Urteil des OLG Köln vom 23.10.1995
OLG Köln (dispositionen treffen, kläger, behandlung, versicherer, gebühr, zahnarzt, patient, durchschnitt, liquidation, umfang)
Oberlandesgericht Köln, 5 U 52/96
Datum:
23.10.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 52/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 73/93
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 24.01.1996 verkündete
Schlußurteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 73/93 -
unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Der Beklagte wird
verurteilt, an die Kläger weitere 11.049,74 DM nebst 4 % Zinsen seit
dem 01.10.1992 sowie 10,00 DM Mahnkosten zu zahlen. Im übrigen
wird die Klage abgewiesen, soweit über die ihr zugrundeliegenden
Ansprüche nicht durch Vollstreckungsbescheid vom 19.07.1993 zum
Mahnbescheid des Amtsgerichts Hagen vom 05.02.1993 - AZ:
93205514601 - entschieden worden ist. Die Kosten des Rechtsstreits
erster Instanz tragen die Kläger zu 29 % und der Beklagte zu 71 %,
soweit darüber nicht bereits durch den vorbezeichneten
Vollstreckungsbescheid entschieden ist. Die Kosten des
Berufungsrechtszugs tragen die Kläger zu 43 % und der Beklagte zu 57
%. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die form- und fristgerecht eingelegte und prozeßordnungsgemäß begründete Berufung
ist in der Sache teilweise gerechtfertigt.
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Den Klägern steht aus der streitgegenständlichen Zahnbehandlung gegen den
Beklagten noch ein Honoraranspruch von insgesamt 11.049,74 DM zu. Die Abweichung
vom erstinstanzlichen Erkenntnis beruht darauf, daß der Senat sämtliche
Rechnungspositionen, bei denen die Kläger mehr als den Regelhöchstsatz in Ansatz
gebracht haben, auf das 2,3-fache des Gebührensatzes gekürzt hat. Eine höhere
Gebühr steht den Klägern nämlich nicht zu.
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Wie der Senat bereits mit Urteil vom 21.08.1996 - 5 U 196/95 - entschieden hat, folgt aus
§ 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ, daß eine Gebühr in der Regel nur zwischen dem einfachen und
dem 2,3-fachen des Gebührensatzes bemessen werden darf. Die Bemessung nach dem
Regelhöchstsatz setzt bereits einen über dem Durchschnitt liegenden
Schwierigkeitsgrad der Behandlung oder einen über dem Durchschnitt liegenden
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Zeitaufwand voraus. Solche Besonderheiten liegen erfahrungsgemäß häufig vor. Davon
geht auch die GOZ aus, denn sie fordert vom Behandler keine gesonderte
Rechtfertigung, wenn er den Regelhöchstsatz liquidiert. Dementsprechend erstatten
private Krankenversicherer oder auch Beihilfestellen regelmäßig Gebühren bis zum
Regelhöchstsatz, ohne die Berechtigung in jedem Einzelfall nachzuprüfen. Die
Erwartungshaltung des durchschnittlichen Patienten, der als Selbstzahler zwar
regelmäßig krankenversichert ist, aber doch häufig einen nicht unwesentlichen Anteil
der Kosten durch eine Versicherung nicht abgedeckt hat, orientiert sich ebenfalls daran,
d.h. er wird von vornherein damit rechnen, daß eine Gebühr nach dem 2,3-fachen des
Satzes entstehen kann. Anders ist dies, wenn der Arzt eine über den Regelhöchstsatz
liegende Gebühr beansprucht. Dies ist nur bei einer außergewöhnlichen Besonderheit
zulässig und bedarf einer schriftlichen Begründung (§ 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ). Eine
weitere Voraussetzung für die Erhebung einer über der Regelspanne liegenden Gebühr
besteht bei der Privatliquidation darin, daß der Zahnarzt den Patienten vor der
kostenverursachenden Behandlung darauf hinweist, es sei mit einer
außergewöhnlichen Besonderheit zu rechnen, die eine höhere Gebühr erfordere, es sei
denn, daß dies schlechthin nicht voraussehbar ist und sich erst während der
Behandlung, gleichsam intraoperativ, ergibt. Eine solche vorherige Hinweispflicht folgt
zwar nicht aus den Bestimmungen der GOZ; nach Ansicht des Senats ergibt sich dies
