Urteil des OLG Köln vom 19.12.2008

OLG Köln: bedürftige partei, ermittlungsverfahren, pflichtverteidiger, begriff, auslage, vergütung, strafverfahren, fahrtkosten, aufspaltung, eingrenzung

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 626/08
Datum:
19.12.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 626/08
Leitsätze:
1. Zahlungen, die ein Pflichtverteidiger für seine Tätigkeit im
Ermittlungsverfahren von seinem Mandanten erhalten hat, sind nach §
58 Abs. 3 RVG auf seine Pflichtverteidigergebühren für die gesamte
erste Instanz anzurechnen (Bestätigung der Rechtsprechung des
Senats, Beschluss vom 03.06.2008 - 2 Ws 207/08 -)
2. In Strafsachen ist das gleiche Strafverfahren gebührenrechtlich stets
als die gleiche Angelegenheit anzusehen. Die Pauschale nach VV 7002
kann daher für das gesamte erstinstanzliche Verfahren nur einmal
beansprucht werden.
3. Zur (hier verneinten) Erforderlichkeit von Geschäftsreisen (hier :
Tatortbesichtigung durch den Pflichtverteidiger; Aufsuchen des
Berichterstatters zur Erörterung einer Haftverschonung)
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts B. vom
10.11.2008 - 22 KLs 15/08 - , mit dem die Erinnerung des
Pflichtverteidigers vom 30.10.2008 gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluß der Rechtspflegerin des Landgerichts B.
vom 24.10.2008 zurückgewiesen worden ist, wird verworfen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht
erstattet ( § 56 Abs.2 RVG ) .
G r ü n d e :
1
2
I.
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Der Beschwerdeführer war Pflichtverteidiger des Angeklagten S.. Die Rechtspflegerin
des Landgerichts B. hat mit Kostenfestsetzungsbeschluß vom 24.10.2008 seinen Antrag
auf Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren und Auslagen insoweit
zurückgewiesen, als die Pauschale nach VV 7002 doppelt beansprucht worden ist und
als Reisekosten und Abwesenheitsgeld für 3 Geschäftsreisen geltend gemacht worden
sind. Außerdem hat die Rechtspflegerin einen erhaltenen Vorschuß in Höhe von 1.260,
50 € auf die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung mit 229,10 € angerechnet.
Seine dagegen gerichtete Erinnerung hat das Landgericht mit Beschluss vom
10.11.2008 zurückgewiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde hat das
Landgericht nicht abgeholfen.
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II.
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1. Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig. Der Beschwerdewert
von 200 € ist erreicht und das Rechtsmittel ist innerhalb der 2-Wochenfrist eingelegt
worden. Da über die Erinnerung anstelle des nach § 33 Abs. 8 S. 1 RVG an sich zur
Entscheidung berufenen Einzelrichters die Strafkammer entschieden hat, hatte der
Senat im Beschwerdeverfahren ebenfalls in der Besetzung mit 3 Richtern zu
entscheiden.
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2. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.
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Der Senat tritt der angefochtenen Entscheidung in allen Punkten bei. Mit der
Beschwerde werden keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht, so dass der Senat sich
auf folgende Anmerkungen beschränkt :
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a) Hinsichtlich der Anrechnung des Vorschusses entspricht die Entscheidung des
Landgerichts über die zitierte Rechtsprechung hinaus auch der Rechtsprechung des
Senats. Der Senat hat mit Beschluss vom 03.06.2008 – 2 Ws 207/08 – entschieden,
dass Vorschüsse, die ein Pflichtverteidiger für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren
erhalten hat, auf seine Pflichtverteidigergebühren und Auslagen für die erste Instanz
nach § 58 Abs. 3 RVG anzurechnen sind. Diese Ergebnis ist weder durch die
Gestaltung des Kostenfestsetzungsantrages noch durch Honorarvereinbarungen zu
umgehen ( Riedel/Sußbauer- Schmahl, RVG, 9. Aufl., § 58 Randnr 25) .
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Zur Begründung hat der Senat u.a. ausgeführt :
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"Nach § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Verteidiger
für bestimmte Verfahrensabschnitte erhalten hat, auf die von der Staatskasse für
diese Verfahrensabschnitte zu zahlenden Gebühren anzurechnen.
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Zu der Frage, wie der Begriff der "bestimmten Verfahrensabschnitte" zu verstehen
ist, bestehen in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen.
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Teilweise wird § 58 Abs. 3 RVG dahin verstanden, dass Vorschüsse auf in der
gleichen Instanz entstandene Gebühren anzurechnen sind; das soll ausdrücklich
auch für die Tätigkeit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren gelten (OLG
Oldenburg Beschl. v. 10.05.2007 – 1 Ws 220/07- ; OLG Stuttgart Beschl. v.
13.07.2007 – 2 Ws 161/07 –).
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Demgegenüber hat das OLG Frankfurt entschieden, dass die Auffassung (der
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Vorinstanz), Vorschüsse aus dem Ermittlungsverfahren seien auf die Gebühren des
gerichtlichen Verfahrens anzurechnen, in dieser Allgemeinheit unzutreffend sei (
Beschl. v. 14.12.2006 – 2 Ws 164/06 - = NStZ–RR 2007, 328).
