Urteil des OLG Köln vom 18.12.1991

OLG Köln (hund, zpo, schmerzensgeld, umfang, dauer, umstände, beschwer, tier, mitverschulden, höhe)

Oberlandesgericht Köln, 13 U 217/91
Datum:
18.12.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 217/91
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 329/90
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung ihres
Rechtsmittels im übrigen - das am 26. Juni 1991 verkündete Urteil des
Landgerichts Aachen - 10 0 329/90 - teilweise abgeändert und wie folgt
neu gefaßt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 3.000,00
nebst 4 % Zinsen seit dem 26.03.1990 zu zahlen. Im übrigen wird die
Klage abgewiesen. Die Kosten des ersten Rechtszuges werden der
Klägerin zu 60 % und der Be-klagten zu 40 %, diejenigen der
Berufungsinstanz der Klägerin zu 40 % und der Be-klagten zu 60 %
auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die zulässige Berufung ist nur teilweise begründet.
2
Die Klägerin hat wegen der ihr in der Sylvester-nacht 1989/1990 durch den Hund der
Beklagten im Gesicht zugefügten Bißverletzungen Anspruch auf Zahlung eines
Schmerzensgeldes in Höhe von DM 3.000,00 gemäß §§ 833 Satz 1, 847 BGB. Der
Hergang des Vorfalls ist im Anschluß an die Beweis-aufnahme im wesentlichen
unstreitig. Jedenfalls ist aber nach der Aussage der Zeugin Q. davon auszugehen, daß
die Klägerin den Hund nicht nur gestreichelt hat, sondern daß sie ihn auch um den Hals
gefaßt hat, und zwar "um mit ihm zu schmusen". Im Anschluß daran hat sie dann der
Hund gebissen. Damit hat sich - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - die von
dem Hund ausgehende typi-sche Tiergefahr verwirklicht. Der Höhe nach hält der Senat -
in Abweichung von dem Landgericht - ein Schmerzensgeld von insgesamt DM 3.000,00
zum Ausgleich des erlittenen immateriellen Schadens für angemessen (§ 287 ZPO). Bei
der Bemessung des Schmerzensgeldes sind dessen Funktionen zu berück-sichtigen,
nämlich grundsätzlich die Genugtuungs- und die Ausgleichsfunktion (BGHZ 18, 149,
154). Bei der hier vorliegenden Gefährdungshaftung des § 833 BGB steht allerdings die
Ausgleichsfunktion im Vor-dergrund, während die sogenannte Genugtuungsfunk-tion in
den Hintergrund oder aber ganz zurücktritt (vgl. OLG Saarbrücken, VersR 1988, 752,
753). Dem-gemäß war das Ausmaß der von der Klägerin infolge des
Schadensereignisses erlittenen Beeinträchtigun-gen ganz wesentlich zu
berücksichtigen, wie Umfang und Schwere der psychischen und physischen Störun-
gen, das Maß der Lebensbeeinträchtigung, Größe, Dauer und Heftigkeit der Schmerzen
und Entstellun-gen, Dauer der ärztlichen Behandlung, die Fraglich-keit endgültiger
3
Heilung sowie das Mitverschulden der Geschädigten. Die insoweit zu berücksichtigen-
den Umstände des konkreten Falles hat das Landge-richt im Anschluß an das
medizinische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. H. zutreffend dargestellt,
soweit Zustand und Folgen bei der Klä-gerin im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhand-lung vor dem Landgericht einzuschätzen waren; auf die entsprechenden
Ausführungen in den Entschei-dungsgründen des angefochtenen Urteils (S. 5, 6 UA)
wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genom-men, § 543 Abs. 1 ZPO.
Der Senat hat - da seitdem immerhin ein Zeitraum von mehr als acht Monaten
verstrichen ist - zur Aufklärung des Sachverhalts (§§ 139, 141 ZPO) die Narben im
Gesicht der Klägerin selbst in Augen-schein genommen und dabei feststellen können,
daß in der Zwischenzeit offenbar die Heilung - erfreu-licherweise - Fortschritte gemacht
hat, weil die Narbe im Bereich der Nasolabialfalte noch reizlo-ser (da nur noch bei
genauem Hinsehen erkennbar) geworden ist und auch der Reizzustand der Narbe im
Bereich des Jochbeines abgenommen hat (wenngleich diese Narbe noch deutlich
gerötet war).
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In erheblicher Weise mindernd wirkt sich im Rah-men der Schmerzensgeldbemessung
das der Klägerin anzulastende Mitverschulden aus (§ 254 BGB). Die Klägerin hat sich
dem Tier in vorwerfbarer Weise so genähert, daß dessen Reaktion zu befürchten war.
Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung bezüglich der Unberechenbarkeit tierischen
Verhaltens, daß ein Hund, der von einer ihm nicht vertrauten Person um den Hals gefaßt
wird, Angst bekommen und als Ab-wehrreaktion zubeißen kann. Diese Reaktion war für
die Klägerin - die damals nahezu volljährig war - vorhersehbar, auch wenn sie zuvor
gesehen hatte, daß andere Personen den Hund streichelten, ohne daß dieser böswillig
reagiert hätte. Dementsprechend hat auch die Klägerin selbst bereits in der Klage-schrift
vorgetragen, es sei davon auszugehen, daß der Hund sowohl durch die erhebliche
Geräuschkulis-se als auch durch das ständige Kommen und Gehen von Gästen an der
Toilettenanlage "in erheblicher Weise beunruhigt worden ist". Dieser Umstand gibt aller-
dings auf der anderen Seite Veranlassung, auch den Verursachungsanteil der
Beklagten im Rahmen der Ab-wägung nach § 254 BGB keinesfalls als gering zu be-
werten. Sie hat, obwohl erst zwei Tage Halterin des Hundes, das Tier an diesem Abend
in die Obhut der früheren Halterin gegeben, obwohl sie wußte, daß in deren Haus eine
Party stattfand. Etwaige Vorsichts-maßnahmen hat sie nicht angeordnet, sondern dies
der früheren Halterin überlassen; darin ist jeden-falls eine nicht unerhebliche
Sorglosigkeit zu se-hen, die - unabhängig von der Frage eines Verschuldens im
Rechtssinne - den ihr zurechenbaren Verusachungsanteil erhöht.
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Läßt man diese Umstände des Mitverschuldens der Klägerin und der beiderseitigen
Mitverursachungs-anteile in dem gebotenen Umfang als Bemessungs-faktoren in die
Gesamtabwägung einfließen - der Ersatzpflichtige haftet nämlich entgegen der Ansicht
des Landgerichts nicht auf die entsprechende Quote eines angemessenen
Schmerzensgeldes, sondern auf ein Schmerzensgeld, das unter Berücksichtigung des
Mithaftungsanteils angemessen ist (vgl. BGH VersR 1970, 624, 625; 1984, 739, 740,
ständige Rechtsprechung) -, so erscheint dem Senat insgesamt ein Schmerzensgeld
von DM 3.000,00 angemessen.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus Verzug (§§ 288, Abs. 1, 284 f BGB).
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr.
10, 713 ZPO.
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Streitwert der Berufung: DM 3.000,00.
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Beschwer der Klägerin: DM 1.200,00.
10
Beschwer der Beklagten: DM 1.800,00.
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