Urteil des OLG Köln vom 22.06.1999
OLG Köln: gehweg, zustand, gemeinde, gebäude, geschäft, breite, beweiswürdigung, zeugnis, mitverschulden, unfall
Oberlandesgericht Köln, 13 U 64/99
Datum:
22.06.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 U 64/99
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 117/98
Normen:
BGB § 823;
Leitsätze:
1. Die Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsbetreibers für den Zu-
und Abgangsbereich seines Geschäfts erstreckt sich auch auf ein zur
Abdeckung eines Kellerschachtes dienendes Gitterrost, das zwar im
öffentlichen Gehweg, jedoch im Antrittsbereich einer Stufe liegt, die den
erhöhten Eingangsbereich des Geschäfts vom Gehweg abhebt. 2. Die
betriebsspezifische Verkehrssicherungspflicht (hier bei einem 10 x 10
cm großen Loch im Gitterrost) tritt ggf. neben diejenige der Gemeinde
(für den öffentlichen Gehweg) sowie des Hauseigentümers und
Vermieters (für den zum Gebäude gehörenden Kellerschacht).
Rechtskraft:
unanfechtbar
Tenor:
Der Klägerin wird zur Durchführung der beabsichtigten Berufung gegen
das Urteil des Landgerichts Aachen vom 16. März 1999 - 10 O 117/98 -
ratenfreie Prozeßkostenhilfe bewilligt und zur vorläufig unentgeltlichen
Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz Rechtsanwalt Dr. G. W., J.-
M.-Straße 50, K., als Prozeßbevollmächtigter beigeordnet.
G r ü n d e
1
Dem Antrag der Klägerin, ihr für die beabsichtigte Berufung gegen das
klageabweisende Urteil des Landgerichts Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, ist
stattzugeben. Das Rechtsmittel der Klägerin, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht aufbringen kann,
verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).
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Nach ihrer Darstellung wollte die Klägerin am 11.03.1995 das Geschäftslokal der
Beklagten in H. aufsuchen. Unmittelbar vor dem durch eine Stufe vom öffentlichen
Gehweg erhöht abgesetzten, mehrere Meter breiten und ca. 2m tiefen plattierten
Eingangsbereich befinden sich in größerem Abstand zwei in die Gehwegsplattierung
eingelassene Gitterroste, die zum Gebäude gehörende Kellerschächte abdecken. Nach
ihrer Darstellung ist die Klägerin in dem nahe der rechten Eingangstür gelegenen,
inzwischen - angeblich weder auf Veranlassung der Beklagten noch der Gemeinde -
erneuerten Gitterrost mit dem Absatz ihres rechten Schuhs in einem ca. 10 x 10 cm
großen Loch hängengeblieben und gestürzt. Wegen der hierbei erlittenen Verletzungen
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und deren Folgen nimmt sie, nachdem die Stadt H. ihre Verantwortung für einen
verkehrswidrigen Zustand des Gitterrostes abgelehnt und die Klägerin auf die
Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsinhabers verwiesen hat, die Beklagte auf
Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, Ersatz materiellen Schadens in
Höhe von 63.011,90 DM sowie Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz
des materiellen und immateriellen Zukunftsschadens in Anspruch. Das Landgericht hat
die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei für den baulichen Zustand
des öffentlichen Gehweges und damit auch für den Zustand der darin integrierten
Gitterroste nicht verantwortlich; der Unfall beruhe auch nicht auf betriebsspezifischen
Risiken, für welche die Beklagte eine erweiterte Verkehrssicherungspflicht treffen
könne.
