Urteil des OLG Köln vom 31.01.2001
OLG Köln: stationäre behandlung, treu und glauben, schlaganfall, abend, klinik, therapie, befund, behandlungsfehler, entgleisung, verfügung
Oberlandesgericht Köln, 5 U 123/99
Datum:
31.01.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 123/99
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 281/95
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 3. Mai 1999 verkündete Urteil
der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 281/95 - wird
zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt vorbehalten, die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 24.000,00
DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Den Parteien wird gestattet, die
Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer
deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volks- oder
Raiffeisenkasse zu erbringen.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger litt seit langem unter essenzieller Hypertonie. Im Oktober 1991 suchte er
deswegen den niedergelassenen Internisten Dr. J. in D. auf. Dieser wandte sich an den
Beklagten zu 2), Chefarzt der radiologischen Abteilung der Beklagten zu 1), mit der
Bitte, beim Kläger eine DSA der Niere zum Ausschluss einer Nierenarterienstenose
durchzuführen. Dieserhalb fand am 15. Oktober 1991 eine Vorbesprechung in der Klinik
statt. Am Vorabend des 18. Oktober 1991 unterzog der Kläger weisungsgemäß seinen
Darm einer Reinigung mittels starker Abführmittel und begab sich am 18. Oktober 1991
um 12.00 Uhr in die Klinik. Dort führte der Beklagte zu 3), Assistenzarzt bei der
Beklagten zu 1), die verabredeten Untersuchungen, nämlich die DSA, ein
Ausscheidungsurogramm sowie ein Oberbauch-CT, durch. Um 14.00 Uhr verließ der
Kläger das Krankenhaus und begab sich zu Fuß nach Hause. Am späten Nachmittag
des selben Tages meldete sich die Ehefrau des Klägers, von Beruf Apothekerin,
telefonisch beim Beklagten zu 3), weil der Kläger über verschiedene Beschwerden
klagte. Dieser bestellte daraufhin den Kläger zu sich, untersuchte ihn und stellte ihn dem
diensthabenden Arzt in der medizinischen Ambulanz der Beklagten zu 1), dem Zeugen
Dr. K. vor, der ihn gegen 20.00 Uhr untersuchte. Der Befundbericht des Beklagten zu 3)
lautet auszugsweise:
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"Linker Arm lokal ohne Befund, auch bei Bewegung keine Schmerzen. Schwindel
und Gangunsicherheit. Telefonisch Dr. K. informiert."
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Dr. K. untersuchte den Kläger körperlich, maß den Blutdruck, ließ ein EKG schreiben
und veranlasste ein Schädel-CT und dokumentierte seine Maßnahmen wie folgt:
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"Patient gibt an, seit heute morgen leichtes Schwindelgefühl zu haben, kein
Erbrechen, keine motorische Unsicherheit bemerkt.
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Untersuchungsbefund:
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Grobe Kraft annähernd seitengleich, Einbeinstand beidseits möglich. FNV ohne
Befund, keine wesentliche Bradydiadochokinese. In der Feinmotorik diskrete
Seitendifferenz.
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Hirnnerven ohne Befund. Kein Nystagmus, keine Amnisokorie. Lichtreaktion der
Pupillen direkt und indirekt ohne Befund.
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CT-Schädel:
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Kein Hinweis auf eine frische Blutung, kleine unscharf begrenzte hypodense Region
links (am ehesten ischämischer Bezirk). Keine Raumforderungszeichen, keine
Mittellinienverlagerung. RR bei Aufnahme 170/120 mm/hg, nach 10 mg Adalat
160/100 mm/hg. Im EKG abgesehen von Zeichen der Hypertoniebelastung keine die
Beschwerden des Patienten erklärenden Veränderungen.
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Therapievorschlag: Antihypertensive Therapie."
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Im Anschluss an die Untersuchung verließ der Kläger in Begleitung seiner Ehefrau die
Klinik.
