Urteil des OLG Köln vom 14.01.2009
OLG Köln: reisekosten, verdienstausfall, entschädigung, rechtsverweigerung, fahrtkosten, vertreter, wahrscheinlichkeit, entsendung, beweismittel, verfügung
Oberlandesgericht Köln, 17 W 201/08
Datum:
14.01.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
17. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 W 201/08
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 87 O 260/02
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin werden der
Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers bei dem Landgericht
Köln vom 26.03.2008 sowie der teilabhelfende Beschluss vom
18.06.2008 teilweise abgeändert.
Aufgrund des Urteils der 7. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Köln vom 24.07.2007 sind von der Beklagten weitere 70,93
€ nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB seit dem 20.09.2007 an die Klägerin zu erstatten.
Der Rechtspfleger bei dem Landgericht Köln wird angewiesen, nunmehr
umgehend über das Kostenfestsetzungsgesuch der Klägerin betreffend
die Reisekosten ihres Prokuristen infolge der Teilnahme an den
Gerichtsterminen vom 18.02.2003, 11.07.2003, 30.09.2003, 09.03.2004
und 26.06.2007 zu entscheiden.
Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Rechtspfleger bei
dem Landgericht Köln zu entscheiden.
G r ü n d e
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I.
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Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 18.09.2007 Kostenausgleichung beantragt und
hierbei Kosten in Höhe von 7.269,98 € angemeldet, die sich aus den Gebühren ihres
Prozessbevollmächtigten, dessen Reisekosten und Abwesenheitsgeldern sowie
Reisekosten und Verdienstausfall der Partei selbst zusammensetzten.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26.03.2008 hat der Rechtspfleger des
Landgerichts die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 2.770,48
€ festgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, von den seitens der Klägerin
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angemeldeten Kosten könnten allein 5.426,00 € berücksichtigt werden, nämlich die
Rechtsanwaltsgebühren nebst Postpauschalen sowie die Abwesenheitsgelder des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die indes um 13,00 € zu kürzen seien. Der von
der Klägerin geltend gemachte Verdienstausfall, den diese für die Wahrnehmung von 5
Gerichtsterminen durch ihren Prokuristen beanspruche, sei abzusetzen, weil dem
Prokuristen der Klägerin ein Verdienstausfall nicht entstanden sei. Über die Fahrtkosten
des Prozessbevollmächtigten sowie des Vertreters der Klägerin könne nicht
entschieden werden, da Originalbelege trotz Aufforderung nicht eingereicht worden
seien.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 24.04.2008 zugestellten
Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz vom selben Tag, bei
Gericht eingegangen am 25.04.2008 sofortige Beschwerde eingelegt und ausgeführt,
die sofortige Beschwerde richte sich gegen die nicht festgesetzten Teilbeträge der
Reisekosten. Nicht weiter verfolgt werde der Antrag im Hinblick auf die zu hoch
angesetzten Abwesenheitsgelder ihres Prozessbevollmächtigten sowie im Hinblick auf
den Verdienstausfall der Termine im Jahre 2003 und 2004. Aufrecht erhalten bleibe der
Antrag dagegen im Hinblick den Verdienstausfall des Herrn Weis für den Termin am
26.06.2007 sowie hinsichtlich der Abwesenheitsgelder, die auch der Partei zustünden.
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Mit weiterem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.06.2008 hat der Rechtspfleger des
Landgerichts die von der Beklagten zu erstattenden Fahrtkosten der
Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf 63,95 € festgesetzt. Durch Beschluss vom
selben Tag hat er der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen und ausgesprochen,
dass von der Beklagten weitere 76,00 € an die Klägerin zu erstatten seien. Zur
Begründung hat er ausgeführt, anstelle des Verdienstausfalles des Prokuristen der
Klägerin für die Wahrnehmung von fünf Terminen zu je acht Stunden werde die
Zeitversäumnis nach §§ 19 Abs. 1 Nr. 4, 20 JVEG ausgeglichen.
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II.
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Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg.
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1.
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Soweit sich die sofortige Beschwerde gegen die Nichtbescheidung der von der Klägerin
geltend gemachten Reisekosten richtet, ist sie als Untätigkeitsbeschwerde zulässig.