Diese Begründung des Landgerichts hält einer Überprüfung nicht stand. Unabhängig
von einer in Betracht kommenden gesamtschuldnerischen Mithaftung der Gemeinde wie
auch des Gebäudeeigentümers ist die Beklagte als Betreiberin des dortigen Geschäfts
im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht ebenfalls verantwortlich dafür, daß ihre
Kunden gefahrlos und sicher den durch eine Stufe abgesetzten Eingangsbereich
betreten können. Dazu gehört auch der sichere Zustand eines im Antrittsbereich in den
öffentlichen Gehweg eingelassenen Gitterrostes. Die auf der Verkehrseröffnung
beruhende Verkehrssicherungspflicht eines Geschäftsbetreibers für den Zu- und
Abgangsbereich endet nicht ohne weiteres an der Grundstücksgrenze, sondern kann
sich auch auf Gefahrenbereiche erstrecken, die bereits in öffentlichen Verkehrsflächen
liegen. So wird bereits seit Jahrzehnten in den Baudurchführungsverordnungen
mehrerer Bundesländer - und zwar ausdrücklich im Hinblick auf die Verkehrssicherung -
die sichere Abdeckung von Keller- und Betriebsschächten unabhängig davon verlangt,
ob sie "in oder an" öffentlichen Verkehrsflächen liegen (vgl. BGH VersR 1976, 149 und
NJW 1990, 1236 m. Nachw.). In gleicher Weise kann den Betreiber eines Geschäfts
eine Verkehrssicherungspflicht für den Zustand eines Gitterrostes treffen, das unterhalb
eines zum Eingangsbereich gehörenden Sockels angebracht ist (vgl. OLG Köln, OLGR
1998, 292 = VersR 1999, 243). Da das zur Abdeckung des Kellerschachtes dienende
Gitterrost hier im Antrittsbereich der Stufe liegt, die den erhöhten Eingangsbereich vom
öffentlichen Gehweg abhebt, ist es fraglos noch dem Zu- und Abgangsbereich des
Geschäftslokals zuzurechnen, auf den sich die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten
erstreckt (unbeschadet konkurrierender Pflichten der Gemeinde aufgrund ihrer
allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für den öffentlichen Gehweg sowie des
Hauseigentümers und Vermieters aufgrund seiner Verkehrssicherungspflicht für die
Abdeckung der zum Gebäude gehörenden Kellerschächte). Ob diese
betriebsspezifische Verkehrssicherungspflicht der Beklagten auch solche
Sicherungsmaßnahmen umfaßt, über die in den oben genannten BGH-Entscheidungen
zu befinden war (Sicherung gegen unbefugtes Abheben von Abdeckrosten), mag
dahinstehen. An ihrer (gesamtschuldnerischen) Mitverantwortung gegenüber der
Klägerin für einen derartigen verkehrswidrigen Zustand des Gitterrostes, wie er von der
Klägerin als Unfallursache behauptet und durch Zeugnis ihrer Mutter sowie ihres
Ehemannes unter Beweis gestellt worden ist, ist jedenfalls nicht vorbeizukommen. Es ist
auch nicht maßgeblich, daß sich das Gitterrost nicht über die gesamte Breite der
Eingangstür zum Geschäft der Beklagten erstreckt und nicht zwingend zum Betreten des
geräumigen Eintrittsbereichs benutzt werden muß; das in Rede stehende Gitterrost liegt
jedenfalls so vor dem gesamten Eingangsbereich, daß eine Benutzung dieses Rostes
von Kunden, die den Eingangsbereich betreten oder verlassen wollen, als An- oder
Auftritt naheliegt. Daran müssen sich daher auch die insoweit an die Beklagte zu
stellenden Sicherheitsanforderungen messen lassen. Erst nach Erhebung der
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angebotenen Beweise und Klärung des Unfallhergangs läßt sich schließlich ein
etwaiges Mitverschulden der Klägerin beurteilen. Unabhängig davon, ob sich
Widersprüchlichkeiten in der vorprozessualen Schilderung des Unfallhergangs durch
die Klägerin nicht ohne weiteres mit sprachlichen Schwierigkeiten erklären lassen,
können solche Umstände jedenfalls erst im Rahmen der Beweiserhebung und
Beweiswürdigung zum Haftungsgrunde von Bedeutung sein, nicht jedoch dazu
berechtigen, die Erfolgsaussichten der zweitinstanzlichen Rechtsverfolgung von
vornherein zu verneinen.