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Am Mittag des nächsten Tages konsultierte der Kläger erneut Dr. J., der wegen der
vorgefundenen Beschwerden 250 ml HAES-steril 6 %ig infundierte sowie 100 mg Solu-
Dekortin injizierte. Nachdem am Abend linksseitig Lähmungserscheinungen auftraten,
veranlasste er die stationäre Behandlung des Klägers in der Klinik der Beklagten zu 1),
wo er um 22.45 Uhr aufgenommen wurde. Am Vormittag des 20. Oktober 1991 wurde er
mit der Diagnose "rechtshirniger Insult" in die Neurologie der Universität Köln verlegt.
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Der Kläger leidet noch heute unter den Folgen eines am 19. Oktober 1991 erlittenen
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Schlaganfalls, dessen Eintreten er den Beklagten anlastet. Er hat die Beklagten
zunächst mit der Behauptung in Anspruch genommen, er sei durch eine fehlerhaft
durchgeführte DSA, mangelhafte Überwachung und vorwerfbares Nichterkennen von
Frühzeichen zerebraler Komplikationen geschädigt worden. Im weiteren Verlauf des
erstinstanzlichen Verfahrens hat er dann schadensursächliche Fehler anlässlich der
Behandlung durch Dr. K. und im Zuge der stationären Behandlung gerügt.
Er hat beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des
Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von mindestens 100.000,00 DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 1. April 1993 zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.978,50 DM nebst 4 %
Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm allen
materiellen Schaden der Vergangenheit und Zukunft zu erstatten, den der Kläger
als Folge der DSA-Behandlung am 18. Oktober 1991 in der röntgenologischen
Abteilung der Beklagten zu 1) erlitten hat, soweit derartige Schäden nicht von
öffentlich-rechtlichen Versicherungsträgern oder privaten Dritten ersetzt worden
sind bzw. ersetzt werden.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie sind den Vorwürfen entgegengetreten und haben jegliche Behandlungsfehler in
Abrede gestellt.
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Das Landgericht hat - sachverständig beraten - die Klage abgewiesen, weil
schadensursächliche Behandlungsfehler nicht nachgewiesen seien.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er behauptet, er habe bei der
Untersuchung durch Dr. K. am Abend des 18. Oktober 1991 unter einer Arm- und
Beinschwäche links im Sinne einer Teillähmung gelitten. Er habe sich nicht alleine
ausziehen können, vielmehr habe seine Ehefrau ihm helfen müssen. Auch auf dem Weg
zur CT-Untersuchung habe er von seiner Ehefrau gestützt werden müssen, weil er
Probleme gehabt habe, alleine zu gehen. Eine technische Assistentin habe bei dieser
Gelegenheit gesagt, der Kläger bewege sich, als sei er linksseitig betrunken. Den
Ärzten sei zu diesem Zeitpunkt auch über die Arm- und Beinschwäche links berichtet
worden. Vor diesem Hintergrund habe man unbedingt an eine sogenannte
transitorische-ischämische Attacke (TIA) denken müssen, die als Vorbote eines
Schlaganfalles anzusehen sei. Diese TIA sei unbedingt behandlungsbedürftig
gewesen, wobei im Vordergrund die Behandlung mit
Thrombozytenaggregationshemmern, vorwiegend mit ASS wie zum Beispiel Aspirin
stehe. Man hätte sofort eine Behandlung mit diesem Medikament in Angriff nehmen
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müssen; ferner hätte er alsbald zur weiteren Untersuchung und Behandlung in ein auf
die Behandlung neurologischer Fälle spezialisiertes Krankenhaus verlegt werden
müssen, wohingegen man ihn nicht habe unbehandelt nach Hause schicken dürfen.
Außerdem hätten Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden müssen, um die erste
Verdachtsdiagnose eines ischämischen Insultes zu bestätigen oder auszuschließen.
Bei der Einlieferung am Abend des 19. Oktober 1991 habe das Vollbild des
ischämischen bzw. apoplektischen Insultes vorgelegen. Die hiernach durchgeführte
massive Absenkung des Blutdruckes sei behandlungsfehlerhaft gewesen. Auch zum
damaligen Zeitpunkt sei bereits bekannt gewesen, dass eine zu plötzliche Absenkung
überhöhten Blutdruckes nach einer ischämischen Attacke fehlerhaft sei.
