Urteil des OLG Köln vom 20.09.2005
OLG Köln: vernehmung von zeugen, unfall, blutalkoholkonzentration, absturz, bak, trunkenheit, zustand, versicherungsschutz, lebenserfahrung, aufmerksamkeit
Oberlandesgericht Köln, 5 W 111/05
Datum:
20.09.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 W 111/05
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 9 O 211/05
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Landgerichts Aachen vom 29.3.32005 3.5.2005 (9 O 211/05) wird
zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht und mit
zutreffender Begründung, auf die der Senat Bezug nimmt, Prozesskostenhilfe
verweigert. Das Vorbringen des Antragstellers im Rahmen der Beschwerdebegründung
rechtfertigt keine andere Beurteilung.
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Nach Ziffer 5.1.1. der AUB 2000 besteht kein Versicherungsschutz für Unfälle der
versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit sie auf
Trunkenheit beruhen. Unstreitig war der Antragsteller zum Unfallzeitpunkt im Zustand
der Trunkenheit. Er wies zwei Stunden nach dem Unfall noch eine
Blutalkoholkonzentration von 2,67 Promille auf. Da er nach seinem Sturz nicht mehr
nachgetrunken haben kann (er behauptet es auch nicht), bedeutet dies angesichts eines
Abbauwertes von mindestens 0,1 Promille/Stunde abzüglich einer zweistündigen
Anflutungsphase bei allerdings unbekanntem Zeitpunkt des letzten Alkoholkonsums,
dass die BAK zum Unfallzeitpunkt eher höher als 2,67 Promille gewesen dürfte,
keinesfalls aber niedriger gewesen sein kann. Dass bei einem solchen BAK-Wert ein
Zustand der Bewusstseinsstörung anzunehmen ist, steht fest und bedarf keiner
gesonderten einzelfallbezogenen Aufklärung. Eine alkoholbedingte
Bewusstseinsstörung liegt vor, wenn die Aufnahme- oder Reaktionsfähigkeit durch den
Alkohol so gestört ist, dass der Geschädigte den Anforderungen der konkreten
Gefahrenlage nicht mehr gewachsen ist (so schon RGZ 164, 49; BGH VersR 1962, 461;
BGH VersR 2000, 1090). In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass etwa für
die Teilnahme am Straßenverkehr eine leistungsausschließende Bewusstseinsstörung
für Kraftfahrer bei 1,1 Promille liegt, für Fahrradfahrer bei etwa 1,7 Promille und für
Fußgänger etwa bei 2,0 Promille (zahlreiche Nachweise bei Knappmann in
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Prölss/Martin § 2 AUB 94 Rn. 11). Bei diesen Werten ist die Möglichkeit des
Gegenbeweises ausgeschlossen. Auch wenn diese Werte nicht auf andere Lebens- und
Gefahrensituationen ohne weiteres übertragbar sind, so spricht doch nichts dagegen,
sie als Richtwerte zu übernehmen. Es ist jedenfalls aus Sicht des Senats nicht
zweifelhaft, dass der für Fußgänger angenommene Wert für eine absolute
Verkehrsuntauglichkeit auch für die Fähigkeit eines Fußgängers heranzuziehen ist,
einen unstreitig nicht ungefährlichen (nach eigenem Vortrag des Klägers glatten und
schmalen), körperliches Geschick und geistige Aufmerksamkeit erfordernden
Klettersteig im Elbsandsteingebirge zu meistern. Hier kommt hinzu, dass die tatsächlich
vorliegende Blutalkoholkonzentration beim Kläger den kritischen Wert von 2,0 Promille
noch einmal in ganz beträchtlicher Weise überschritt. Nur bei einem sehr
alkoholgewöhnten Menschen ist bei einem derart hohen Wert überhaupt noch von
irgendeiner Sinnestätigkeit auszugehen. Dass die Aufnahme-, Reaktions- und
Konzentrationsfähigkeit bezogen auf die konkrete Gefahrensituation aber sogar in
keiner Weise beeinträchtigt gewesen soll, wie der Kläger offenbar behaupten will, ist
abwegig und auszuschließen.
Die Bewusstseinstörung hat den Unfall auch zumindest mitverursacht. Mitursächlichkeit
ist ausreichend, um zum Ausschluss der Ziffer 5.1.1. zu führen (vgl. schon BGH VersR
1957, 509). Auch insoweit bedarf es keines gesonderten Nachweises durch eine
Vernehmung von Zeugen, durch Augenscheineinnahme oder durch
Sachverständigengutachten. Es ist vielmehr, worauf die Kammer zu Recht hingewiesen
hat, im Wege des Anscheinsbeweises davon auszugehen, dass die vorhandene
Bewusstseinsstörung den Unfall (mit-)verursacht hat. Der Anscheinsbeweis ist
anwendbar (BGHZ 18, 311; BGH NJW 1962, 1108). Es entspricht der allgemeinen
Lebenserfahrung und stellt einen typischen Lebenssachverhalt dar, dass eine
Blutalkoholkonzentration von 2,67 Promille und höher die Fähigkeit eines Menschen
drastisch reduziert, die Gefährlichkeit einer Situation (hier insbesondere eines
Abgrundes) zuverlässig einzuschätzen, und seine Bewegungen so zu kontrollieren,
dass ein Absturz vermieden wird. Wenn ein Volltrunkener sich an einer
lebensgefährlichen Stelle aufhält und sich dafür - wie auch immer - hinter ein
Absperrgitter begeben hat, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dies
ebenso wie der sich anschließende Absturz auf die Alkoholisierung zurückzuführen ist.
Dem Kläger hätte es demnach oblegen, die ernsthafte konkrete (nicht bloß theoretische)
Möglichkeit eines Ablaufes aufzuzeigen und zu beweisen, der vom Alkoholkonsum
gänzlich unabhängig gewesen ist.
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Die Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen
Voraussetzungen nicht vorliegen.
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