aber als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag. Für den Patienten stellt sich eine
Zahnbehandlung wegen der nicht selten beträchtlichen Kosten und des Umstandes,
daß er häufig einen erheblichen Teil davon nicht auf einen Versicherer überwälzen
kann, zunehmend als ein Faktor dar, den er bei seiner privaten Lebensführung
einzukalkulieren hat. Er muß deshalb wissen, welche Kosten warum voraussichtlich
entstehen werden. Da die Kosten wesentlich auch davon beeinflußt werden, welchen
Multiplikator der Behandler jeweils voraussichtlich im Sinne von § 5 Abs. 1 GOZ für
angemessen hält, hat der Patient Anspruch darauf, auch darüber vorab unterrichtet zu
werden, schon um Gelegenheit zu haben, sich in anderweitige kostengünstigere
Behandlung zu begeben. Ob im Einzelfall nämlich eine außergewöhnliche
Besonderheit im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 5 GOZ vorliegt, unterliegt einer wertenden
Betrachtung und hängt in der Praxis nicht selten auch vom fachlichen Können und der
Geschicklichkeit des Behandlers ab. Es entspricht der Erfahrung, daß verschiedene
Zahnärzte für gleiche Leistungen in bezug auf die Gebührenhöhe durchaus
unterschiedliche Vergütungen beanspruchen. Der Senat vermag nicht zu erkennen,
warum es dem Zahnarzt gestattet sein soll, den Patienten erst nach Abschluß der
Behandlung mit besonders hohen, nämlich sogar über dem Regelhöchstsatz liegenden
Gebühren "zu überraschen".
Die Rechtsfolgen der Verletzung der Hinweispflicht bestehen darin, daß der Behandler
in der abschließenden Liquidation den Regelhöchstsatz nicht überschreiten darf, weil
dies stillschweigend als ausgeschlossen gilt.
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Im Streitfall kommt hinzu, daß die Kläger in dem vor Behandlungsbeginn erstellten Heil-
und Kostenplan bei keiner der darin aufgeführten Leistungen konkret auch nur in
Erwägung gezogen haben, es könne zu einer Überschreitung des Regelhöchstsatzes
kommen, obwohl ihnen der Zustand des Gebisses in allen Einzelheiten bekannt war,
weil sich der Beklagte seit mehr als 5 Jahren in ihrer zahnärztlichen Behandlung
befunden hatte. Auch der im Heil und Kostenplan aufgenommene abschließende
Hinweis, die Höhe des Faktors sei unverbindlich und richte sich innerhalb des
Gebührenrahmens nach der Schwierigkeit, dem Zeitaufwand sowie den Umständen bei
der Ausführung der einzelnen Leistung, ändert daran nichts. Abgesehen davon, daß bei
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dieser Formulierung eher anzunehmen ist, es könne bei einzelnen Leistungen zu einem
Unterschreiten des Regelhöchstsatzes kommen, weil schlechterdings nicht
nachzuvollziehen ist, warum bei sämtlichen Positionen eine über dem Durchschnitt
liegende Schwierigkeit vorliegen oder ein über dem Durchschnitt liegender Zeitaufwand
erforderlich sein soll, was allein den durchweg in Ansatz gebrachten Faktor von 2,3
rechtfertigen könnte, fehlt jeglicher Hinweis auf eine gegebene oder möglicherweise
auftretende außergewöhnliche Besonderheit im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 5 GOZ.
Soweit die Kläger im Anschluß an die mündliche Verhandlung nunmehr vortragen, die
Schwierigkeiten, die Anlaß zur Erhöhung des Faktor über dem im Heil- und Kostenplan
ausgewiesenen Ansatz hinaus geboten hätten, seien erst wärend der Behandlung
erkennbar gewesen, nötigt dies nicht dazu, die mündliche Verhandlung
wiederzueröffnen. Zum einen behaupten sie nicht, daß es sich gerade um
außergewöhnliche Besonderheiten und nicht (bloß) überdurchschnittlich schwierige
oder zeitaufwendige Behandlungssituationen gehandelt hat; zum anderen ist nicht
dargetan, daß mit dem Auftreten dieser Besonderheiten schlechterdings nicht gerechnet
werden konnte. Da den Klägern sowohl der Kariesbefall des Gebisses als auch der
Verlust gesunder Zahnsubstanz bekannt war und sie allenfalls über deren Umfang im
Umklaren sein konnten, hätte ihnen klar sein müssen, daß mit Besonderheiten
gerechnet werden mußte. Gleiches gilt im Ergebnis für die Wurzelkanalbehandlungen.