Dem steht nicht entgegen, dass eine Entscheidung im Sinne von § 567 Abs. 1 ZPO über
die geltend gemachten Reisekosten von dem Rechtspfleger des Landgerichts noch
nicht getroffen worden ist. Zwar geht das Rechtsmittelsystem der ZPO davon aus, dass
ein Rechtsmittel den Erlass einer Entscheidung voraussetzt, die mit diesem angefochten
wird; denn das Rechtsmittel dient der Überprüfung einer Entscheidung, nicht deren
Herbeiführung (vgl. Gummer in: Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 567 Rdnr. 21). Nach einer im
Vordringen befindlichen Auffassung, welche von dem Senat geteilt wird, ist jedoch eine
außerordentliche Beschwerde wegen Untätigkeit eröffnet, wenn Veranlassung zu der
Annahme besteht, dass das Erstgericht durch eine sachlich nicht mehr zu
rechtfertigende Untätigkeit einen der Rechtsverweigerung gleichkommenden
Verfahrensstillstand herbeigeführt hat (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht
Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1290 f. und MDR 1997, 1062 f., jeweils zitiert nach juris;
OLG Köln NJW-RR 1999, 290 f., zitiert nach juris; Gummer in: Zöller, a.a.O.). Diese
Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
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Der Rechtspfleger hat durch seine gesamte Verfahrensweise zum Ausdruck gebracht,
dass er nicht beabsichtigt, vor der Einreichung von Originalbelegen über die von der
Klägerin zur Kostenausgleichung angemeldeten Reisekosten ihres Prokuristen zu
entscheiden. Hierdurch wird ein der Rechtsverweigerung gleichkommender
Verfahrensstillstand herbeigeführt. Denn die Klägerin hatte bereits mit Schriftsatz vom
18.03.2008 darauf hingewiesen, dass ihr nicht mehr sämtliche Originalbelege vorliegen
und sie diese deshalb auch nicht zur Akte reichen könne; zugleich hatte sie um die
Bescheidung des Antrags gebeten und in diesem Zusammenhang ausgeführt, sofern
der Rechtspfleger des Landgerichts weiterhin die Auffassung vertrete, dass bestimmte
Positionen nicht hinreichend belegt seien, möge er dies im Rahmen seiner
Entscheidung darlegen. Dadurch, dass der Rechtspfleger über die angemeldeten
Reisekosten im Beschluss vom 26.03.2008 gleichwohl mangels Vorlage von
Originalbelegen nicht entschieden hat, hat er der Klägerin zugleich die Möglichkeit
genommen, den von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkt zur Überprüfung durch das
Beschwerdegericht zu stellen und damit einen der Rechtsverweigerung
gleichkommenden Verfahrensstillstand herbeigeführt.
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In der Sache selbst führt die Untätigkeitsbeschwerde zu der Anweisung, nunmehr über
die von der Klägerin geltend gemachten Reisekosten ihres Prokuristen infolge der
Teilnahme an den Gerichtsterminen vom 18.02.2003, 11.07.2003, 30.09.2003,
09.03.2004 und 26.06.2007 zu entscheiden.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
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Auch wenn das formalisierte Kostenfestsetzungsverfahren im Interesse der
Rechtssicherheit klarer und praktikabler Berechnungsgrundlagen bedarf, bedeutet dies
auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht, dass Kosten, die nicht
ohne weiteres anhand der Gerichtsakten oder anderer Urkunden feststellbar sind, nicht
festsetzungsfähig sind. Zur Berücksichtigung eines Ansatzes genügt nach § 104 Abs. 2
S. 1 ZPO vielmehr grundsätzlich, dass er glaubhaft gemacht ist, wobei sich der
Rechtspfleger sämtlicher Beweismittel des § 294 Abs. 2 ZPO bedienen kann und muss
(vgl. BGH, Beschluss vom 04.04.2007, III ZB 79/06). Hierfür ist lediglich erforderlich,
dass die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Kostentatbestandes
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststehen (vgl. BGH, Beschluss vom
27.02.2007, XI ZB 38/05). In diesem Zusammenhang wird der Rechtspfleger auch zu
berücksichtigen haben, dass die Teilnahme des Prokuristen der Klägerin an den
einzelnen Gerichtsterminen durch die jeweiligen Verhandlungsprotokolle belegt ist.
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2.
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Die von der Klägerin weiter angemeldeten Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten
hat der Rechtspfleger des Landgerichts durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom
18.06.2008 festgesetzt; sie sind aufgrund dessen nicht mehr Gegenstand des
Beschwerdeverfahrens.
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3.