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Er beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen erstinstanzlichen
Klageanträgen zu erkennen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie bestreiten, dass der Kläger am 18. Oktober 1991 eine TIA durchgemacht habe.
Jedenfalls sei dies für Dr. K. nicht erkennbar gewesen. Von Lähmungserscheinungen
sei nie die Rede gewesen. P. und Dr. K. hätten fehlerfrei gearbeitet. Im übrigen sei der
weitere Verlauf medizinisch nicht beeinflussbar gewesen. Die stationäre Behandlung
nach Eintritt des Hirninfarktes sei nicht zu beanstanden. Es sei nicht zu einer zu starken
Blutdruckabsenkung gekommen. Darüber hinaus habe das Behandlungskonzept dem
medizinischen Stand des Jahres 1991 entsprochen.
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Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und ergänzende
Sachverständigenbegutachtung. Wegen des Ergebnisses wird auf die
Sitzungsniederschriften vom 27. März und 11. Dezember 2000 sowie das schriftliche
Gutachten vom 27. Mai 2000 Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die form- und fristgerecht eingelegte und prozessordnungsgemäß begründete und damit
zulässige Berufung ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Dem Kläger stehen die geltend
gemachten Ansprüche weder aus unerlaubter Handlung (§§ 823, 847 BGB) noch
schuldhafter Vertragsverletzung (§§ 611, 278, 242 BGB) gegen die Beklagten zu. Ihm ist
auch nach dem Ergebnis der im Berufungsrechtszug durchgeführten ergänzenden
Beweisaufnahme nicht der Beweis schadensursächlicher Behandlungsfehler gelungen.
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1. Das Landgericht hat sich nach eingehender Sachverständigenbegutachtung nicht
davon überzeugen können, dass den Behandlern anlässlich der am 18. Oktober
1991 von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr durchgeführten ärztlichen Maßnahmen
schadensursächliche Fehler unterlaufen sind. Die dafür gegebene Begründung
überzeugt. Der Senat schließt sich ihr an und nimmt darauf zur Vermeidung
unnötiger Wiederholungen Bezug (§ 543 Abs. 1 ZPO). Da der Kläger insoweit
ausdrücklich keine Angriffe mehr führt, ist eine weitere Begründung nicht
veranlasst.
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1. Nach dem überzeugenden und von den Parteien auch nicht angegriffenen
Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. D./Dr. K. hat der Kläger am 19.
Oktober 1991 gegen 17.00 Uhr einen Schlaganfall erlitten (Gutachten vom 14.
September 1998, S. 30 (Bl. 317 d. A.)), der "am ehesten durch eine autochthone
Thrombose der Arteria cerebri media-Gruppe rechtsseitig bei cerebraler Mikro- und
Makroangiopathie bei lange bestehendem arteriellen Hypertonus" ausgelöst
worden ist (Gutachten vom 27. Mai 2000, S. 7 (Bl. 538 d. A.)). Der Kläger hat nicht
bewiesen, dass dieser Schaden auf einer den Behandlern der Beklagten zu 1)
vorzuwerfenden Fehlbehandlung beruht. Das gereicht ihm zum Nachteil, denn er
hat nach allgemeinen Grundsätzen sämtliche anspruchsbegründenden Merkmale,
zu denen auch die Schadensursächlichkeit gehört, zu beweisen.
Beweiserleichterungen können ihm nicht zugebilligt werden.
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1. Da als zurechenbare Schadensverursachung in bezug auf die Entstehung des
Schlaganfalls allein ein Unterlassen in Betracht kommt, wäre Kausalität im
Rechtssinne nur gegeben, wenn die Vornahme der gebotenen Handlung den
Schaden verhindert hätte (BGHZ 7, 204). Das kann aber nicht festgestellt werden.