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Nach Kürzung der Gebühren auf das 2,3-fache ergibt sich ein zahnärztliches
Gesamthonorar von 16.059,31 DM. Davon sind im Wege der Fortschreibung des
insoweit nicht angegriffenen erstinstanzlichen Erkenntnisses die vom Landgericht
bereits vorgenommenen Kürzungsbeträge abzuziehen, so daß ein Betrag von 15.542,98
DM verbleibt. Hinzuzurechnen sind die Labor- und Materialkosten, so daß sich ein
Gesamthonorar von 28.931,69 DM ergibt. Davon sind wiederum 17.881,95 DM durch
Vollstreckungsbescheid tituliert, so daß 11.049,74 DM nebst 4 % Zinsen, wie erkannt,
verbleiben.
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Die Kläger meinen zu Unrecht, der Beklagte müsse ihre Liquidation schon deshalb in
vollem Umfang bezahlen, weil er die Rechnungen bei seinem Versicherer eingereicht
und als Erstattungsbetrag 80 % des Rechnungsendbetrages vereinnahmt habe. Der
Beklagte hat dadurch, daß gegenüber seinem Krankenversicherer Erstattung nach
Maßgabe des gesamten ihm in Rechnung gestellten Honorars verlangt hat, die
Berechtigung der Liquidation nicht gegenüber den Klägern anerkannt. Es mag sein, daß
er damit den Leistungsumfang anerkannt hat (der zweitinstanzlich auch gar nicht mehr
im Streit steht); gleiches gilt aber nicht in bezug auf die in Ansatz gebrachten Positionen
nach der GOZ und dem beanspruchten Faktor. Als Laie konnte er die Berechtigung
insoweit nicht ohne weiteres überprüfen. Der Patient wird regelmäßig zunächst
abwarten, wie sich der insoweit sachkundige Versicherer verhält. Kürzt der Versicherer,
hat auch der Patient hierzu gegenüber dem Zahnarzt Anlaß. Erstattet der Versicherer in
vollem Umfang, kann der Patient dies auch gegenüber dem Zahnarzt akzeptieren. Es
bleibt ihm aber auch unbenommen, Einwendungen gegenüber dem Zahnarzt geltend zu
machen, wie es hier der Beklagte getan hat. Freilich wird er dann, sofern er Erfolg hat,
noch einmal mit seinem Versicherer abrechnen müssen. Darüber ist aber in diesem
Rechtsstreit nicht zu entscheiden.
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3.
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Auch der Beklagte hat freilich mit seinem Einwand, er brauche nur eine maßvolle
Überschreitung des Heil- und Kostenplans nach Maßgabe der zu § 650 BGB
ergangenen Rechtsprechung hinzunehmen, keinen Erfolg. Der Heil- und Kostenplan
steht rechtlich einem Kostenvoranschlag im Sinne von § 650 BGB nicht gleich. § 650
BGB ist eine Sondervorschrift des Werkvertragsrechts, die auf das Dienstvertragsrecht,
das im Streitfall gilt, nicht anzuwenden ist. Allerdings dient ein Heil- und Kostenplan
auch dazu, den Privatpatienten über die voraussichtlichen Kosten zu informieren, damit
er entsprechende wirtschaftliche Dispositionen treffen kann. Weicht der Zahnarzt davon
eigenmächtig ab, kann dies deshalb zu Schadensersatzansprüche nach den
Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung führen. Ein ersatzfähiger Schaden ist im
Streitfall indessen nicht dargetan. Der Beklagte hat den vom Heil- und Kostenplan
abweichende Leistungsumfang (Überkronung von weiteren drei Zähnen,
konservierende und chirurgische Leistungen) akzeptiert. Die Höhe des Faktors hat der
Senat auf 2,3 gekürzt. Damit ist das Honorar für die zahnärztlichen Leistungen nicht zu
beanstanden. Die Labor- und Materialkosten hatten die Kläger ursprünglich mit
voraussichtlich 9.600,00 DM veranschlagt. Tatsächlich haben sich rund 13.200,00 DM
ergeben. Da darin allerdings auch die Mehrkosten für drei weitere Zähne enthalten sind,
halten sich die Kosten im Ergebnis noch im Rahmen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Wert der Beschwer für beide Parteien: unter 60.000,00 DM
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