Im Schrifttum wird der Begriff der "bestimmten Verfahrensabschnitte" überwiegend
einschränkend so verstanden, dass sich der Verteidiger Zahlungen, die er für seine
Tätigkeit in der 1. Instanz erhält, auf die Pflichtverteidigergebühren der gleichen
Instanz anrechnen lassen muß; es komme als Maßstab für die Beurteilung der
Anrechenbarkeit von Vorschüssen "meist das ganze Verfahren" in Betracht;
Voraussetzung der Anrechnung sei, dass die Zahlung in derselben Angelegenheit
erfolgt sei; Vorschüsse aus anderen Instanzen seien nicht anzurechnen (Gerold-
Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl., § 58 Randnr. 36; Hartung/Römermann/Schons,
RVG, 2. Aufl., § 58 Randnr. 70; AnwK-RVG – Schnapp/N. Schneider, 3.Aufl., § 58
Randnr. 36; Mayer/Kroiß, RVG, 1. Aufl., § 58 Randnr. 16; Bischof-Bräuer, RVG, 2.
Aufl., § 58 Rndnr. 19; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 58 RVG, Randr. 19 f).
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Abweichend hiervon vertritt Burhoff die – auch vom Beschwerdeführer geteilte –
Auffassung, dass das Ermittlungsverfahren einen bestimmten Verfahrensabschnitt
im Sinne des 3 58 Abs. 3 RVG darstelle und dementsprechend Zahlungen auf das
Ermittlungsverfahren nicht anzurechnen seien (Burhoff, RVG, Straf- und
Bußgeldsachen, 2. Aufl., § 58 Randnr. 14ff).
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Der Senat folgt der Auffassung der OLGe Oldenburg und Stuttgart, die
überwiegend auch im Schrifttum vertreten wird. Die gegenteilige Ansicht von
Burhoff ist zwar mit dem Wortlaut des Gesetzes, das eine Bestimmung des Begriffs
"Verfahrensabschnitt" nicht enthält, nicht unvereinbar. Sie widerspricht aber dem
gesetzgeberischen Willen, wie er in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zum
Ausdruck gekommen ist, worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen
hat.
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§ 58 Abs. 3 RVG ist an die Stelle von § 101 Abs. 1 und 2 BRAGO getreten, ohne
dass eine inhaltliche Änderung – etwa im Sinne einer Einschränkung der
Anrechnungsmöglichkeit von Zahlungen – beabsichtigt war. Es sollte durch die
Neuregelung vielmehr lediglich "die Regelung des § 101 Abs. 1 und 2 BRAGO in
redaktionell angepasster Form übernommen werden" (BT-Drs. 15/1971 S.203). Für
das alte Gebührenrecht wurde der sehr weit gefasste Begriff der "Tätigkeit in der
Strafsache" allgemein dahin verstanden, dass der gesamte erstinstanzliche
Rechtszug gemeint war, Vorschüsse also auch anzurechnen waren, soweit sie für
die Tätigkeit des Verteidigers im Vorverfahren gezahlt worden waren (vgl. OLGe
Oldenburg und Stuttgart a.a.O., m.w.N.) Als anrechnungsfrei wurden nur Zahlungen
angesehen, die der Auftraggeber dem Anwalt namentlich für dessen Tätigkeit in
einer anderen Instanz erhalten hatte (vgl nur Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., §
101 BRAGO, Randnr.7 m.w.N.).
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Die gegenteilige Auffassung ( vgl OLG Frankfurt und Burhoff a.a.O.) vermag nicht
zu überzeugen, weil sie nicht mit dem gesetzgeberischen Willen in Einklang steht.
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Der Senat tritt der Erwägung des OLG Oldenburg ausdrücklich bei, dass einer
nochmaligen Vergütung des schon anderweitig honorierten Pflichtverteidigers
durch die Staatskasse aufgrund der inhaltlich unveränderten Anrechnungsregelung
entgegenzutreten ist."
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Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
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Die Anrechnung darf gemäß § 58 Abs. 3 S.3 RVG nur insoweit erfolgen, als der
Verteidiger durch Vorschüsse und Zahlungen mehr als den doppelten Betrag nach § 51
RVG einschließlich aller Auslagen erhalten würde. Die von der Rechtspflegerin hierzu
vorgenommene Berechnung, die zu einem Anrechnungsbetrag von 229,10 € führt, (vgl
Bl. 937 d.A.; zum Berechnungsweg s. auch SenE vom 03.06.2008) entspricht dem
Gesetz. Gegen die Höhe des Anrechnungsbetrages hat der Beschwerdeführer auch
nichts eingewandt.