Der Sachverständige Prof. Dr. D./Dr. K. hat zur Frage, ob der Schlaganfall durch
eine am Abend des 18. Oktober 1991 einzuleitende Diagnostik und/oder Therapie
zu vermeiden gewesen wäre, ausgeführt:
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"Gesicherte therapeutische Maßnahmen, die den thrombotischen Verschluss eines
Langzeit vorgeschädigten Gefäßes verhindern könnten, und durch klinische Studien
abgesichert sind, stehen nicht zur Verfügung. Eine
thrombozytenaggregationshemmende Therapie wäre mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit in diesem kurzen Zeitfenster nicht hilfreich gewesen und in der
Akutsituation nicht wirkungsvoll. Eine intravenöse PTT - wirksame
Vollheparinisierung war anhand der klinischen Situation nicht indiziert und wäre am
ehesten bei einer in diesem Fall nicht vorliegenden kardiogenen Emboliequelle
indiziert gewesen, allerdings verspricht aufgrund aktueller Studien auch die PTT -
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wirksame Vollheparinisierung keinen besseren outcome in der
Schlaganfallfrühbehandlung. Insgesamt muss bei dem vorliegenden Fall bedacht
werden, dass cerebro-vaskuläre Erkrankungen eine häufig durch ärztliche
Intervention nicht zu verändernde schicksalhafte Eigendynamik haben. Wie im
Vorgutachten ausgeführt, standen derzeit zur Behandlung des Schlaganfalls zur
Verfügung stehende Methoden wie die intravenöse Thrombolyse 1991 nicht zur
Verfügung." (Gutachten vom 27. Mai 2000, S. 8 (Bl. 539 d. A.)).
Ergänzend dazu hat Prof. Dr.D. in der mündlichen Anhörung vom 11. Dezember 2000
ausgeführt:
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"Grundsätzlich ist die Aspirin-Therapie eine Langzeittherapie. Über einen längeren
Zeitraum gerechnet kann man die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines
Schlaganfalles, sei es eines wiederholten Schlaganfalles, sei es eines einmaligen
Schlaganfalls nach abgelaufener TIA reduzieren, die Rate beträgt etwa 13 % pro
Jahr. Kurzfristig betrachtet ist die Wirkung sehr gering. Nach einer Studie hat sich
ergeben, dass nach einem Schlaganfall die Rate derjenigen, bei denen ein erneuter
Schlaganfall verhindert werden konnte, auf drei pro 1000 gesenkt werden konnte.
Dabei muss noch berücksichtigt werden, dass die Gefahr, einen erneuten
Schlaganfall zu erleiden, im ersten halben Jahr doppelt zu hoch ist." (vgl. Bl. 567/568
d. A.).
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Danach kann sich der Senat nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit
davon überzeugen, dass der Schlaganfall durch ärztliche Maßnahmen zu verhindern
gewesen wäre. Letzteres behauptet der Kläger im übrigen auch gar nicht. In seiner
kritischen Stellungnahme zur Begutachtung durch Prof. Dr.D. legt er nämlich dar, es
gehe (allein) darum, inwieweit durch eine sofort einsetzende Sekundärprävention das
Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, gesenkt worden wäre. Dieses Risiko habe um
30 % gesenkt werden können (Bl. 574 d. A.). Das bedeutet aber lediglich, dass dem
Kläger eine etwas erhöhte Chance eröffnet worden wäre, den Schlaganfall zu
verhindern. Der Beweis, dass der Eintritt vermieden worden wäre, ist damit ersichtlich
nicht geführt.
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1. Allerdings können einem Patienten Beweiserleichterungen bis hin zur
Beweislastumkehr zu Gute kommen, wenn feststeht, dass dem behandelnden Arzt
ein grober Behandlungsfehler zur Last zu legen ist. Dies findet seinen
Rechtfertigung darin, dass die Aufklärung des Behandlungsgeschehens wegen
des Gewichtes des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung
in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt dem Patienten nach
Treu und Glauben den vollen Kausalitätsbeweis nicht zumuten kann (vgl. BGH
NJW 1992, 754, 755). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann indessen
nicht festgestellt werden, dass die Vorgehensweise des Zeugen Dr. K. aus
objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint und deshalb als grob
fehlerhaft gewertet werden müsste.
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Ihm kann nicht angelastet werden, eine beim Kläger unterstelltermaßen im Laufe des
18. Oktober 1991 abgelaufene TIA grob vorwerfbar verkannt zu haben. Bereits in
seinem in erster Instanz erstatteten Gutachten hat der Sachverständige Prof. Dr.D.
ausführlich dargelegt, dass nach dem gut dokumentierten Ambulanzblatt anlässlich der
Untersuchung am Abend des 18. Oktober 1991 keinerlei neurologischer Ausfälle bzw.
