, der für das Zu-sammentreffen von Straftat und Ordnungswidrigkeit eine
Regelung enthält.
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Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom
07.11.1989 (GVNRW 1989, 582), die am 30.11.1989 in Kraft getreten ist, dür-fen sich
Asylbewerber im übrigen ohne Erlaubnis vorübergehend im Gebiet des
Regierungsbezirkes auf-halten, in dem die Ausländerbehörde liegt, für de-ren
Bereich dem Ausländer eine Aufenthaltsgestat-tung erteilt worden ist (OLG
Düsseldorf, a.a.O.). Diese Verordnung ist aufgrund der Ermächtigungsnorm des § 25
Abs. 6 AsylVfG ergangen (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
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