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b) Das Landgericht hat ebenfalls zutreffend entschieden, dass der Beschwerdeführer die
Pauschale nach VV 7002 nur einmal beanspruchen kann. Vorbereitendes und
gerichtliches Verfahren sind nicht verschiedene Angelegenheiten im
gebührenrechtlichen Sinne. Der Senat folgt insoweit der Auffassung, die für die
Bestimmung des Begriffs der Angelegenheit maßgeblich an den Auftrag anknüpft (vgl
BGH NJW 95,1431; Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Aufl., § 15 Randnr. 17; Hartmann,
Kostengesetze, 38. Aufl., § 15 RVG, Randnr.14) Dieser ist bei umfassender
Strafverteidigung, wie sie der Beschwerdeführer zu leisten hatte, regelmäßig einheitlich
auf das gesamte erstinstanzliche Verfahren gerichtet; dieses Verständnis entspricht
auch den Erwägungen zur Anrechnungsregelung von Vorschüssen, vgl. oben lit a).
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Die Aufspaltung des Auftrags in das vorgerichtliche und das gerichtliche Verfahren
erscheint nicht sachgerecht.
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Demgemäß ist in Strafsachen das gleiche Strafverfahren stets als die gleiche
Angelegenheit anzusehen (Gerold/Schmidt-Madert a.a.O., Randnr. 40;
Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, VV 7001,7002 Randnr. 28; Hartmann, a.aO., Randnr. 44,
Stichwort "Strafsache", m.w.N.). Der (von der Vorauflage abweichenden) gegenteiligen
Auffassung von Burhoff (RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., S.41 Randnr.17; VV
7002 Randnr. 16) folgt der Senat nicht.
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c) Das Landgericht ist schließlich auch zutreffend davon ausgegangen, dass die
Geschäftsreisen vom 16. und 21.7. sowie vom 04.08.2008 nicht im Sinne von § 46 Abs.
1 RVG zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit erforderlich waren. Die
hierfür geltendgemachten Fahrtkosten und das Abwesenheitsgeld sind nicht
erstattungsfähig. Die Vorschrift des § 46 RVG bezweckt ungeachtet der Beweislastregel
in Abs. 1 eine Eingrenzung der Möglichkeit des beigeordneten (oder bestellten)
Anwalts, Auslagen geltend zu machen; sie dient damit auch der Kostendämpfung. Bei
der Frage nach der Erforderlichkeit von Auslagen ist der allgemeine Kostengrundsatz zu
berücksichtigen, dass jede Partei und daher auch der für sie tätige Anwalt die Kosten
und Auslagen möglichst niedrig halten müssen. Als Richtschnur kann die Antwort auf
die Frage dienen, ob eine nicht bedürftige Partei in gleicher Weise die Auslagen auch
gemacht hätte (vgl Gerold/Schmidt-von Eicken, a.a.O., § 46 Randnr. 2, 3; Hartmann,
a.a.O., § 46 RVG Randnr. 2,14).
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An diesen Grundsätzen gemessen waren die Fahrten vom 16.07.und 04.08.2008, die im
Wesentlichen der Tatortbesichtigung gedient haben, auch bei der gebotenen ex-ante-
Betrachtung nicht erforderlich. Kosten einer Informationsreise werden regelmäßig nur
bei besonderen Umständen erstattungsfähig sein, die hier nicht ersichtlich sind. Das
Landgericht hat insoweit zutreffend auf den ausführlichen Tatortfundbericht vom
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24.04.2008 und die hierzu gefertigten Lichtbilder hingewiesen, zu denen der
Beschwerdeführer bei Bedarf ggfs den Angeklagten ergänzend hätte befragen können,
ohne dass damit die Verteidigungsrechte unzumutbar eingeschränkt worden wären.
Was die Suche nach einem Entlastungszeugen angeht, erschließt sich dem Senat nicht,
zu welchem Erfolg eigene Ermittlungen des Beschwerdeführers ins Blaue hinein hätten
führen können; der Beschwerdeführer macht denn auch keinerlei Angaben dazu, was er
vor Ort in dieser Richtung unternommen hat.
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Im Übrigen ist auf das Feststellungsverfahren nach § 46 Abs. 2 RVG zu verweisen, das
dem Verteidiger die Prüfung der Erforderlichkeit einer Auslage und dem der Partei die
Prüfung, ob er eine Auslage selbst bezahlen will, erleichtert. Auch dieser Gesichtspunkt
ist bei der Auslegung des Abs. 1 mitzubeachten (Hartmann, a.a.O., § 46 Randnr. 29).
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Die Fahrt vom 21.07.2008 zum Berichterstatter, um mit ihm "ein Vorgespräch" zur Frage
einer möglichen Haftverschonung zu führen, kann schon deswegen nicht als erforderlich
angesehen werden, weil sich für das Gericht – und erst recht für einzelne Mitglieder des
Spruchkörpers – einseitige persönliche Gespräche mit der Verteidigung ohne
Beteiligung der Staatsanwaltschaft in aller Regel verbieten, weil sie mit einem
rechtsstaatlich geordneten Verfahren nicht in Einklang zu bringen sind. Sofern die
Verteidigung es nicht bei einer schriftsätzlicher Stellungnahme belassen will, bietet den
gesetzlich vorgesehenen Rahmen für ggfs auch mündliche Erörterungen der Haftfrage
die Haftprüfung nach §§ 117 ff StPO.
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