Defizite festzustellen gewesen seien. Dies hat der Zeuge Dr. K. anlässlich seiner
Vernehmung vor dem Senat anhand der von ihm gemachten Aufzeichnungen erneut
bestätigt und angegeben, der Kläger habe seinerzeit über Schwindel, Kopfdruck und
Taubheitsgefühl im Arm geklagt, wobei seine Angaben teilweise gewechselt hätte, aus
welchem Grund er ihn recht aufwändig untersucht habe. Das Gangbild, von dem er
sich eigens überzeugt habe, sei hingegen unauffällig gewesen; er habe das Gangbild
während der Untersuchung eigens getestet, in dem er den Kläger beispielsweise auf
einer Stoßfuge im Ambulanzzimmer habe hin und her gehen lassen. Hierbei hätten
sich keine sonderlichen Auffälligkeiten gezeigt. Auch der Einbeinstand sei links und
rechts möglich gewesen. Der Sachverständige hat anlässlich seiner Anhörung vor
dem Senat ausdrücklich erklärt, diese von Dr. K. veranlassten grob neurologischen
Untersuchungen seien fachlich richtig gewesen. Ebenso richtig sei es gewesen,
anschließend ein Schädel-CT zu fertigen. Einerseits habe die geklagte Symptomatik
"Schwindel und Kopfdruck" insbesondere vor dem Hintergrund einer
Bluthochdruckerkrankung durchaus auf eine hypertensive Entgleisung hingedeutet;
andererseits hätten die neurologischen Symptome wie insbesondere einer
Armschwäche auch ein neurologisches Geschehen im Kopf in den Bereich der in
Betracht zu ziehenden Verdachtsdiagnosen geführt. Da auch das Schädel-CT keinen
Hinweis auf eine frische Blutung oder Infarktfrühzeichen habe erkennen lassen, und
auch das EKG insoweit keine Hinweise gegeben habe, sei die von Dr. K. getroffene
Diagnose einer hypertensiven Entgleisung bei Hochdruckerkrankung vertretbar
gewesen.
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Demgegenüber ist die Behauptung des Klägers, er habe am Nachmittag und Abend
des 18. Oktober 1991 an linksseitigen Lähmungserscheinungen gelitten, was er den
Behandlern auch mitgeteilt habe, nicht bewiesen. Es mag sein, dass die Zeugin K.-B.
dem Radiologen P. mitgeteilt hat, dass es dem Kläger nicht gut gehe, dass es ihm
schwindelig sei und er linksseitig sowohl im Arm als auch im Bein Probleme habe; es
mag auch sein, dass von Gangunsicherheit die Rede gewesen ist. Das allein genügt
aber nicht, um den dringenden Verdacht auf eine TIA zu verdeutlichen, zumal auch im
Falle einer hypertensiven Entgleisung ähnliche Symptome auftreten können. Ob diese
Angaben auch Dr. K. gegenüber gemacht worden sind, konnte die Zeugin nicht mit
Sicherheit bekunden. Im übrigen stehen die Bekundungen der Zeugin in bezug auf die
motorischen Defizite in Widerspruch zur den Angaben des Zeugen Dr. K. und der
Zeugin L. sowie der Zeugin W., die die Angaben des Zeugen Dr. K. im wesentlichen
bestätigt hat.
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Nach allem können weder die von Dr. K. veranlassten Untersuchungen noch die
getroffene Diagnose noch die Therapie als grob fehlerhaft verworfen werden.
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Dem Kläger können auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Unterlassens, medizinisch
zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben, Beweiserleichterungen zugebilligt werden.