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Entsprechendes gilt hinsichtlich der von der Klägerin für die Teilnahme ihres
Prokuristen an den Gerichtsterminen vom 18.02.2003, 09.03.2004, 11.07.2003 und
30.09.2003 beanspruchten Abwesenheitsgelder. Insoweit hat der Rechtspfleger des
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Landgerichts mit Beschluss vom 18.06.2008 der sofortigen Beschwerde teilweise
abgeholfen hat, indem er der Klägerin 38/60 der Zeitversäumnisentschädigung nach §§
19 Abs. 1 Nr. 4, 20 JVEG in Höhe von jeweils 24,00 € zuerkannt hat.
4.
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Soweit die Klägerin für die Teilnahme ihres Prokuristen an dem Verhandlungstermin
vom 26.06.2007 Verdienstausfall in Höhe von 136,00 € beansprucht, ist die sofortige
Beschwerde begründet.
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Die der Partei durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene
Zeitversäumnis ist erstattungsfähig; entsprechendes gilt bei Handelsgesellschaften für
den Zeitaufwand ihrer gesetzlichen oder sonstigen Vertreter oder Mitarbeiter (vgl. Herget
in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rn. 13 "Zeitversäumnis" m.w.N.; vgl. auch den
Senatsbeschluss vom 28.07.1999, 17 W 70/99). Die Entschädigung bemisst sich unter
Berücksichtigung des von der Partei versäumten Erwerbs gemäß § 91 Abs. 1 S. ZPO
i.V.m. den Vorschriften des JVEG. Gemäß § 22 JVEG richtet sich die Entschädigung
nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu
tragenden Sozialversicherungsbeiträge und beträgt für jede Stunde höchstens 17,00 €.
Im Rahmen des § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO ist darauf abzustellen, welchen wirtschaftlichen
Wert die Tätigkeit des zum Termin entsandten Mitarbeiters für die Partei hatte (vgl. OLG
Karlsruhe, Beschluss vom 27.06.2005, 15 W 28/05, juris, Rn. 17). Bei dem Prokuristen
einer GmbH liegt der Wert der Arbeitszeit sicherlich über einem Stundensatz von 17,00
€, so dass der Klägerin der Zeitaufwand des Herrn X mit dem gesetzlichen Höchstsatz
zu entschädigen ist. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Rechtspflegers des
Landgerichts für die Entschädigung bei der Zeitversäumnis des Mitarbeiters einer
juristischen Person nicht darauf an, ob dem Mitarbeiter tatsächlich ein Verdienstausfall
entstanden ist. Insoweit ist dem Rechtspfleger zuzugeben, dass dem Mitarbeiter einer
Partei, der zu Wahrnehmung eines Gerichtstermins entsandt wird, in der Regel kein
Verdienstausfall entsteht, da die Wahrnehmung des Termins zur dienstlichen Tätigkeit
des Mitarbeiters gehört und im Rahmen des Dienstverhältnisses stattfindet. Andererseits
erleidet die Partei eine wirtschaftliche Einbuße, da ihr Mitarbeiter während der für den
Gerichtstermin aufgewendeten Zeit zu einer anderweitigen dienstlichen Tätigkeit für die
Partei nicht zur Verfügung steht. § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO ist daher nach Sinn und Zweck
dahingehend auszulegen, dass eine Entschädigung für Zeitversäumnis bei der
Entsendung eines Mitarbeiters zum Gerichtstermin nicht an einen Verdienstausfall des
Mitarbeiters geknüpft ist, sondern sich danach bemisst, mit welchem Stundensatz die
übliche Arbeitstätigkeit des Mitarbeiters für die Partei zu bewerten ist (Senatsbeschluss
vom 28.07.1999, 17 W 70/99; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 18).
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In Anbetracht der Termin- und Reisedauer stellt sich die geltend gemachte
Zeitversäumnis von 8 Stunden dem Umfang ohne weiteres als plausibel dar. Mithin
ergibt sich der geltend gemachte Entschädigungsbetrag von 136,00 €, der anteilig in
Höhe von 38/60 entsprechend 86,13 € zu erstatten ist. Da der Rechtspfleger des
Landgerichts im Rahmen des Beschlusses vom 18.06.2008 die für die Wahrnehmung
des Termins vom 26.06.2007 entstandene Zeitversäumnisentschädigung bereits auf
38/60 von 24,00 €, mithin 15,20 € festgesetzt hat, ergibt sich ein weiterer
erstattungsfähiger Betrag in Höhe von 70,93 €.
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