Daran ist im Streitfall zu denken, weil es aus der Sicht der Geschehnisse am Abend
des 18. Oktober 1991 geboten gewesen sein könnte, den Kläger zur weiteren
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Abklärung einer möglicherweise abgelaufenen TIA an eine spezialisierte Klinik zu
verweisen. Der Sachverständige Prof. Dr.D. hat ein solches Vorgehen aber gerade
nicht als medizinisch zweifelsfrei geboten erachtet. Nach der gegebenen Befundlage
wäre eine solche Maßnahme nicht logisch gewesen, weil eine Erklärung für die
Beschwerden gefunden worden war und das CT eine Durchblutungsstörung
ausgeschlossen habe. Es wäre allenfalls daran zu denken gewesen, eine
weiterführende Diagnostik mittels eines leistungsfähigen Ultraschallgeräts in einer
spezialisierten Klinik zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen. Eine sofortige
Überweisung im Sinne eines Notfalls noch in der selben Nacht sei indessen nicht
veranlasst gewesen. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die weitere
Voraussetzung für eine Beweislastumkehr, nämlich das bei einer weiterführenden
Untersuchung sich ein positiver Befund ergeben hätte wahrscheinlich ist (vgl. dazu
BGH, Versicherungsrecht 1999, 60), wofür nach Lage der Sache nichts spricht.
Der Senat sieht sich trotz der vom Kläger im Anschluss an den Senatstermin vom 11.
Dezember 2000 vorgebrachten Kritik am Sachverständigen Prof. Dr.D. nicht
veranlasst, eine weitere gutachterliche Überprüfung in Auftrag zu geben. Zwar ist
richtig, dass der Sachverständige Prof. Dr.D. wesentliche Aufgaben an seinen
Oberarzt Dr. K. delegiert hat (Aktenstudium, Untersuchung des Klägers,
Gutachtenentwurf); indessen haben die Parteien übereinstimmend in erster Instanz
dieses Verfahren ausdrücklich gebilligt. Darüber hinaus hat der Sachverständige auf
ausdrückliches Befragen im Senatstermin erklärt, er habe die Gutachten gelesen und
als richtig gebilligt. Die für den Rechtsstreit entscheidenden Feststellungen des
Sachverständigen sind im übrigen auch vollständig überzeugend. Es kommt im
Ergebnis nicht darauf an, ob die Chance des Klägers, durch eine ASS-Behandlung
das Schlaganfallrisiko zu senken, höher (etwa 30 %) oder niedriger (13 % oder
weniger) war. In beiden Fällen ist die Ursächlichkeit nicht bewiesen. Die Bewertung
der Vorgehensweise des Zeugen Dr. K. durch den Sachverständigen bleibt davon
unberührt. Sie ist vor dem Hintergrund der gegebenen Befundlage auch vollkommen
überzeugend. Der Kläger verkennt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die
Behandler eben nicht davon ausgehen mussten, bei dem Kläger hätten sich die
typischen Anzeichen einer TIA (Halbseitenlähmungssymptome) gezeigt.
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1. Der Kläger hat auch nicht bewiesen, dass die Behandler in der Nacht vom 19. auf
den 20. Oktober 1991 durch fehlerhafte Behandlung den eingetretenen Schaden
vergrößert oder durch unterlassene Maßnahmen nicht vermindert haben. Der
einzige Anhaltspunkt, eine zu rasche Blutdrucksenkung, hat sich nicht bestätigt.
Der Sachverständige hat nach nochmaliger Auswertung der Dokumentation
festgestellt, dass es entgegen den Ausführungen im Arztbrief vom 22. Oktober
1991 trotz einer begonnenen antihypertensiven Therapie nicht zu einer massiven
Blutdrucksenkung gekommen ist. Die gemessenen und dokumentierten
Blutdruckwerte lagen insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der
Kläger vorbekannter Hypertoniker war, im Schnitt im hoch normalen Wert. Kein
Blutdruckwert zu Zeiten der erneuten klinischen Verschlechterung war weder
absolut noch relativ kritisch niedrig (Gutachten vom 27. Mai 2000, S. 7, Bl. 538 d.
A.). Diese Feststellungen hat der Kläger auch nicht mehr angegriffen. Es kann
deshalb dahinstehen, ob eine massive Blutdrucksenkung 1991 noch eine
standardgerechte Therapiepraxis gewesen ist.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Wert der Beschwer des Klägers: über 60.000,00 DM.
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Berufungsstreitwert: 125.978,50 DM.
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